Vorwort:
Nachdichtungen aus dem Werk Dschelaladdin
Rumis
Dschelaladdin, verehrt als Maulânâ (türkische Aussprache
Mevlâna), "unser Herr", ist 1207 in Balch, Afghanistan, geboren und
ließ sich 1228 in Konya nieder. Nach seiner Wahlheimat, dem ehemaligen
Oströmischen Reich, Rûm, wird er Rumi genannt. Seine glühende
mystische Liebe zu dem Wanderderwisch Schams-i Täbris ließ ihn
zum hinreißendsten aller persisch schreibenden Dichter werden, und
sein Dîwân, die Sammlung seiner lyrischen Gedichte, umfaßt
mehr als 36000 Verse. Später legte er seine Gedanken in einem Lehrgedicht
in reimenden Doppelversen, dem Mathnawî, dar, dessen rund 26000 Verse
durch Jahrhunderte für die Mystiker die wichtigste Inspirationsquelle
nach dem Korân waren. Dschelaladdin liebte Musik und wirbelnden Tanz
("Reigen"), und sein Sohn organisierte seine Anhänger in jenem Orden,
der im Westen als Tanzende Derwische bekannt ist.
J. von Hammer hatte in seiner "Geschichte der schönen Redekünste
Persiens" ausführliche Exzerpte aus Rumis Dîwân gegeben;
auf sie stützte sich Rückert, als er 1819 seine Nachdichtungen
schrieb, die -- obgleich nur teilweise auf persischen Originalen fußend
-- den Geist Rumis besser wiedergeben als alle späteren Übertragungen
und die das Bild Rumis in der deutschen Literatur geformt haben. Rückert
henutzt in diesen Nachdichtungen erstmals die Form des Ghasels, des Gedichtes
mit einem einzigen durchgehenden Reim, oft durch einen Überreim verlängert.
In späteren Jahren übertrug er in "Erbauliches und Beschauliches"
sowie im "Poetischen Tagebuch" einige Legenden sowie kurze Fragmente aus
dem Mathnawî.
Ich
sah empor, und sah in allen Räumen Eines;
hinab ins Meeir, und sah
in allen Wellenschäumen Eines.
Ich sah ins Herz, es war ein
Meer, ein Raum der Welten,
voll tausend Träum';
ich sah in allen Träumen Eines.
Du bist das Erste, Letzte,
Äußre, Innre, Ganze;
es strahlt dein Licht in
allen Farbensäumen Eines.
Du schaust von Ostens Grenze
bis zur Grenz' im Westen,
dir blüht das Laub
an allen grünen Bäumen Eines.
Vier widerspenst'ge Tiere ziehn
den Weltenwagen,
du zügelst sie, sie
sind an deinen Zäumen Eines.
Luft, Feuer, Erd' und Wasser
sind in eins geschmolzen
in deiner Furcht, daß
dir nicht wagt zu bäumen Eines
Der Herzen alles Lebens zwischen
Erd' und Himmel,
Anbetung dir zu schlagen
soll nicht säumen Eines.
Komm,
komm du bist die Seele, die Seele mir im Reigen;
komm, komm, du bist die
Zeder, die Zeder hier im
Reigen.
O komm! Ein Quell des Lichtes
entspringt ans deinem Schatten,
und tausend Morgensterne,
sie tanzen dir im Reigen.
Hoch ist das Dach des Himmels,
des siebenten, des höchsten,
du ragest über alle
mit heller Zier im Reigen.
Die Liebe hat mit Armen
ergriffen mich am Nacken;
ich halte dich ergriffen
mit süßer Gier im Reigen.
Das Sonnenstäubchen
tanzet, vom Licht der Sonn' ergriffen;
Licht, da du mich ergriffest,
nicht mich verlier im Reigen!
Die Stäubchen kreisen
schweigend, denn schweigend spricht die Liebe,
mich schweigen lehret Liebe,
so tanz' ich ihr im Reigen.
Schall,
o Trommel, hall, o Flöte! Allah hu!
Wall im Tanze, Morgenröte!
Allah hu!
Lichtseel' im Planetenwirbel,
Sonne, vom
Herrn im Mittelpunkt erhöhte!
Allah hu!
Herzen! Welten! Eure Tänze
stockten, wenn
Lieb im Zentrum nicht geböte!
Allah hu!
Unsres Liebereigens Leiter
reicht hinauf,
über Sonn' und Morgenröte.
Allah hu!
Rausche, Meer, am Fels im Sturme
Gottes Preis!
Nachtigall, um Rosen flöte,
Allah hu!
Seele, willst ein Stern dich
schwingen um dich selbst --
wirf von dir des Lebens
Nöte, Allah hu!
Wer die Kraft des Reigens kennet,
lebt in Gott,
denn er weiß, wie
Liebe töte. Allah hu!
Wohl
endet Tod des Lebens Not,
doch schauert Leben vor
dem Tod.
Das Leben sieht die dunkle
Hand,
den hellen Kelch nicht,
den sie bot.
So schauert vor der Lieb ein
Herz,
als wie von Untergang bedroht.
Denn wo die Lieb' erwachet,
stirbt
das Ich, der dunkele Despot.
Du laß ihn sterben in
der Nacht,
und atme frei im Morgenrot.
Die
Rose ist das höchste Liebeszeichen,
dem Herzensfreund will
ich die Rose reichen.
Gedanken sterben im Gefühl
der Liebe,
wie Gartenblumen vor der
Ros' erbleichen.
Die Rose trägt den stillen
Dorn am Herzen,
Weil nie die Schmerzen
von Liebe weichen.
Ein einzig Bild der Schönheit
ist die Rose;
was gleichet ihr in Erd-
und Himmelsreichen?
Der vollen Rose gleicht an
Pracht die Sonne,
und alle Blättlein
siehst du Monden gleichen.
Der Sonne Lichtrad ist in ihr
gerundet,
und hundert Monde rollen
dran als Speichen.
Die Sonne, die aus Monden wuchs,
die Rose,
dem Herzensfreund will
ich die Rose reichen.
Der
Tag ist hie, das Fest ist hie der Rose,
hell strahlen unsern Blicken
die der Rose.
Die Liebe war des Gartenbeetes
Gärtner,
daß lieblich uns
der Flor gedieh der Rose.
Als Kunde scholl: Die Rose
naht!, die Blumen
sich senkten huldigend
aufs Knie der Rose.
Die Tulpe schwieg, Narzisse
blickte trunken,
verwirrt vom Glanze schwankten
sie der Rose.
Zum Efeu flüsterte Zypress':
Erwache!
Was träumst du, Kind?
Das Traumbild sieh der Rose!
Die Nachtigall, sie gellt in
tausend Nächten
nicht aus die ew'ge Melodie
der Rose.
Der Himmel kann der Rose Bild
nicht fassen,
besiegt erliegt die Phantasie
der Rose.
Die Ros' ein Bote kommt vom
Seelengarten,
die Seelen aller harren
hie der Rose.
Die Rose grüßt die
Seele von der Heimat,
die Seele drum vergesse
nie der Rose.
Die Ros' entfaltet das Diplom
der Schönheit,
den Adelsbrief, den Gott
verlieh der Rose.
Die Rose kränzet unsres
Festes Becher,
den Duft des Rausches in
dich zieh der Rose.
Die Rose webet unsres Bundes
Kette,
dem Liebesbande nie entflieh
der Rose.
Verschliess den Mund wie Knospen,
und verstohlen
Sei deiner Lippe Lächeln,
wie der Rose.
Schlaf
nicht, Gastfreund, mein Gedanke! diese Nacht,
dem ich trauten Zuspruch
danke diese Nacht.
Du, ein Engelshauch, mir steigend
himmelab,
du bist Arzt, und ich der
Kranke, diese Nacht.
Bann den Schlummer, daß
Geheimnis unserm Blut
trete aus dem Heil'genschranke
diese Nacht.
Kreiset hell, ihr Stern' am
Himmel, daß zum Licht
sich empor die Seele ranke
diese Nacht.
Edelstein, aus euren Grüften
blitzet auf,
gegen Stern' im süßen
Zanke diese Nacht!
Flügle dich hinauf, mein
Adler, sonnenwärts,
und mir nicht im Dunklen
schwanke diese Nacht!
Gott sei Dank, sie schlafen
alle. Gott und ich
stehn allein nun in der
Schranke diese Nacht.
Diese Nacht ist hell wie Sonnen,
leuchtend mild,
daß davon mein Blick
nicht wanke diese Nacht.
Welch Getümmel wacht am
hellen Sternenmarkt,
Lyra tönt, die golden
schlanke, diese Nacht.
Löw' und Stier und Widder
strahlen Kampf für Licht,
und Orions Schwert, das
blanke, diese Nacht.
Skorpion und Schlange flüchten,
Krone winkt,
und die Jungfrau labt mit
Tranke diese Nacht.
schweigend bind ich meine Zunge,
lustberauscht
ohne Zunge sprich, Gedanke,
diese Nacht.
Ich
bin das Sonnenstäubchen, ich bin der Sonnenball.
Vom Stäubchen sag
ich: bleibe! und zu der Sonn: entwall!
Ich bin der Morgenschimmer,
ich bin der Abendhauch.
Ich bin des Haines Säuseln,
des Meeres Wogenschwall.
Ich bin der Mast, das Steuer,
der Steuermann, das Schiff,
Ich bin, woran es scheitert
, die Klippe von Korall.
Ich bin der Vogelsteller, der
Vogel und das Netz.
Ich bin das Bild, der Spiegel,
der Hall und Widerhall.
Ich bin der Baum des Lebens
und drauf der Papagei,
das Schweigen, der Gedanke,
die Zunge und der Schall.
Ich bin der Hauch der Flöte,
ich bin der Menschen Geist,
Ich bin der Funk im Steine,
der Goldblick im Metall.
Ich bin der Rausch, die Rebe,
die Kelter und der Most,
der Zecher und der Schenke,
der Becher von Kristall.
Die Kerz' und der die Kerze
umkreist, der Schmetterling,
die Ros', und von der Rose
berauscht, die Nachtigall.
Ich bin der Arzt, die Krankheit,
das Gift und Gegengift,
das Süße und
das Bittre, der Honig und die Gall'.
Ich biti der Krieg, der Friede,
die Walstatt und der Sieg,
die Stadt und ihr Beschirmer,
der Stürmer und der Wall.
Ich bin der Kalk, die Kelle,
der Meister und der Riß,
der Grundstein und der
Giebel, der Bau und sein Verfall.
Ich bin der Hirsch, der Löwe,
das Lamm und auch der Wolf,
bin der Hirt, der alle
beschließt in einem Stall.
Ich bin der Wesen Kette, ich
bin der Welten Ring,
der Schöpfung Stufenleiter,
das Steigen und der Fall.
Ich bin, was ist und nicht
ist. Ich bin, o der du's weißt,
Dschelaladdin, o sag es:
Ich bin die Seel' im All.
Der
Wolken als geordnete Kamelenreihn des Himmels lenkt,
der als ein Schenke Quell
Quell und Teich den Wüstenein hat eingeschenkt,
Horch, wie sein Donner Pauke
schlägt. Das Ganze lebt, es lebt der Teil,
sich hat sein Duft, sein
Lenzgeruch, bis in des Astes Mark gesenkt.
Er, der ins Körnchen heimlich
legt den stillen Trieb, es zieht sein Licht
auch den Geheimnisbaum
empor, dess' Wurzel liegt ins Herz verschränkt.
Er zog mich wie das trunkene
Kamel zu sich am Strick zurück,
er legte seine Last mir
auf, und hat sein Schild mir angehenkt.
Er bog den starren Hals mir
krumm; zu Boden beugt' er mir das Knie,
und als ich dachte linkerhand,
hat er zur Rechten mich geschwenkt.
Er hat mich, als ich für
gesund mich halten wollte, krank gemacht,
dann nut Messiasodem, weggehaucht
das Weh, das mich gekränkt.
Als ich mit ihm wie Jakob rang,
verrenkt' er mir das Schulterblatt
und als ich mich der Gnad'
ergab, hat er mir's wieder eingerenkt.
Er angelte und aus dem Grund
des Meers aufs Trockne zog er mich,
und als ich lechzt' im
heißen Sand, hat er mich drauf mit Tau getränkt.
Er spannte Netze gegen mich
und fing den wilden Vogel ein;
und als ich zahm sein Wort
nachsprach, hat er die Freiheit mir geschenkt.
Vom deiner Größe
spricht der Ost dem West, von deiner Herrlichkeit
sind mit des Frühlings
Morgenrot die Rosen ins Gespräch versenkt.
Dich preiset, was der Himmel
ruft, und was die Erd' antwortet, dich,
dich, was die Zung' in
Rätseln spricht, und dich, was klar die Liebe denkt.
Einst
um Liebe, die Peri, hat der Dschinne Schmerz gefreit;
damals trug er Lichtgewand,
und noch nicht sein Feuerkleid.
Als die reizende Peri
sich dem Freier abgewandt,
ward sein Glanz verzehrende
Glut, und blieb es seit der Zeit.
Sich verzehren wollt' er selbst,
doch unsterblich fühlt' er sich,
und die reizende Peri
zu versehren tat ihm leid.
Ab ihr wenden wollt' er sich,
über sich vermocht' er's nicht,
wo sie hin sich wendete,
gab er ihr von fern Geleit.
Durch geheimen Zauber nun
so verbunden sind die zwei,
wo sich nur das eine zeigt,
ist das andre auch nicht weit.
Wo in endliche Natur
sich die Liebe senken will,
schauern durch die Kreatur
Schmerzen der Unendlichkeit.
Wann die Rose öffnen will
ihre Brust dem Himmelsstrahl,
sprenget die verschlossene
Knosp' ihr Trieb mit Schmerzlichkeit.
Wann des Lebens Schmetterling
in der Puppe Tod erwacht,
zeuget die geborstene
Hülle, wie ihn Schmerz befreit.
Siehe, jede Zeitgeburt
reißt nicht ohne Schmerz sich los,
wäre Liebe ohne Schmerz
die Geburt der Ewigkeit?
Klage
nicht, daß du in Fesseln seist geschlagen.
Klage nicht, daß
du der Erde Joch mußt tragen.
Klage nicht, die weite Welt
sei ein Gefängnis;
zum Gefängnis machen
sie nur deine Klagen.
Frage nicht, wie sich dies
Rätsel wird entfalten;
schön entfalten wird
sich's ohne deine Fragen.
Sage nicht, die Liebe habe
dich verlassen,
wen hat Liebe je verlassen?
Kannst du's sagen?
Zage nicht, wenn dich der grimme
Tod will schrecken;
er erliegt dem, der ihn
antritt ohne Zagen.
Jage nicht das flücht'ge
Reh des Weltgenusses!
Denn es wird ein Leu und
wird den Jäger jagen.
Schlage nicht dich selbst in
Fesseln, Herz, so wirst du
klagen nicht, daß
du in Fesseln seist geschlagen.
Unser
Haus hat viele Türen,
die hinein zum Herren führen.
Wer den Herrn sieht, muß
anbetend
mit der Stirn den Boden
rühren.
Viel' im Haus sind blind geboren,
die des Herrn Gebot doch
spüren.
Auch den Lahmen sind gegeben
Hausgeschäfte zu vollführen.
Selbst der Wind mit kaltem
Atem
muß des Hauses Feuer
schüren.
Tun muß jeder, was ihm
obliegt,
Wahl hat keiner, selbst
zu küren.
Mancher wähnt sich frei,
und siehet
nicht die Bande, die ihn
schnüren.
Trägest du dein Band in
Demut,
wird es dir zu Blumenschnüren.
Schwöre Treu! und Gnad'
antwortet
dir mit höchsten Liebesschwüren.
Knecht im Hause! Gegen deinen
Mitknecht will kein Stolz
gebühren.
Sei verträglich! Denn
der Herr hat
keine Freud' an Ungebühren.
Wer darf trotzig Einlaß
fordern,
den nicht Er ein lässet
führen?
Wer kann mit dem Hausherrn
hadern,
den er stößt
aus seinen Türen?
Die
hin zur Kaaba pilgern gehn,
wenn nun an ihrem Ziel
sie stehn,
In einem Tale ohne Saat
ein altes Haus von Stein
sie sehn.
Sie gingen hin, um Gott zu
schaun,
und nun ums Haus im Kreis
sich drehn.
Wenn sie so lange sich gedreht,
so hören sie die Stimme
wehn:
Was, Toren, ruft ihr an den
Stein?
Wer wird vom Steine Brot
erflehn?
Wenn ihr den Tempel Gottes
sucht:
in euren Herzen tragt ihr
den!
Wohl dem, der bei sich selbst
kehrt ein,
statt pilgernd Wüsten
durchzugehn!
Immer
mehr werd' ich begehren,
als der Freund mir wird
gewähren.
Stets, je mehr ich Blumen pflücke,
seh ich mehr den Lenz gebären.
Wo ich durch den Hinimel schweife,
rollen immer neue Sphären,
Und es kann die ew'ge Schönheit
nur die ew'ge Sehnsucht
nähren.
Wann
mir der Freund wird seine Hilf' erzeigen,
so mach' ich dies mein
Leben ganz ihm eigen.
Der Leib von Ton ist eine Opferschale,
daraus soll ihm der Duft
der Seele steigen.
Das ird'sche I'eben ist zu
kleines Opfer;
ich opfere mein ewiges
mit Schweigen.
O Wandrer auf den Wegen, was
weißt du?
Von deinen Weg und Stegen,
was weißt du?
Wo standst du auf am Morgen,
wo abends
wirst du dich niederlegen,
was weißt du?
Des Himmels Lüfte bringen
dir Grüße;
allein sie auszulegen,
was weißt du?
O Ros' am Zaun der Wildnis
verblühend,
von Gartenlustgehegen,
was weißt du?
O Bild, vom Fleiß des
Malers, o Münze,
von deines Bildners Prägen,
was weißt du?
Brieftaube, die du fliegest,
wohin nur?
Von deines Briefs Aufträgen,
was weißt du?
Ich sah's an deinen Scharten,
du kämpftest;
von deinem Kampf, o Degen,
was weißt du?
Der Regen kommt zustatten dem
Grünen;
o dürrer Baum, vom
Regen, was weißt du?
Der Segen wird der Bitte gewähret;
nie Bittender, vom Segen,
was weißt du?
Entgegen strebt von oben die
Leitung,
was sträubst du dich
entgegen? was weißt du?
Du fühlst um deinen Nacken
die Schlinge;
sie dir zurecht zu legen,
was weißt du?
Wie das Geschick zu zügeln
den Raschen,
zu spornen weiß den
Trägen, was weißt du?
O Pflegling unsrer Liebe, wir
wissen,
wie wir dich sollen pflegen
was weißt du?
Mit
deiner Seele hat sich meine
gemischt, wie Wasser mit
dem Weine.
Wer kann den Wein vom Wasser
trennen,
wer dich und mich aus dem
Vereine?
Du bist mein großes Ich
geworden,
und nie mehr will ich sein
dies kleine.
Du hast mein Wesen angenommen,
sollt' ich nicht nehmen
an das deine?
Auf ewig hast du mich bejahet,
daß ich dich ewig
nie verneine.
Dein Liebesduft, der mich durchdrungen,
geht nie aus meinem Mark
und Beine.
Ich ruh als Flöt' an deinem
Munde,
als Laut' in deinem Schoß
alleine.
Gib einen Hauch mir, daß
ich seufze,
gib einen Schlag mir, daß
ich weine.
Süß ist mein Seufzen
nnd mein Weinen,
daß ich der Welt
zu jauchzen scheine.
Du ruhst in meiner Seele Tiefen,
Mit deinem Himmels-Widerscheine.
O Edelstein in meinen Schachten,
o Perl' in meinem Muschelschreine!
Mein Zucker ist in dir zerschmolzen,
o Milch des I.ebens, milde,
reine,
Und unsre beiden Süßigkeiten
genießet Kindermund
als eine.
Du pressest mich zu Rosenwasser,
nicht seufzt' ich unter
deinem Steine.
In deiner süßen
Qual vergaß ich,
daß ich die Rose
war am Raine.
Da brachtest du an deinen Kleidern
mich mitten unter die Gemeine,
und als du auf die Welt mich
gossest,
ward sie zu einem Rosenhaine.
Komm,
daß ich dich fasse, reiche mir die Hand!
und dich nie nicht lasse,
reiche mir die Hand!
Sieh die Finsternisse, die
auf Erden sind,
in der dunklen Gasse reiche
mir die Hand!
Von des Schicksals Schlusse
ward mir Tücke kund;
am fahrvollen Passe reiche
mir die Hand!
Deines Pilgers Reise ist bedroht
vom Feind;
wehre seinem Hasse, reiche
mir die Hand!
Komm, daß ich sie presse
an das Herz, das brennt,
an das Aug, das nasse!
Reiche mir die Hand!
Auf zu deinem Schlosse klimm
ich, holder Mond,
daß ich dir erblasse.
Reiche mir die Hand!
Das
spröde Herz ist weich geworden,
weich unter deinem Streich
geworden.
Du hast es ihm nicht fchlen
lassen
an Streichen, bis es weich
geworden.
Das starre Herz war arm voll
Hochmut,
und ist in Demut reich
geworden.
Du gossest Ström auf Dürre
Wüsten,
sie sind ein Gartenteich
geworden.
Das Reich der Welt ging in
dir unter,
und ist zum Himmelreich
geworden.
Der Liebende ward zum Geliebten,
der Jünger ist zum
Scheich geworden.
Wir waren ungleich an Begierden,
und sind in Liebe gleich
geworden.
Du
bist der Schreiber und die Schrift bist du,
Tint' und Papier und Schreibestift
hist du.
Du bist die Sternenschrift
am Hinimel dort,
im Herzen hier die Liebesschrift
hist du.
Du bist die Ruh', die Unruh'
bist du auch,
das Gift und auch das Gegengift
hist du.
Du Ebb' und Flut, Windstill'
und Sturm und Meer,
Schiffbruch und Schiff,
und der drin schifft, bist du.
Was kann dich treffen? Was
kann treffen mich?
Was trifft der Sinn, und
was ihn trifft, bist du.
Nach
welchem ich frage: wo ist er?
Den ich in mir trage, wo
ist er?
Der ragende Baum der Gedanken,
an den ich nicht rage,
wo ist er?
Ich frage die Hüter am
Wege:
Der Schönste im Hage,
wo ist er?
Ich frage den Wächter
des Weinbergs:
Der Schöne der Tage,
wo ist er?
Ich streiche durch Wälder
und Felder;
der Hirsch, den ich jage,
wo ist er?
Um Mitternacht, wenn er mir
fehlet,
ich zittre, ich zage: wo
ist er?
Ich fage den Mond und die Sonne:
Beim Sternengelage, wo
ist er?
Er ist nicht bei mir, bei den
andern,
wo ist er?
Ich klage: Wo ist er?
Dschelaladdin, wenn du ihn
fandest,
ich such' ihn, so sage:
wo ist er?
Laß
mein Streben dir gefallen
und mich strebend weiterwallen!
Laß mich stehn durch
deine Huld, wo
ich durch meine Schuld
gefallen.
Von der Berge Gipfel glänzen
mir entgegen deine Hallen,
und die heil'gen Chorgesänge
hör' ich mir entgegenschallen.
Laß den Glanz und laß
den Schall nicht,
eh ich nah', in Duft zerwallen!
Hüben ich, du drüben!
Laß mich
von der Kluft zurück
nicht prallen.
Zeige, die mich drüber
trage,
mir die Brücke von
Kristallen!
Und dem Abgrundsungeheuer,
Schwindel, seien strumpf
die Krallen!
Meiner Pilgerreise Schritte
zähl' ich ab an Betkorallen,
Wie den Rosenkranz der Himmel
betet ab an Sonnenballen.
Manches hab ich nicht verstanden,
das ich wagte nachzulallen:
Also singen dir zum Preise
Unverstandne Nachtigallen.
Also lernen Kinder reden,
welche lieb dir sind vor
allen.
Höchste
Liebe, wo du thronest, laß vor deinem Throne knien
meine schönsten, ewig
deinem Thron geweihten Melodien!
Wenn sie wohlgefällig
deinem Ohre tönen, wenn die Kraft
auch in deine Seele wirket,
die du ihnen hast verliehn,
Laß sie danken, laß
sie beten, laß sie fragen, laß sie flehn:
Wo ist, der ein Stern auf
Erden mir aus deiner Höh' erschien?
Der, sein Haupt mit deinen
Rosen kränzend und sein Saitenspiel,
liebetrunken mir vorüberzog,
um mich dir nachzuziehn;
Der in wallenden Gewanden,
am gebrochnen Säulenschaft
lehnend, Lieder strömt,
auf deren Wog' er selber wollt' entfliehn.
Wo ist der dir Zugeflohne?
Sag mir's, Liebe, wie du einst
ihn beseligt hast auf Erden,
wo du nun beseligst ihn?
Wo, Volkstrachten ausgezogen,
Stammabzeichen abgelegt,
schmelzen Kastenunterschied'
in deinen ew'gen Harmonien,
Wo ist unter allen Heil'gen
aller Zonen (Heil sei dir,
heilig mir sein Angedenken!)
Mewlana Dschelaladdin?
Könnte
ein Baum sich bewegen
mit
Wurzel und Blätterkleid,
Spürt'
er nicht Wunden der Axt,
noch
brächt' ihm die Säge ein Leid.
Ginge
die Sonne nicht von uns
nächtlich
in eiligem Flug:
Sage,
wie würde die Erde
erleuchtet
zur Morgenzeit?
Stiege
das salzige Wasser
nicht
himmelaufwärts vom Meer,
Wie würden
Gärten belebet
durch
Bäche und Regenzeit?
Sieh,
wenn zur früheren Heimat
ein
Tropfen wiederum kommt,
Wird
er in einer Muschel
zur
köstlichen Perle geweiht.
Joseph
erlangte auf Reisen
kostbare
Schätze und Glück –
Hatte
er einst nicht geweinet
beim
Abschied voll Traurigkeit?
Ging
Mustafa nicht zur Reise
nach
Jathrib, und fand er nicht dort
Herrschaft
und wurde ein König
von
hunderten Ländern weit?
Fehlt
dir der Fuß zur Reise,
so
wähle den Weg in dich selbst:
Nimm
auf, dem Rubinschachte gleichend,
in
dich alle Strahlen der Zeit.
Reise,
o Freund, aus dir selber
und
in dein eigenes Herz:
Solch
Reise verwandelt das Staubkorn
in
goldene Herrlichkeit...
Vom
Herben und Bitteren wandle
zur
süßen Reife dich nun:
So hält
der salzige Boden
viel
tausend Früchte bereit.
Und
all diese Wunder erblickst du
von
Schamsuddin, Stolz von Täbriz,
Dieweil
allen Bäumen auf Erden
die
Sonne den Glanz nur verleiht!
Mustafa:
ein Beiname des Propheten; Yathrib, der alte Namen von Medina:
auch
der Prophet fand Glück nur dadurch, daß er die Heimat verließ.
Dschelaladdin
Rumi, eine persische Legende
Mewlana Dschelaladdin,
einst in der Geburtsstadt
Balch,
als ein Knabe von sechs
Jahren
spielt' er mit den Nachbarskindern
auf des Hauses oberm Söller,
eines Freitags frühe war's;
und der Kleinen einer sprach:
Lasset übers Dach uns
kriechen!
Lächelnd sprach Dschelaladdin:
Katzen können das
und Wiesel;
wenn ihr höh're Kräfte
spürt,
laßt uns auf zum
Himmel fliegen!
Als er dieses Wort gesprochen,
ward er ihnen unsichtbar.
Als sie mit Geschrei ihn suchten,
stand er wieder unter ihnen,
sprach: Als ich das Wort gesprochen,
sah ich Grüngewandige,
die von hier empor mich
hoben,
mich durch Himmelsräume
trugen,
mir die Wunder Gottes zeigten.
Doch als euer Wehgeschrei
sich erhoben, brachten sie
wieder mich hierher zurück.
Einstmals
sprach unser Herr Dschelaladdin dieses:
Die Musik ist das Knarren der
Pforten des Paradieses.
Darauf sprach einer von
den dumm-dreisten Narren:
Nicht gefällt mir von
Pforten das Knarren!
Sprach unser Herr Dschelaladdin
drauf:
Ich höre die Pforten,
sie tun sich auf -
aber wie die Türen
sich tun zu,
das hörest du!
Aus dem
Mathnawi
Wenn der Tod ein Mann ist,
laßt ihn kommen;
Ringend sei er mir in Arm
genommen:
Ew'ges Leben werd' ich
ab ihm zwingen,
Er mag mir mein Bettlerkleid
abringen.
Sieh! ich starb als Stein
und ging als Pflanze auf,
starb als Pflanz' und nahm
drauf als Tier den Lauf;
starb als Tier und ward
ein Mensch. Was fürcht ich dann,
da durch Sterben ich nie
minder werden kann!
Wieder, wann ich werd'
als Mensch gestorben sein,
wird ein Engelsfittich
mir erworben sein,
und als Engel muß
ich sein geopfert auch,
werden, was ich nicht begreif,
ein Gotteshauch.
Über Halladschs
Anâ'l-haqq
Die
Taufe Gottes1
ist das Farbfaß »Er«,
in
ihm gibt eine Farbe es nur mehr.
Wer in
dies Faß fiel - sprich: »Erhebe dich!«
der
ruft voll Freude: »Laß - das Faß bin ich!«
»Ich
bin das Faß« heißt: »Ich bin Gott« zu sagen
–
das
Eisen wird des Feuers Farbe tragen.
In Feuerfarbe
stirbt des Eisens Farb',
vom
Feuer spricht es, bis sein Wort erstarb.
Ist
es von Röte gleich wie Gold durchdrungen:
»Ich
bin das Feuer!« ruft es ohne Zungen.
Von Feuers
Art und Farbe, hochgemut,
so
spricht es: »Ich bin Feuer, ich bin Glut!
Ja,
ich bin Feuer - zweifelst du daran,
versuche
es und rühre mich nur an!
Ja, ich
bin Feuer – glaubst du es mir nicht,
leg
dein Gesicht einmal auf mein Gesicht!«
Als
Adam Licht erhielt von Gottes Schein,
da
beugten sich vor ihm die Engelreih'n.
Was Glut,
was Eisen! Schließ die Lippen zu;
lach
nicht wie einer, der vergleicht, o du!
*
»O
Gott!« rief einer viele Nächte lang,
Und
süß ward ihm sein Mund von diesem Klang.
»Viel
rufst du wohl!« sprach Satan voller Spott:
»Wo
bleibt dir Antwort: "Hier bin ich!" von Gott?
Nein,
keine Antwort kommt vom Thron herab!
Wie
lange schreist du noch "O Gott!" Laß ab!«
Als
er betrübt, gesenkten Hauptes, schwieg,
Sah
er im Traum, wie Chidr2
niederstieg,
Und sprach:
»Warum nennst du ihn denn nicht mehr?
Was
du ersehnst, – bereust du es so sehr?«
Er sprach:
»Nie kommt die Antwort: "Ich bin hier!"
So
fürchte ich, er weist die Türe mir!«
»Dein
Ruf "O Gott!" ist mein Ruf "Ich bin hier!"
Dein
Schmerz und Flehn ist Botschaft doch von mir,
Und all
dein Streben, um mich zu erreichen,
Daß
ich zu mir dich ziehe, ist's ein Zeichen!
Dein
Liebesschmerz ist meine Huld für dich –
Im
Ruf "O Gott!" sind hundert "Hier bin ich!"«.
1 Ssibgha
– Taufe, Salbung oder Färbung; Anspielung auf Sure 2,132/138:
»Die
Taufe (Salbung, Färbung) Gottes –
und
was ist besser als Gottes Taufe?
Und
wahrlich, ihm dienen wir.«
2 Chidr (Chidhr, Chidher, al-Chadhir) [arab.
"der Grüne"]
– sagenhafte Gestalt des Islam.
Chidr soll als ewiger Wanderer im Reich der Finsternis bis zur Lebensquelle
vorgedrungen sein
und sich ein bis an den Jüngsten Tag reichendes, dem Alter nicht
unterworfenes Leben erworben haben.
(Brockhaus 1967)