(übersetzt von
Hans Wehr, aus: Annemarie Schimmel, Gärten der Erkenntnis, Köln
1982)
Für die mit innerem
Erleben und höherem Schauen Begabten läßt Gott der Allerhöchste
vielmehr jedes Atom im Himmel und auf Erden seine Macht verkünden,
von der alle Dinge reden, so daß sie hören, wie sie Gott dem
Allerhöchsten Lob und Preis spenden und ihre eigene Ohnmacht bezeugen
mit beredter Sprache, indem sie ohne Buchstaben und Laut sprechen, unhörbar
für die zum Hören Unfähigen(Sura 26/121).
Damit ist nicht das äußerliche,
an Laute gebundene Hören gemeint; denn daran hat auch der Esel Anteil.
Wertlos ist aber, was der Mensch mit den Tieren gemeinsam hat. Vielmehr
ist damit ein Hören gemeint, mit dem man eine Sprache ohne Buchstaben
und Laut, nicht arabisch noch fremdländisch, versteht.
Du könntest sagen:
Das ist ein für den Verstand unfaßbares Wunder. Schildere mir
die Beschaffenheit ihrer Rede und wie und was sie reden, wie sie lobpreisen
und ihre Ohnmacht bezeugen können!
So wisse:
Jedes Atom im Himmel und
auf Erden führt mit dem Geistigen geheime Zwiesprache. Dies hat keine Grenzen
und kein Ende. Denn was sie sagen, entstammt
dem endlosen Meere der göttlichen Rede.
Sie reden miteinander von
den Geheimnissen der Welt des Körperlichen und des Übersinnlichen.
Etwas Geheimes bekannt zu
geben ist jedoch schändlich. Nein –
»die Herzen der
Edeln sind Gräber von Geheimnissen«.
Hat man je gesehen, daß
ein geheimer Vertrauter eines Königs, der in seine geheimsten Angelegenheiten
eingeweiht ist, vor einem großen Publikum ausplaudert, was er weiß?
Dürften wir jegliches
Geheimnis kund tun, so hätte der Hochgebenedeite nicht gesagt:
»Wenn ihr wüßtet,
was ich weiß, so würdet ihr wenig lachen und viel weinen«.
Diesen Ausspruch pflegte er
vor ihnen zu tun, so daß sie weinen und nicht lachen sollten.
Dann hätte er auch
nicht verboten, das Geheimnis der Prädestination zu enthüllen
und hätte nicht gesagt:
»Ist von den Sternen
die Rede, so schweigt! Ist von der Prädestination
die Rede, so schweigt! Ist von meinen
Gefährten die Rede, so schweigt!«
Auch hätte er sich dann
nicht bloß den Hudaifa zur Mitteilung eines Geheimnisses
ausersehen.
Ein doppeltes Hindernis
besteht demnach für die Mitteilung dessen, was die Atome der Welt
des Körperlichen und des Übersinnlichen den mit höherem
Schauen Begabten innerlich anvertrauen: Erstens geht es überhaupt
nicht an, Geheimes auszuplaudern und zweitens läßt sich der
Inhalt ihrer Rede nicht genau bestimmen und abgrenzen. Dennoch wollen wir
von ihrer geheimen Zwiesprache in Anknüpfung an unser Beispiel von
der Bewegung der Feder einiges mitteilen, wodurch es im allgemeinen verständlich
werden mag, wieso sich das Gottvertrauen darauf gründet. Dabei setzen
wir das, was sie sagen, in Buchstaben und Laute um, obgleich es in Wirklichkeit
gar nicht in Buchstaben und Lauten besteht. Doch erfordert dies die Notwendigkeit,
verständlich zu sein.
Sagen wir also:
Jemand, der die Dinge unter
göttlicher Erleuchtung betrachtete und sah, wie die Oberfläche
des Papiers von Tinte schwarz wurde, sprach zu diesem:
»Wie kommt es, daß
deine Oberfläche erst leuchtend weiß war und nun schwarz wird?
Warum hast du denn deine
Oberfläche schwarz gemacht und was ist der Grund dafür?«
Da sagte das Papier: »Wenn
du das sagst, tust du mir unrecht; denn ich habe meine Oberfläche
nicht selbst schwarz gemacht. Du mußt vielmehr die Tinte fragen!
Denn sie war im Tintenfaß, ihrem Aufenthaltsort enthalten; da verließ
sie ihr Heim und ließ sich in widerrechtlicher und bösartiger
Weise auf meiner Oberfläche nieder.«
Da sagte er: »Du hast
recht!«
Nun befragte er die Tinte
darüber.
Die aber erwiderte: »Du
tust mir unrecht! Ich war friedlich und ruhig im Tintenfaß, entschlossen,
dieses nicht zu verlassen. Da überfiel mich die Feder in ihrer bösen
Gier, entfernte mich gewaltsam aus meinem Heim, zertrennte mich und verteilte
mich, wie du siehst, auf einer weißen Fläche. Ihr hat also die
Frage zu gelten, nicht mir!«
»Du hast recht!«
versetzte er
und fragte darauf die Feder,
weshalb sie die Tinte so widerrechtlich und boshaft von ihrer Heimstätte
entfernt habe.
Sie aber entgegnete: »Frag
die Hand und die Finger! Denn ich war ein am Flußufer wachsendes,
unter dem Grün der Bäume vergnügt lebendes Schilfrohr. Da
führte die Hand ein Messer an mich heran, entfernte von mir die Schale,
riß meine Kleider von mir, entwurzelte mich und zerteilte mich in
einzelne Rohrstücke. Darauf schnitt sie mich zurecht, spaltete mich
am oberen Ende und tauchte mich dann in die schwarze, bittere Tinte, worauf
sie sich nun meiner bedient und mich auf meiner äußersten Spitze
einhergleiten läßt. Du hast mich durch deine tadelnde Frage
auf das schwerste verletzt. Laß mich also in Ruhe und frage meinen
Vergewaltiger!«
»Du hast recht«,
sagte er
und fragte sodann die Hand,
warum sie die Feder so widerrechtlich und boshaft in ihren Dienst gestellt
habe.
Da sagte die Hand: »Ich
bin ja nur Fleisch, Knochen und Blut. Hast du etwa schon Fleisch gesehen,
das Unrecht tut oder einen Körper, der sich von selbst regt? Ich bin
doch nur ein dienstbares Reittier, von einem Reiter geritten, welcher Kraft
und Gewalt heißt. Sie ist es, die mir den Anstoß gibt und mich
auf der ganzen Erde umhertreibt. Erdschollen, Bäume und Steine weichen
bekanntlich nicht von ihrer Stelle und bewegen sich nicht von selbst, da
kein solch starker, bezwingender Reiter auf ihnen sitzt. Die Hände
der Toten gleichen mir, wie du wohl weißt, in ihrem stofflichen Bestand
aus Fleisch, Knochen und Blut; und doch haben sie mit der Feder nichts
zu schaffen. Auch ich selbst im eigentlichen Sinne habe mit der Feder nichts
zu schaffen. Befrage nur die Kraft über mich. Denn ich bin nur ein
Reittier, in Bewegung gesetzt von meinem Reiter«.
»Du hast recht«,
versetzte er.
Alsdann befragte er die
Kraft, wieso sie die Hand zur Arbeit heranziehe und sie fortwährend
in ihren Dienst stelle und herumstoße.
Sie aber antwortete: »Laß
dein Tadeln und deine Vorwürfe gegen mich! Wie mancher Tadler ist
selbst tadelnswert und wie mancher Getadelte ist schuldlos! Wie kannst
du mich nur so verkennen und meinen, ich täte der Hand Gewalt an,
wenn sie mir als Reittier dient. Dies letztere war schon der Fall, ehe
sie noch in Bewegung versetzt wurde. Ich setzte sie dabei nicht in Bewegung
und machte sie mir nicht dienstbar; vielmehr schlief ich ganz ruhig, so
daß man meinte, ich sei tot oder nicht vorhanden. Denn ich war selbst
regungslos und setzte auch nichts in Bewegung, bis an mich ein Auftraggeber
herantrat, der mich aufstörte und gewaltsam zu dem antrieb, was du
von mir siehst. Ich war nur imstande, ihm zu willen zu sein, aber ohnmächtig,
mich ihm zu widersetzen. Und dieser Auftraggeber heißt der Wille.
Ich kenne ihn nur nach dem Namen und an seinem wilden Ungestüm, wenn
er mich aus tiefstem Schlaf aufschreckt und mich gewaltsam zu Dingen antreibt,
die ich nicht nötig hätte, wenn er mich in Ruhe ließe«.
»Du hast recht«,
sagte er
und fragte dann den Willen:
»Wie kannst du dich gegen diese ruhige friedliche Kraft so erdreisten,
daß du sie aussendest, um andere in Bewegung zu versetzen und sie
so gewaltsam dazu antreibst, daß sie keine Zuflucht davor findet?«
Da sprach der Wille: »Sei
nicht so voreilig gegen mich! Denn vielleicht habe ich eine Entschuldigung
vorzubringen, während du tadelst. Ich habe mich ja nicht selbst wachgerufen,
sondern ich wurde wachgerufen; ich habe mich nicht ausgelöst, sondern
wurde ausgelöst durch zwingenden Spruch und entscheidenden Befehl.
Ehe er mich erreichte, war ich reglos. Doch zu mir kam vom Bereich des
Geistes (qalb) der Bote der Erkenntnis mit der Sprache der Vernunft
mit dem Auftrag, die Kraft auszulösen. Das tat ich denn notgedrungen.
Denn ich bin hilflos und der Gewalt der Erkenntnis und der Vernunft unterworfen.
Ich weiß nicht, um welcher Missetat willen ich ihr verhaftet, in
ihren Dienst gestellt und ihr zu gehorchen gezwungen bin. Doch weiß
ich, daß ich friedfertig und ruhig war, solange nicht dieser bezwingende
Gast, dieser gerechte oder ungerechte Richter zu mir kam; ich bin ihm fest
verhaftet und zum Gehorsam gezwungen. Ja, sobald er seine Entscheidung
trifft, bin ich außerstande, ihm zuwider zu handeln. Fürwahr,
solange er noch mit sich selbst uneins ist und betreffs seiner Entscheidung
schwankt, bin ich in Ruhe, doch stets in banger Erwartung seiner Entscheidung.
Sobald aber seine Entscheidung getroffen ist, werde ich durch Naturanlage
und Zwang in Bewegung gesetzt und unter das Joch des Gehorsams gegen ihn
gezwungen und setze die Kraft in Regung, daß sie seinem Gebot entspricht.
Frag nur die Erkenntnis, wie es sich mit mir verhält und laß
deine Vorwürfe gegen mich. Denn ich wende das Dichterwort auf mich
an:
Reise ich von Leuten
fort,
Die mich wohl bestimmen können,
Daß ich bleib'
an ihrem Ort,
So sind sie es, die sich
trennen.«
»Du hast recht«,
versetzte er
und trat an die Erkenntnis,
die Vernunft und den Geist heran, indem er von ihnen Rechenschaft forderte
und ihnen Vorwürfe machte, weil sie den Willen wachgerufen und sich
dienstbar gemacht, daß er die Kraft in Regung setze.
Da sprach die Vernunft:
»Ich bin eine Fackel und habe mich nicht selbst angezündet,
sondern wurde angezündet.«
Der Geist sprach: »Ich
bin eine Tafel und habe mich nicht selbst geglättet, sondern wurde
geglättet«.
Die Erkenntnis sprach: »Ich
bin eine Zeichnung, eingegraben auf der leeren Tafel des Geistes beim Schein
der Fackel der Vernunft und habe mich nicht selbst aufgezeichnet. War doch
diese Tafel ehedem völlig frei von mir! Frag doch die Feder! Denn
nur mit ihrer Hilfe kann eine Linie entstehen«.
Da verlor der Fragesteller die
Fassung, da keine Antwort ihn befriedigte und er rief aus:
»Nun habe ich mich
so lange auf diesem Weg abgemüht und habe so viele Stationen passiert,
und jeder, von dem ich über die Sache Bescheid zu haben begehrte,
verwies mich auf jemand anders. Dennoch ließ ich mich die vielen
Zurückweisungen durchaus nicht verdrießen, da ich stets eine
befriedigende Auskunft und eine einleuchtende Entschuldigung bei der Zurückweisung
der Frage zu hören bekam.
Aber wenn du behauptest,
eine Linie oder Zeichnung zu sein und von einer Feder gezeichnet zu sein,
so ist mir das unverständlich. Denn ich kenne nur Federn aus Rohr,
Tafeln von Eisen oder Holz, Linien aus Tinte und Fackeln von Feuer. Ich
höre auf dieser Station von Tafel, Fackel, Linie und Feder und sehe
von all dem nichts. "Ich höre es klappern und sehe kein Mehl"«.
Da sprach zu ihm die Erkenntnis:
»Wenn du mit dem Gesagten die Wahrheit sprichst, so ist dein Kapital
gering (vgl. Sura 12/88), deine Wegzehrung wenig und dein Reittier
schwach und mager. Dabei droht das Verderben auf dem Weg, auf den du dich
begeben hast, in mannigfacher Form. Das Richtige wäre daher für
dich, daß du dich zurückziehst und dein Tun aufgibst. "Du
hast damit nichts zu schaffen, drum geh von dannen." "Jeder ist zu dem
geeignet, wozu er geschaffen worden ist".
Wünschest du jedoch
den Weg bis zum Ziel durchzuführen, so "leihe aufmerksam dein Ohr"
(vgl. Sura 50/36) und wisse, daß es auf diesem deinem Wege drei
verschiedene Welten gibt:
Die erstere von ihnen ist
die Welt des Körperlichen und Wahrnehmbaren. Zu ihr gehört das
Papier, die Tinte, die Feder und die Hand. Diese Stationen hast du ja bereits
mit Leichtigkeit passiert.
Die zweite ist die übersinnliche
Welt; diese liegt hinter mir. Wenn du mich hinter dir hast, gelangst du
zu ihren Stationen. In ihr gibt es ausgedehnte Wüsten, hochragende
Berge und verschlingende Meere und ich weiß nicht, wie du dort unversehrt
bleiben solltest.
Die dritte ist die Welt
des Unsichtbaren. Sie liegt zwischen der körperlichen und der übersinnlichen
Welt. Du hast bereits drei Stationen von ihr durchlaufen, denn ihren Anfang
bildet die Station der Kraft, des Willens und der Erkenntnis. Sie bildet
deshalb die Mitte zwischen der körperlichen und der übersinnlichen
Welt, weil die körperliche Welt leichter als sie zu durchlaufen, die
übersinnliche dagegen schwieriger als sie zu beschreiten ist. Die
Welt des Unsichtbaren in ihrer Lage zwischen der körperlichen und
übersinnlichen Welt ähnelt dem Schiff, das der Bewegung nach
zwischen dem Land und dem Wasser steht. Denn es wogt und schwankt nicht
so stark wie das Wasser, aber es ist auch nicht so völlig ruhig und
reglos wie das Land.
Jeder, der auf dem Lande
einherschreitet, schreitet in der körperlichen und sichtbaren Welt.
Vermag er nun darüber hinaus auf dem Schiff zu fahren, so schreitet
er gewissermaßen in der unsichtbaren Welt. Ist er aber schließlich
so weit, daß er ohne Schiff auf dem Wasser einhergehen kann, so schreitet
er unerschüttert in der übersinnlichen Welt. Wenn du nicht auf
dem Wasser gehen kannst, so weiche von hinnen. Du hast das Land durchmessen
und das Schiff hinter dir gelassen, und nunmehr hast du nur das reine Wasser
vor dir.
Die übersinnliche Welt
beginnt mit dem Schauen der Feder, womit die Erkenntnis auf der Tafel des
Geistes niedergeschrieben wird und mit dem Entstehen der Gewißheit
(yaqîn), durch die man auf dem Wasser zu wandeln vermag. Hast
du nicht gehört, daß der hochgebenedeite Prophet über Jesus
– er sei gebenedeit – sagte, als man ihm erzählte, dieser sei auf
dem Wasser gewandelt: »Hätte er größere Gewißheit
besessen, so wäre er auf der Luft einhergewandelt«?
Da sprach der Beschreiter des
Weges, der all die Fragen stellte:
»Ich bin durch deine
Schilderung von der Gefahr des Weges in meinem Vorhaben schwankend geworden
und verspüre bange Furcht im Herzen. Ich weiß nicht, ob ich
die weiten Wüsten, die du beschrieben hast, durchwandern kann oder
nicht. Gibt es dafür ein Kennzeichen?«
»Jawohl«, war
die Antwort, »tu deinen Blick auf und konzentriere dein Auge völlig
auf mich. Wird dir dann das Schreibrohr, mit dem ich auf der Tafel des
Geistes niedergeschrieben werde, sichtbar, so scheint es, daß du
für diesen Weg geeignet bist. Denn wer die unsichtbare Welt durchmessen
hat und an der ersten Tür der übersinnlichen Welt anklopft, empfängt
eine auf die Feder bezügliche Erleuchtung. Bekanntlich empfing ja
auch der hochgebenedeite Prophet zu allererst eine Erleuchtung, die sich
auf die Feder bezog, als ihm offenbart wurde:
Da sagte der Beschreiter des
Weges: »Ich habe meinen Blick geöffnet und scharf konzentriert;
aber bei Gott! ich sehe weder Rohr noch Holz. Dabei kenne ich doch nur
solche Federn!«
Da sprach die Erkenntnis:
»Du bist auf falscher Fährte. Hast du noch nicht gehört,
daß das Hausgerät dem Hausherrn gleicht? Weißt du nicht,
daß die Wesenheit Gottes des Allerhöchsten nicht den sonstigen
Wesenheiten gleicht? Ebenso gleicht auch nicht seine Hand den menschlichen
Händen und seine Feder den gewöhnlichen Federn und seine Sprache
der sonstigen Sprache noch auch seine Schrift den sonstigen Schriftzügen.
All dies sind göttliche Dinge, die der übersinnlichen Welt angehören.
Gott der Allerhöchste ist nach seinem Wesen kein Körper, auch
befindet er sich an keinem Ort im Gegensatz zu allem andern; seine Hand
besteht nicht aus Fleisch noch aus Knochen und Blut im Gegensatz zu den
übrigen Händen, noch besteht seine Feder aus Rohr, noch seine
Tafel aus Holz, noch seine Sprache aus Laut und Buchstabe, noch seine Schrift
aus Schriftzeichen und Linie, noch auch seine Tinte aus Vitriol und Galläpfeln.
Wenn du das nicht ebenso
siehst, dann kann ich in dir nur einen Zwitter sehen zwischen männlicher
Fernhaltung anthropomorpher Vorstellungen von Gott und weiblicher Angleichung,
der zwischen diesem und jenem schwankt, keiner der beiden Parteien zugehörig.
Wie kannst du das Wesen und die Attribute des Allerhöchsten von den
Körpern und ihren Attributen trennen und seine Sprache von Buchstaben-
und Lautgebilden, und beginnst bei seiner Schrift, seiner Hand, seiner
Feder und seiner Tafel Halt zu machen?
Wenn du unter dem Ausspruch
des Hochgebenedeiten: »Gott erschuf Adam nach seinem Ebenbild«,
das äußere mit dem Blick erfaßbare Bild verstehst, dann
sei doch absoluter Anthropomorphist (musabbih), wie man zu sagen
pflegt: »Sei ein reiner Jude, sonst spiele nicht mit der Tora!« Verstehst du aber darunter
das innere Bild, das man nur mit höherem Schauen, nicht aber mit den
Blicken wahrnehmen kann, dann mach dich von anthropomorphen Vorstellungen
auch gänzlich frei und sei in dem Glauben, daß Gott über
solches heilig erhaben sei, ganz Mann und durchlauf den Weg! Denn du bist
im heiligen Tale Tuwan. (vgl. Sura 20/12) Merke auf in deinem Inneren,
was dir offenbart wird! Vielleicht findest du bei dem Feuer eine rechte
Führung (Sura 20/12) und vielleicht werden dir aus den Vorhängen
des göttlichen Thrones die gleichen Worte zugerufen wie dem Moses:
"Wahrlich, ich bin dein oberster Herr!"«
Als nun der Beschreiter des
Weges von der Erkenntnis dies vernahm, da befürchtete er, der Sache
nicht gewachsen und ein Zwitter zu sein zwischen »Fernhaltung«
und »Angleichung«.
Da wurde sein Herz feurig
entflammt durch seinen heftigen Zorn über sich selbst,
als er sah, wie er geradezu
versagte.
Nun war sein Öl in
der Leuchte seines Herzens nahe daran aufzuleuchten,
auch ohne mit Feuer in Berührung
zu kommen.
Als nun vollends die Erkenntnis
mit ihrem Ungestüm hineinblies,
entzündete sich sein Öl
und es ward ein doppelt starkes Licht (vgl. Sura
24/35).
Da sprach zu ihm die Erkenntnis:
»Jetzt nütze die Gelegenheit aus und tu deinen Blick auf!
Vielleicht findest du bei
diesem Feuer eine rechte Führung«.
Er tat seinen Blick auf,
und da ward ihm die göttliche Feder sichtbar; und siehe –
sie war genau so entfernt
von allen menschlichen Vorstellungen wie die Erkenntnis sie beschrieben
hatte.
Sie war nicht von Holz noch
von Rohr; auch hatte sie keine Spitze und kein Ende,
während sie fortgesetzt
im Geiste aller Menschen mannigfache Erkenntnisse niederschrieb
und sozusagen im Geiste jedes
einzelnen eine Spitze hatte, obgleich sie gar keine besaß.
Da wurde er darüber
von Verwunderung ergriffen und sprach:
»Welch ein trefflicher
Gefährte ist die Erkenntnis!
Möge Gott der Allerhöchste
es ihr an meiner Statt lohnen!
Denn jetzt offenbart sich
mir die Wahrheit dessen,
was sie über die Eigenschaften
der göttlichen Feder ausgesagt hat.
Nun sehe ich wahrhaftig,
daß sie nicht wie gewöhnliche Federn ist«.
Damit verabschiedete er
sich von der Erkenntnis, dankte ihr und sprach:
»Ich habe mich nun
lange bei dir aufgehalten und mit dir disputiert.
Ich bin entschlossen, zur
Feder höchstselbst mich aufzumachen und sie über ihre Sache zu
befragen«.
So machte er sich denn zu
ihr auf und sagte zu ihr:
»Wie kommt es, o Feder,
daß du fortgesetzt in den Geistern Erkenntnisse niederschreibst,
wodurch der Wille ausgelöst
wird,
um die Kraft in Regung zu
setzen und sie zu den von ihr zu bewirkenden Vorgängen hinzulenken?«
Sie entgegnete: »Du
hast wohl vergessen, was du in der Welt des Körperlichen und Sichtbaren
gesehen hast
und was du von der Feder
als Antwort gehört hast, als du sie fragtest
und sie dich darauf auf
die Hand verwies?«
»Ich habe es nicht vergessen«,
versetzte er.
»Nun, meine Antwort
lautet wie die ihre«, sagte sie.
Er fragte: »Wie ist das
möglich, da du ihr doch nicht gleichst?«
Sprach die Feder: »Hast
du nicht gehört,
daß Gott der Allerhöchste
den Adam nach seinem Ebenbilde geschaffen hat?«
»Jawohl« war die
Antwort.
»So frage die über
mich, welche den Beinamen "die Rechte des Königs" trägt!
Denn ich werde von ihr festgehalten,
und sie ist es, die mich
hin und her bewegt, während ich zum Dienen gezwungen bin.
Es besteht also kein Unterschied
zwischen der göttlichen und der menschlichen Feder,
insofern sie beide Werkzeuge
sind.
Der Unterschied besteht
lediglich in der äußeren Gestalt«.
Da sagte er: »Wer ist
denn die Rechte des Königs?«
Die Feder erwiderte darauf:
»Hast du nicht den Ausspruch Gottes des Allerhöchsten gehört:
"Und die Himmel sind
gefaltet in seiner Rechten"?« (Sura 39/67)
»Doch« versetzte
er.
Sie aber fuhr fort: »Und
die Federn sind gleichfalls in seiner Rechten festgehalten.
Sie ist es, die sie hin
und herbewegt.«
Da begab sich der Beschreiter
des Weges von ihr fort zu der Rechten, bis er sie erblickte.
Er sah, wie sie noch viel
wunderbarer war als die Feder;
doch kann man nichts von
all dem schildern und auseinandersetzen,
sondern noch soviele Bände
können auch nicht einen geringen Bruchteil von ihrer Beschreibung
enthalten.
Im allgemeinen ist zu sagen,
daß die göttliche Rechte, die göttliche Hand und der göttliche
Finger
ganz anders sind als die
entsprechenden menschlichen Glieder.
Er sah nun, wie die Feder
im Griff der göttlichen Rechten bewegt wurde;
da wurde ihm offenbar, daß
die Feder wirklich nichts dafür konnte.
Nun befragte er die Rechte,
wie es sich mit ihr verhalte und wieso sie die Feder in Bewegung setze.
Die aber erwiderte: »Ich
gebe dir dasselbe zur Antwort wie das, was du von der Rechten gehört
hast, die du in der sichtbaren Welt sahst, d. h. ich verweise dich an die
Kraft, da die Hand an sich machtlos ist.
Denn was sie in Bewegung
setzt, ist ja zweifellos die Kraft«.
Da begab er sich in den
Bereich der Kraft und erblickte dort derartige Wunder, daß ihn dabei
alles Vorangegangene verächtlich dünkte und befragte sie über
die Bewegung der Rechten.
Sie aber sprach: »Ich
bin nur ein Attribut. Frage daher den, der über die Kraft verfügt
(al-qadir).
Denn die Verantwortung liegt
bei den Trägern der Attribute, nicht bei den Attributen«.
Da war er nahe daran, voll
Kühnheit zur Frage anzuheben.
Doch es verschlug ihm die
Sprache,
denn hinter dem Vorhang
der Umhüllung der göttlichen Majestät hervor scholl der
Ruf:
»Er wird nicht
gefragt nach dem, was er tut, aber sie werden gefragt!« (Sura 31/23)
Da überkam ihn die Ehrfurcht
vor der Majestät Gottes,
und er sank ohnmächtig
zu Boden, eine Zeitlang erbebend in dieser Ohnmacht.
Als er wieder zu sich kam,
rief er aus:
»Gepriesen seist du!
Wie gewaltig bist du!
Dir wende ich mich reuevoll
zu,
auf dich setze ich mein
Vertrauen
und glaube, daß du
der König, der Gewaltige,
der Einzige, der Bezwingende
bist.
Daher fürchte ich keinen
als dich,
bitte keinen außer
dir
und suche nur in deiner
Verzeihung Zuflucht vor deiner Strafe
und in deinem Wohlgefallen
Schutz vor deinem Zorn.
Es kommt mir nur zu, dich
zu bitten
und zu dir nur demütig
zu beten
und vor dir unterwürfig
zu flehen.
So sage ich denn:
"Öffne mir meine Brust,
damit ich dich erkenne
und löse mir das Zungenband,
auf daß ich dich lobpreise".«
Da erscholl hinter dem Vorhang
hervor der Ruf:
»Hüte dich, daß
du zu lobpreisen begehrst und den Herrn der Propheten übertriffst.
Kehre dich vielmehr ihm
zu!
Was er dir gebracht hat,
das nimm!
Was er dir untersagt hat,
dem entsage (vgl. Sura 59/7). Was er gesprochen, sprich
auch du!
Denn er hat in diesem göttlichen
Bereich nichts weiter gesagt als:
"Preis sei dir! Ich vermag
nicht, dich zu loben, wie du dich selbst lobst!"«
Da sprach er:
»Mein Gott, wenn die Zunge
sich nicht erkühnen darf, dich zu loben,
kann dann der Geist dich
zu erkennen begehren?«
Da erscholl er Ruf: »Hüte
dich, über die Nacken der "Wahrhaftigen" hinauszusteigen!
Drum halte dich an den größten
"Wahrhaftigen" [d. i. Abû Bakr] und eifre ihm nach!
Denn die Gefährten
des Herrn der Propheten sind wie die Sterne;
welchem von ihnen ihr auch
nachfolgt, ihr werdet recht geführt.
Hast du nicht seinen Ausspruch
gehört:
"Das Unvermögen,
zu seiner Erkenntnis zu gelangen, ist der Erkenntnis gleichzusetzen"?
Es genügt daher für
dich, wenn dir von uns höchstselbst das Wissen zuteil wird,
daß dir unsere höchsteigene
Gegenwart vorenthalten bleiben muß
und daß du unfähig
bist, unsere Schönheit und Herrlichkeit zu schauen«.
Da kehrte der Beschreiter
des Pfades um, und er entschuldigte sich für seine Fragen und Vorwürfe
und sagte zur Rechten, zur
Feder, zur Erkenntnis, zum Willen, zur Kraft und zu allen folgenden:
»Nehmt meine Entschuldigung
entgegen!
Denn ich war ein Fremdling
und Neuling in diesem Land und jeder, der eintritt, ist verwirrt.
Meine Mißbilligung
euch gegenüber geschah nur aus Unvermögen und Torheit.
Aber jetzt hat sich eure
Entschuldigung für mich als richtig erwiesen,
und es ist mir offenbar
geworden,
daß er, der ohnegleichen
ist in der körperlichen und übersinnlichen Welt, in Macht und
Gewalt,
der Einzige, Allgewaltige
ist.
Ihr aber seid nur in Dienst
gestellt unter seinem kraftvollen Zwang,
hin und her bewegt durch
seine Macht.
Er ist der Erste und
der Letzte, der Offenbare und Verborgene«.
Als er dies in der sichtbaren
Welt aussprach, erklärte man diese Äußerung für befremdlich
und sagte zu ihm:
»Wie kann er der Erste
und der Letzte sein,
während dies doch zwei
entgegengesetzte Attribute sind
und wie kann er zugleich der
Offenbare und der Verborgene sein?
Der Erste ist doch nicht
Letzter und der Offenbare nicht verborgen!«
Er entgegnete:
»Er ist der Erste im Hinblick
auf das Existierende,
denn aus ihm ist der Reihe
nach eines nach dem anderen hervorgegangen.
Er ist ferner der Letzte, mit
Rücksicht auf den Weg derer, die zu ihm gehen;
denn diese steigen von Station
zu Station immer weiter empor,
bis schließlich die
Ankunft in jenem Bereich göttlicher Gegenwart stattfindet
und dies dann das Ende der
Reise bildet.
Er ist demnach Letzter in
Bezug auf die Anschauung,
aber Erster in Bezug auf
die Existenz.
Er ist verborgen für
diejenigen, welche an der sichtbaren Welt festhalten
und ihn mit den fünf
Sinnen zu begreifen suchen;
offenbar ist er für den,
der ihn im Schein der in seinem Innern entzündeten Fackel
mit dem innerlichen, in
die Welt des Übersinnlichen eindringenden Tiefblick sucht«.
So verhält es sich also
mit dem Einheitsbewußtsein bei denen, die den Pfad der Einheit im
Wirken beschreiten,
d.h. denen durch Erleuchtung
klar geworden ist, daß der Wirkende nur ein einziger ist.