hen men kai prôton hoti
ouden estin,
deuteron hoti ei kai estin,
akatalêpton anthrôpôi,
triton hoti ei kai katalêpton
alla toi ge anexoiston
kai anhermêneuton tôi
pelas.
erstens: es gibt nichts;
zweitens: wenn es auch etwas gäbe,
wäre es doch für den Menschen unerkennbar;
drittens: wenn es auch erkennbar wäre,
wäre es doch unserem Mitmenschen nicht mitteilbar
und nicht verständlich zu machen.
hoti men oun ouden estin,
epilogizetai ton tropon touton:
Zu dem Schluß nun, daß es nichts gibt,
kommt er auf folgende Weise:
ei gar esti <ti>,
hêtoi to on estin
ê ton mê on,
ê kai to on esti kai to mê on.
Wenn es <etwas> gibt,
ist es entweder das Seiende
oder das Nichtseiende
oder es ist sowohl das Seiende wie auch das Nichtseiende.
oute de to on estin, hôs parastêsei,
oute to mê on, hôs hôs paratuthêsetai,
oute to on kai <to> mê on,
hôs kai touto didaxei.
Es ist aber weder das Seiende, wie er beweisen wird,
noch das Nichtseiende, wie er uns überzeugen wird,
noch das Seiende und zugleich das Nichtseiende,
wie er ebenfalls zeigen wird.
ouk ara esti ti.
Es gibt also nichts.
1. Das Nichtseiende gibt es überhaupt nicht
Denn wenn es das Nichtseiende gäbe, würde es zugleich sein
und nicht sein;
sofern es nämlich als nichtseiend gedacht wird, wird es nicht
sein;
sofern es nichtseiend ist,wird es dagegen sein.
Es ist aber vollkommen widersinnig, daß etwas zugleich ist und
nicht ist.
Es gibt also das Nichtseiende gar nicht.
Dafür auch noch ein anderer Beweis:
wenn es das Nichtseiende gibt, kann es das Seiende nicht geben.
Denn diese beiden sind einander entgegengesetzt,
und wenn dem Nichtseienden Existenz zukommt,
muß dem Seienden Nichtexistenz zukommen.
Das Nichtsein des Seienden aber ist ausgeschlossen;
daher kann auch das Nichtseiende nicht existieren.
2. Es existiert aber auch das Seiende nicht
Denn wenn das Seiende existiert,
ist es entweder ewig oder geworden
oder zugleich ewig und geworden.
Es ist aber weder ewig noch geworden noch beides,
wie wir beweisen werden.
Das Seiende existiert also nicht.
Denn wenn das Seiende ewig ist
(denn an diesem Punkte müssen wir anfangen),
dann hat es keinen Anfang.
Denn alles, was geworden ist, hat einen Anfang;
das Ewige aber, das ungeworden ist, hat keinen Anfang.
Wenn es aber keinen Anfang hat, dann ist es unbegrenzt.
Wenn es aber unbegrenzt ist, ist es nirgends.
Denn wenn es irgendwo ist,
dann ist das, in dem es ist, von ihm verschieden;
somit wird das Seiende nicht mehr unbegrenzt sein,
da es von einem anderen umschlossen wird.
Denn größer als das Umschlossene ist das Umschließende.
Größer als das Unbegrenzte ist nichts;
daher gibt es nirgends das Unbegrenzte. –
Das Seiende wird aber auch nicht von sich selber umschlossen.
Denn der Raum und das von ihm Umschlossene würde dann identisch
sein,
und das Seiende würde dann ein Doppeltes sein: Raum und Körper.
(Denn das »Worin« ist der Raum; das in diesem Befindliche
ist Körper.)
Das aber ist widersinnig.
Also wird das Seiende auch nicht von sich selber umschlossen.
Also, wenn das Seiende ewig ist, ist es unbegrenzt;
wenn unbegrenzt, ist es nirgends;
wenn aber nirgends, existiert es nicht.
Also, wenn das Seiende ewig ist, ist es überhaupt kein Seiendes.
Es kann aber das Seiende auch nicht geworden sein.
Denn wenn es geworden ist,
ist es entweder aus einem Seienden oder aus einem Nichtseienden geworden.
Aber aus dem Seienden ist es nicht geworden.
Denn wenn es seiend ist, ist es nicht geworden, sondern ist bereits.
Aber auch nicht aus dem Nichtseienden;
denn das Nichtseiende kann überhaupt nichts hervorbringen,
weil notwendig das, was etwas hervorbringt, an einer wirklichen Existenz
teilhaben muß.
Also ist das Seiende auch nicht geworden.
Es kann aber auch nicht beides sein, d. h. zugleich ewig und geworden.
Denn diese beiden Begriffe heben sich gegenseitig auf;
wenn das Seiende ewig ist, ist es nicht geworden;
und wenn es geworden ist, ist es nicht ewig.
Also, wenn das Seiende weder ewig noch geworden noch beides ist,
gibt es das Seiende gar nicht.
Hierfür gibt es noch einen anderen Beweis:
Wenn das Seiende existiert, ist es notwendig eins oder vieles.
Es ist aber weder eins noch vieles, wie bewiesen werden wird.
Also gibt es kein Seiendes.
Denn wenn es eins ist, hat es entweder eine gewisse Größe
oder ist räumlich zusammenhängend
oder ist eine Größe oder ein Körper.
Was es aber auch hiervon ist, jedenfalls ist es dann nicht eins;
sondern, wenn es eine gewisse Größe hat, kann es geteilt
werden,
und wenn es räumlich zusammenhängt, kann es zerlegt werden.
Und wenn es als Größe gedacht wird,
ist es ebenfalls nicht unteilbar.
Wenn es aber ein Körper ist, ist es ein Dreifaches.
Denn es hat dann Länge und Breite und Höhe.
Es ist aber widersinnig, zu behaupten, daß das Seiende keins
von diesen ist.
Also ist das Seiende nicht eins.
Es ist aber auch nicht vieles.
Denn wenn es nicht eins ist,
ist es auch nicht vieles.
Denn die Vielheit ist eine Vereinigung der Einzeldinge;
es wird daher, wenn das Eine geleugnet wird,
zugleich auch die Vielheit geleugnet.
Hiernach ist klar, daß es weder das Seiende gibt noch das Nichtseiende.
3. Daß es aber auch nicht beides ist, seiend und
nichtseiend zugleich,
läßt sich leicht erschließen.
Denn wenn das Nichtseiende existiert und das Seiende existiert,
dann ist das Nichtseiende – was seine Existenz anbetrifft – dasselbe
wie das Seiende,
und daher existiert keines von beiden.
Denn daß das Nichtseiende nicht existiert, ist allgemein anerkannt.
Es ist aber von mir bewiesen worden, daß das Seiende mit diesem
identisch ist.
Dann existiert es also auch selber nicht.
Es kann aber das Seiende, wenn anders es mit dem Nichtseienden identisch
ist,
unmöglich beides sein.
Denn wäre es beides, wäre es nicht identisch,
und wäre es identisch, wäre es nicht beides.
Hieraus folgt, daß es nichts gibt.
Denn wenn weder das Seiende noch das Nichtseiende noch beides existiert
und außer diesen drei Möglichkeiten keine denkbar ist,
dann gibt es überhaupt nichts.
4. Wenn es aber auch etwas geben sollte,
so ist es doch für den Menschen unerkennbar und
unvorstellbar.
wie hier bewiesen werden soll.
Denn, wie Gorgias behauptet,
wenn das Gedachte nicht seiend ist,
wird auch das Seiende nicht gedacht.
Ganz natürlich.
Denn gerade wie wenn das Gedachte weiß ist,
dann auch das Weiße gedacht werden kann,
ebenso kann, wenn das Gedachte nicht existiert,
das Existierende unmöglich gedacht werden.
Es ist daher der Satz vernünftig und folgerichtig:
wenn das Gedachte nicht existiert,
kann das Existierende nicht gedacht werden.
Das Gedachte aber existiert nicht, wie wir beweisen werden.
Also kann das Existierende nicht gedacht werden.
Daß aber das Gedachte nicht existiert, ist klar.
Denn wenn das Gedachte existiert, dann existiert alles, was gedacht
wird,
und so, wie es sich jemand denkt.
Das aber widerspricht der Erfahrung.
Denn auch wenn man sich einen fliegenden Menschen denkt
oder einen auf dem Wasser fahrenden Wagen,
fliegt nicht etwa alsbald der Mensch oder ein Wagen fährt auf
dem Wasser.
Daher existiert nicht, was gedacht wird.
Außerdem, wenn das Gedachte wirklich wäre,
dann könnte das Nichtwirkliche nicht gedacht werden.
Denn den entgegengesetzten Dingen kommen entgegengesetzte Prädikate
zu;
dem Seienden ist aber das Nichtseiende entgegengesetzt.
Und daher gilt überhaupt der Satz:
wenn dem Seienden das Gedachtwerden zukommt,
kommt dem Nichtseienden das Nichtgedachtwerden zu.
Das aber ist unhaltbar.
Denn auch die Skylla und die Chimaira und vieles andere, was nicht
existiert,
kann man sich denken.
Also kann das, was existiert, nicht gedacht werden.
Gerade wie die gesehenen Dinge deswegen sichtbar genannt werden, weil
sie gesehen werden,
und die gehörten deswegen hörbar, weil sie gehört werden,
und wir nicht etwa das Sichtbare verwerfen, weil es nicht gehört
wird,
oder das Hörbare, weil es nicht gesehen wird
(denn jedes Ding kann nur von dem ihm entsprechenden Sinn,
nicht aber von einem anderen wahrgenommen werden),
so wird auch das Gedachte,
auch wenn es nicht vom Auge gesehen oder vom Ohr gehört wird,
existieren,
weil es von dem ihm eigentümlichen Urteilsvermögen erfaßt
wird.
Wenn sich nun jemand einen Wagen auf dem Wasser fahrend denkt,
so muß er, auch wenn er ihn nicht sieht, glauben,
daß es Wagen gibt, die auf dem Wasser fahren.
Das aber ist unhaltbar.
Also kann das Existierende weder vorgestellt noch vom Denken erfaßt
werden.
5. Und wenn es auch durch das Denken erfaßt werden
könnte,
wäre es doch einem anderen nicht mitteilbar.
Denn wenn die Dinge, die draußen existieren,
sichtbar und hörbar, überhaupt sinnlich wahrnehmbar sind,
dann sind die sichtbaren von ihnen durch unser Sehvermögen erfaßbar,
die hörbaren dagegen durch unser Gehör,
und nicht umgekehrt –
wie können sie da einem anderen mitgeteilt werden?
Denn das Organ, wodurch wir etwas mitteilen, ist das Wort;
das Wort aber ist nicht das Ding, das existiert.
Wir teilen also unseren Mitmenschen nicht die Dinge mit,
sondern Worte, die von den Dingen ganz verschieden sind.
Wie nun das Sichtbare nicht hörbar wird, und umgekehrt,
so kann, da das Ding draußen existiert,
es auch nicht zu unserem Wort werden.
Wenn es aber nicht das Wort ist,
kann es auch nicht einem andern mitgeteilt werden.
Das Wort, so sagt er, bildet sich von den von außen auf uns eindringenden,
d.h. den sinnlich wahrnehmbaren Dingen.
Denn infolge des Auftreffens des Geschmackes
entsteht in uns das über diese Qualität geäußerte
Wort
und ebenso aus dem Auftreffen der Farbe die Äußerung über
die Farbe.
Wenn das der Fall ist, dann ist es nicht das Wort, was das äußere
Ding mitteilt,
sondern das äußere Ding wird zum Verkünder des Wortes.
Es ist aber auch unmöglich, zu behaupten, daß,
wie das Sichtbare und Hörbare Subsistenz hat,
dies auch vom Wort gilt,
so daß infolge seiner Subsistenz und Existenz
das Subsistierende und Existierende verkündet würde.
Denn wenn auch, wie er sagt, das Wort existiert,
so unterscheidet es sich doch von den übrigen existierenden Dingen,
und am meisten unterscheiden sich die sichtbaren Dinge von den Worten.
Denn durch ein anderes Organ wird das Sichtbare erfaßt
und durch ein anderes das Wort.
Es offenbart also das Wort die Hauptmasse der Dinge nicht,
gerade wie auch diese die Natur voneinander nicht offenbaren.
Wo nun solche Schwierigkeiten von Gorgias aufgeworfen sind,
da ist, soweit es an ihnen liegt, das Kriterium der Wahrheit zunichte
gemacht.
Denn es gibt kein Kriterium, das,
was weder wirklich ist noch erkannt noch einem anderen verständlich
gemacht werden kann,
zu erkennen.
[zum Vergleich: Schlußzusammenfassung der Diskussion über
das ON in Platons "Parmenides"]
EIPHΣΘΩ TOINYN
TOYTO
TE KAI OTI Ω EOIKEN
EN EIT EΣTIN EITE MH ESTIN
AYTO TE KAI TAΛΛA
KAI ΠPOΣ AYTA KAI ΠPOΣ
AΛΛHΛA
ΠANTA PANTΩΣ EΣTI
TE KAI OYK EΣTI
KAI ΦAINETAI TE KAI OY ΦAINETAI
AΛHΘEΣTATA
eirêsthô toinun touto
te kai hoti, hôs eoiken,
So sei demnach dieses gesagt,
und auch, daß, wie es scheint,
hen eit‘ estin eite mê estin,
auto te kai t’alla
kai pros auta kai pros allêla
ob Eins nun ist oder nicht ist,
es selbst und die Anderen,
und zwar für sich sowohl als in Beziehung aufeinander,
panta pantôs esti te kai ouk esti
kai phainetai te kai ou phanetai.
alles auf alle Weise ist und nicht ist
und scheint sowohl als nicht scheint. –
alêthestata.
Vollkommen wahr.