Nur
eine knappe Generation vor Jesu Geburt, also zwei Generationen vor Christi
Passion und Auferstehung, der eigentlichen Neugeburt des "Weltenkeims"
(vgl. Marius Victorinus), schrieb Vergil seine
zehn Hirtenlieder, darunter vor allem das vierte, die berühmte "vierte
Ekloge" über die Geburt eines neuen Aiôn (und zugleich
spiegelbildliche Entsprechung der sechsten Ekloge,
wo der weise Silen die Weltschöpfung
und das "perpetuum carmen" der von da an abrollenden Metamorphosenreihe
der Weltereignisse eine halbe Generation vor Ovid "vorweg"-besingt).
Ein
Aiôn (lateinisch aevum, deutsch meistens mit "Ewigkeit" übersetzt)
ist der Kreisschluß der Zeit, die in sich bereits durch eine Jahreszeit-analoge
Periodik von vier Weltaltern und auch durch die "Weltmonate" des platonischen
"großen Jahres" gegliedert ist.
Der
Aiôn selbst erscheint in dieser vierten Ekloge imaginativ-prophetisch
als messianisches Kind, mit dessen Geburt der ewige Frühling des goldenen
Zeitalters in die Zeit einbricht bzw. die Zeit selbst durch den Übergang
vom eisernen Ende in einen neuen goldenen Anfang zu einem Ewigkeits-Kreis,
d.h. eben zu einem Aion, zusammenschließt; in der Tat bilden das
silberne, eherne und eiserne Zeitalter nur eine Art pädagogischer
Zwischenphase mit Aufgaben für heranwachsende Helden innerhalb dieses
in sich ewigen Frühlings, der sich mit der Tilgung der alten Erbschuld
auch gleich wieder einstellt.
Der
historisch-konkrete Anlaß, der Säugling, zu dessen Geburt Vergil
diese Hymne als Gelegenheitslied gesungen haben mag, tritt zurück
gegenüber der darin veranschaulichten Geburt des neuen Aiôn,
und so bewegt sich der Dichter zwischen der sibyllinischen Apokalyptik
("Cumaei carminis") einerseits und der erschüttert-erschütternden
Bewegung des Weltalls selbst ("nutantem mundum") andererseits auf den kosmischen
Bahnen der Welt-Zeit und des sterngordneten Raumes. Gerade das Hirten-Kolorit
und der weihnachtliche Messianismus der Blumen- und Wiege-Idyllik um den
Säugling verkleinert diese kosmischen Bezüge keineswegs, sondern
schließt sie (in unserer rückblickenden Perspektive) vielmehr
mit anderen, nicht minder berühmten messianischen Prophetien zusammen,
besonders den Immanuel-Liedern
Jesajas und ihren paradiesischen Parallelen zu Vergils "goldenem Weltalter".
Diese
kosmologische Seite des Liedes, das Kind als personifizierte Gesamtweltzeit,
findet sich noch in der Grundstruktur der trinitarischen "Sohnesgeburt",
in der alle Schöpfung enthalten ist und ihren Keimgrund findet; so
beispielhaft bei Marius Victorinus:
quod multa vel cuncta sunt hoc unum est quod
genuit filius
cunctis qui ontos semen est tu vero virtus seminis
in quo atque ex quo gignuntur cuncta virtus quae
fundit dei
rursusque in semen redeunt genita quaeque ex
semine operatur
Das
Viele, das Ganze ist nur dies Eine, hervorgebracht von dem Sohn,
der
allen Wesen der Same des Seins; doch du bist die keimende Kraft;
in
diesem und aus ihm wird alles erzeugt, was der göttlichen Keimkraft
entströmt,
und
in diesen Samen kehrt alles Gezeugte und aus ihm Erzeugte zurück.
Die
Idee der Weltalter stammt aus Indien und wanderte über Persien nach
Westen, wo sie in Hesiods
"Werke und Tage" einwurzelt. Die Kreisschlüssigkeit der Zeit,
gleichfalls Grundidee im persischen Zarathustrismus wie eben die darauf
beruhende Weltalterfolge, ist die allgemeinste Zeitvorstellung in der Antike,
vgl. auch die Lehren des Anchises im Unterweltbuch
der Aeneis; selbst Augustinus, dem man trotz seiner neuplatonischen Grundlagen
(Marius Victorinus ist sein trinitätstheoretischer
"Vorläufer") gern eine lineare Zeit-Strecke mit entschiedenem Schöpfungsanfang
und entscheidendem Weltgerichts-Ende unterstellt, kann die vielen Bibelstellen
nicht "begradigen", die von der Wiederbringung der Geschöpfe sprechen,
wo letzten Endes Gott wieder "Alles in Allem" sein soll, oder Psalm
103 (104) wo es heißt:
29. Du birgst dein Antlitz:
sie sind verwirrt;
du ziehst ihren
Odem ein: sie verscheiden,
und zu ihrem Staub kehren sie zurück;
30. du entsendest deinen Odem:
sie sind geschaffen, und du erneuerst das Antlitz des Ackers.
Den konzentriertesten Beleg
für die menschengestaltige Kindlichkeit des Aiôn, gewissermaßen
den eigentlichen "Liedkeim" dieser Ekloge, finden wir allerdings unter
den Fragmenten Heraklits (DK 22 B 52):
AIÔN Der
ZEITENKREIS
PAIS esti paizôn
ein KIND ist er, kindlich spielend,
pesseuôn Brettspielsteine
setzend;
PAIDOS hê basilêiê
einem KIND gehört die Königsherrschaft!
Vgl. auch das Lied der "Weisheit" in den Sprüchen Salomons
(Kap. 8,22 ff):
Nun also Publius Vergilius Maro,
die vierte Ekloge aus den Bucolica (den Hirtenliedern)
über die Geburt eines neuen Weltjahres: