Als man ihn aufgrund des Ansehens, das er genoß, darum bat,
als Gesetzgeber aufzutreten, wies er dies entrüstet von sich, weil die Stadt bereits zu sehr der Strömung des Verfassungsniedergangs
anheimgefallen sei. Er wich dem Verkehr aus und würfelte im Artemistempel mit den
kleinen Jungen, und als die Ephesier ihn dort umdrängten, rief er ihnen zu: "Was wundert ihr euch, ihr ruchloses Pack? Ist das denn nicht eine anständigere Beschäftigung, als
mit euch den Staat zu verwalten?" Endlich wurde er des Zusammenlebens mit den Menschen völlig
überdrüssig, schied aus ihrer Gemeinschaft aus und lebte einsam im Gebirge, sich von Gras und Kräutern nährend. Dadurch verfiel er der Wassersucht, kehrte in die Stadt zurück und fragte die Ärzte in Rätselsprüchen, ob sie "aus Überschwemmung Dürre machen" könnten. Da sie das nicht verstanden, grub er sich selbst in einen Kuhstall in den Rindermist ein in der
Hoffnung, durch die Wärme werde das Wasser ausdünsten. Aber das
war zwecklos. So starb er im sechzigsten Jahre. Mein Epigramm auf ihn lautet:
Rätselhaft war mir oft Heraklit: wie konnt' er sein Leben Nach soviel Mühe und Last schließen mit solch einem
Tod? Denn die ihn quälende Krankheit durchtränkte den Körper
mit Wasser, Löschte das Augenlicht ihm, gab ihn der Finsternis preis.
Hermippos aber berichtet, er habe die Ärzte gefragt, ob einer durch Druck auf seine Eingeweide das Wasser heraustreiben
könne; als sie es verneinten, habe er sich in die Sonne gelegt und den
Kindern befohlen, sie sollten ihn mit Rindermist bedecken; so sich abquälend sei er am zweiten Tage gestorben und auf
dem Markte beerdigt worden. Neanthes von Kyzikos dagegen behauptet, er sei, weil er den Mist nicht selbst hätte entfernen können,
liegengeblieben und, da er aufgrund der Veränderung nicht mehr erkennbar war,
von den Hunden verzehrt worden.
Schon von Jugend an erregte er Aufsehen: Als junger Mann erklärte er, nichts zu wissen, als reifer Mann
dagegen, alles zu wissen. Er ging bei niemandem in die Lehre, erklärte vielmehr, er erforsche
sich selbst und schöpfe sein ganzes Wissen aus sich selbst. Sotion aber berichtet, nach der Meinung einiger hätte er den
Xenophanes gehört, und Ariston behaupte in seinem Buche über Herakleitos, er sei auch von der Wassersucht geheilt worden und an einer anderen
Krankheit gestorben; das wird auch von Hippobotos bestätigt. Sein bekanntes Buch handelt im allgemeinen von der Natur, gliedert sich aber in drei Teile, deren erster von dem All, der zweite vom Staat, der dritte von der Gottheit handelt. Er legte es im Artemistempel nieder, absichtlich, wie einige meinen, in dunkler Sprache gehalten, damit nur die wirklich Berufenen sich mit ihm beschäftigten, während ein zu volkstümlicher Ton seiner Schätzung
leicht Eintrag tun könnte. Auch Timon zeichnet ihn mit ein paar Strichen:
Unter ihnen erhob sich der Schreier, der Schmäher der Menge, Herakleitos. der Rätselersinner.
Theophrast schreibt es seiner Schwarzgalligkeit zu, daß seine Ausführungen teils nur halbfertig seien, teils
bald dieses bald jenes Gesicht zeigten. Antisthenes führt als Zeichen seiner hohen Sinnesart in seinen
"Philosophenfolgen" an, daß er zugunsten seines Bruders auf die amtliche Königswürde
verzichtet habe. Seine Schrift gelangte zu so hohem Ansehen, daß es auch schülermäßige Anhänger von
ihm gab, die sogenannten Herakleiteer. Seine Lehre läuft im ganzen auf folgende Punkte hinaus:
Alles entsteht aus dem Feuer und löst sich wieder in dieses auf.
Alles geschieht nach unverbrüchlicher Schicksalsfügung
und durch Lauf und Gegenlauf wird alles in Einklang erhalten.
Alles ist voll von Seelen und Dämonen.
Auch über alle kosmischen Erscheinungen hat er seine Meinung
geäußert und daß die Größe der Sonne sich danach bestimmt,
wie sie einem erscheint. Auch geht der Spruch von ihm um [DK 22 B 45]:
Eigendünkel nannte er eine fallende Sucht und trügerisch
das Auge.
Zuweilen ist die Ausdrucksweise in seiner Schrift klar und verständlich, so daß sie auch der Stumpfsinnigste leicht versteht und sich
geistig gehoben fühlt. Die Kürze und die Wucht seines Ausdrucks sind unvergleichlich. Was die Lehre im einzelnen anlangt, so steht es damit so:
Denn durch Verdichtung nimmt das Feuer Feuchtigkeit an,
durch deren Zusammenschluß es zu Wasser wird.
Verdichtet sieh aber das Wasser, so wandelt es sich in Erde:
Dies ist der Weg hinab.
Anderseits wird die Erde flüssig, und so entsteht aus ihr das
Wasser,
aus diesem aber fast alles übrige, denn er führt es auf die
Ausdünstung aus dem Meere zurück:
Dies ist der Weg hinauf.
Naturlehre,
Feuer und Feuchtigkeit
DK
22 A 1: Fortsetzung der Darlegung von Heraklits Lehre bei Diog. Laert.
(9,9 f.)
ginesthai
de anathumiaseis apo te gês kai thalattês,
has men
lampras kai katharas, has de skoteinas.
auxesthai
de to men pur hupo tôn lamprôn, to de hugron hupo tôn
heterôn.
Es entstehen
Ausdünstungen aus der Erde und aus dem Meer,
die einen
hell und rein, die andern dunkel.
Das Feuer
nimmt zu durch die hellen, das Feuchte durch die anderen.
to de periechon
hopoion estin ou dêloi;
einai mentoi
en autôi skaphas epestrammenas kata koilon pros hêmas,
en hais athroizomenas
tas lampras anathumiaseis
apotelein
phlogas, has einai ta astra.
Zu der Beschaffenheit
des umfassenden Firmaments äußert er sich nicht.
In ihm gibt
es jedoch Schalen, die mit ihrer Höhlung uns zugekehrt sind.
Indem die hellen
Ausdünstungen sich in diesen Schalen sammeln,
produzieren
sie Flammen: das sind die Gestirne.
lamprotatên
de einai tên tou hêliou phloga kai thermotatên.
ta men
gar alla astra pleion apechein apo gês kai dia touto hêtton
lampein kai thalpein,
tên de
selênên prosgeioteran ousan mê dia tou katharou pheresthai
topou.
ton mentoi
hêlion en diaugei kai amigei keisthai
kai summetron
aph' hêmôn echein diastêma;
toigartoi
mallon thermainein te kai phôtizein.
Die Flamme
der Sonne ist am hellsten und wärmsten.
Denn die Sterne
sind weiter von der Erde entfernt und leuchten und wärmen deshalb
weniger.
Der Mond jedoch,
der der Erde näher ist, bewegt sich durch die Region, die nicht klar
ist.
Aber die Sonne
befindet sich im Durchsichtigen und Unvermischten,
und hat die angemessene
Entfernung zu uns,
deswegen leuchtet
und wärmt sie auch stärker.
ekleipein
te hêlion kai selênên anô strephomenôn tôn
skaphôn;
tous de
kata mêna tês selênês schêmatismous ginesthai
strephomenês
en autêi kata mikron tês skaphês.
Sonnen- und
Mondfinsternisse entstehen dadurch, daß die Schalen sich nach oben
wenden.
Die monatlichen
Phasen des Mondes entstehen dadurch,
daß
im Fall des Mondes die Schale sich allmählich umwendet.
hêmeran
te kai nukta ginesthai
kai mênas
hôras eteious kai eniautous huetous te kai pneumata
kai ta toutois
homoia kata tas diaphorous anathumiaseis.
tên
men gar lampran anathumiasin phlogôtheisan en tôi
kuklôi tou hêliou
hêmeran
poiein,
tên
de enantian epikratêsasan nukta apotelein.
Es entstehen
Tag und Nacht
und Monate,
Jahreszeiten, Jahre, Regen und Winde
und dergleichen
gemäß den verschiedenen Arten der Ausdünstung.
Denn die helle
Ausdünstung, die sich im Kreise der Sonne zur Flamme entzündet,
bewirkt den Tag;
wenn aber
die entgegengesetzte Ausdünstung vorherrscht, so erzielt sie die Nacht.
kai ek
men tou lamprou to thermon auxomenon theros poiein,
ek de tou
skoteinou to hugron pleonazon cheimôna apergazesthai.
akolouthôs
de toutois kai peri tôn allôn aitiologei.
peri de
tês gês ouden apophainetai poia tis estin,
all' oude
peri tôn skaphôn.
Die Zunahme
der Warme vom Hellen her macht den Sommer;
das Übergewicht
des Feuchten vom Dunkeln her bewirkt den Winter.
In analoger Weise
gibt er auch die Ursachen der übrigen Naturerscheinungen an.
Über
die Erde, wie sie beschaffen sei, sagt er jedoch nichts,
über
die Schalen auch nicht.
6.
Aristot. meteor. B 2, 355 a
ho hêlios
ou monon, kathaper ho Hêrakleitos phêsi, neos eph' hêmerêi
estin,
all' aei
neos sunechôs.
Die Sonne
ist nicht nur, wie Heraklit sagt, an jedem Tage wieder jung,
sondern kontinuierlich
immer jung.
7.
Aristot., sens. 5,443a
ei panta
ta eonta kapnos genoito, rhines an diagnoien. Wenn alles
Seiende zu Rauch würde, könnte die Nase es wohl unterscheiden.
anthrôpos
en euphronêi phaos haptetai heautôi,
apothanôn, aposbestheis opseis;
zôn
de haptetai tethneôtos, heudôn, aposbestheis opseis;
egrêgorôs
haptetai heudontos.
In der Nacht
entzündet der Mensch ein Licht für sich, sterbend, erloschen
die Sehkraft;
dennoch lebendig,
entzündet er sich an dem Gestorbenen, schlafend, erloschen die Sehkraft;
im Wachen
entzündet er sich an dem Schlafenden.
27.
Clemens Alex., strom. 4,144,3
anthrôpous
menei apothanontas hassa ouk elpontai oude dokeousin. Die Menschen
erwartet, wenn sie sterben, was sie weder erwarten noch annehmen.
29.
Clemens Alex., strom. 5,59,5
haireuntai
gar hen anti hapantôn hoi aristoi: kleos aenaon thnêtôn;
hoi de
polloi kekorêntai, okôsper ktênea.
Eins vor allen
anderen wählen sich die Besten: den ewigen Ruhm vor den sterblichen
Dingen;
die große
Menge aber ist gesättigt, wie das Vieh.
43.
Diog. Laert. 9,2
hubrin
chrê sbennunai mallon ê purkaiên. Hochmut muß
man noch viel eher löschen als eine Feuersbrunst.
63.
Hippol., haer. 9,10,6
[enthadeonti]
epanistasthai
kai phulakas
ginesthai egerti zôntôn kai nekrôn.
[...] stehen
sie auf aus dem [Todes-]Schlaf
und werden
im Wachen Wächter über Lebendige und Tote.
78.
Kelsos ap. Orig. c. Cels. 6,12
êthos
gar anthrôpeion men ouk echei gnômas,
theion
de echei.
Menschliches
Verhalten verfügt nicht über Einsichten,
wohl aber
göttliches.
79.
Kelsos ap. Orig., c. Cels. 6,12
anêr
nêpios êkouse pros daimonos
hokôsper
pais pros andros.
Der Mann heißt
unmündig im Verhältnis zum Gott,
wie das Kind
im Verhältnis zum Erwachsenen.
82.
Platon, hipp. maior 389 A
pithêkôn
ho kallistos aischros anthrôpôn genei sumballein. Der Schönste
der Affen ist häßlich, mit dem Menschengeschlechte verglichen.
83.
Platon, hipp. maior 289 B
anthrôpôn
ho sophôtatos pros theon pithêkos phaneitai
kai sophiêi
kai kallei kai tois allois pasin.
Der weiseste
der Menschen erscheint im Verhältnis zum Gott wie ein Affe,
was Weisheit,
Schönheit und in alle anderen Dinge angeht.
85.
Plutarch, cor. 22
thumôi
machesthai chalepon:
ho gar
an thelêi, psuchês ôneitai.
Es ist eine
schwere Aufgabe, den Mut zu bekämpfen:
was er nur
will, das kauft er mit der Lebensseele.
96.
Plutarch, symp. 669 A
nekues
gar kopriôn ekblêtoteroi. Leichname
sind eher zu entsorgen als Scheiße.
101
a. Polybios 12,27
ophthalmoi
tôn ôtôn akribesteroi martures. Augen sind
schärfere Zeugen als die Ohren.
102.
schol. vet. ad Hom. Il. 4,4
tôi
men theôi kala panta kai agatha kai dikaia,
anthrôpoi
de ha men adika hupeilêphasin ha de dikaia.
Dem Gott ist
alles schön und gut und gerecht;
die Menschen
aber haben das eine als ungerecht angesetzt, das andere als gerecht.
107.
Sext. Emp., adv. Math. 7,126
kakoi martures
anthrôpoisin ophthalmoi kai ôta barbarous psuchas echontôn. Schlechte
Zeugen sind den Menschen Augen und Ohren, wenn sie barbarische Seelen haben.
110.
Stobaios 3
anthrôpois
ginesthai hokosa thelousin ouk ameinon. Wenn den Menschen
das zuteil wird, was sie wollen, ist es noch nicht das Bessere.
119.
Stobaios 5
êthos
anthrôpôi daimôn. Des Menschen
Verhalten ist ihm sein Gott.
Kritik
an Dichtern und anderen Philosophen
14.
Clemens Alex., protr. 22,2
tisi dê
manteuetai Hêrakleitos ho Ephesios?
nuktipolois,
magois, bakchois, lênais, mustais;
toutois apeilei
ta meta thanaton, toutois manteuetai to pur;
ta gar
nomizomena kat' anthrôpous mustêria anhierôsti muountai.
Wem prophezeit
Heraklit aus Ephesos?
Den in der
Nacht Umherwandernden, Magiern, Bakchen, Mänaden, Mysten;
Denen droht er
mit den Dingen nach dem Tode, prophezeit er das Feuer;
denn die bei
den Menschen geltenden Mysterien werden in unheiliger Weise begangen.
28.
Clemens Alex., strom. 5,9,3
dokeonta
gar ho dokimôtatos ginôskei, phulassei;
kai mentoi
kai Dikê katalêpsetai pseudôn tektonas kai marturas.
Das Annehmbare
ist es, was der Bewährteste erkennt und verteidigt;
Dike wird
aber ganz gewiß die Zimmermänner und Zeugen der Lügen strafen.
35.
Clemens Alex., strom. 5,140,6
chrê
gar eu mala pollôn historas philosophous andras einai kath' Hêrakleiton. Nach Weisheit
strebende Männer müssen sehr viele Dinge erforschen, so Heraklit;
40.
Diog. Laert., 9,1
polumathiê
noon echein ou didaskei;
Hêsiodon
gar an edidaxe kai Puthagorên autis te Xenophanea te kai Hekataion.
Vielwisserei
lehrt nicht, Vernunft zu haben;
sonst hätte
sie es Hesiod gelehrt und Pythagoras, wie auch Xenophanes und Hekataios.
42.
Diogenes Laertios 9,1
Homêron
ephasken axion
ek tôn
agônôn ekballesthai kai rhapizesthai
kai Archilochon
homoiôs.
Homer, sagte
er, verdient es,
aus den Wettbewerben
hinausgeworfen und verprügelt zu werden,
und Archilochos
genauso.
56.
Hippolytos, haer 9,9,6
exapatêntai
hoi anthrôpoi pros tên gnôsin tôn phanerôn
paraplêsiôs
Homêrôi, hos egeneto tôn Hellênôn
sophôteros pantôn.
ekeinon te
gar paides phtheiras katakteinontes exapatêsan eipontes:
hosa eidomen
kai katelabomen, tauta apoleipomen,
hosa de
oute eidomen out' elabomen, tauta pheromen.
Hinsichtlich
der Erkenntnis der offenkundigen Dinge werden die Menschen irregeführt
ähnlich
wie Homer, der, verglichen mit allen anderen Griechen, noch der weiseste
war.
Jenen nämlich
führten Knaben, die Läuse töteten, in die Irre, indem sie
sagten:
»Was
wir gesehen und angefaßt haben, das lassen wir zurück,
und was wir
weder gesehen noch angefaßt haben, das nehmen wir mit«.
57.
Hippol., haer. 9,10,2
didaskalos
de pleistôn Hêsiodos;
touton
pistantai pleista eidenai, hostis hêmerên kai euphronên
ouk eginôsken;
esti gar
hen.
Lehrer der
meisten ist Hesiod; sie sind überzeugt, jener wisse das meiste,
er, der den
Tag und die Wohlmeinende [d.h. die Nacht] nicht kannte,
denn die sind
eins.
104.
Proklos, in Alk.
tis gar
autôn noos ê phrên?
dêmôn
aoidoisi peithontai kai didaskalôi chreiôntai homilôi,
ouk eidotes
hoti hoi polloi kakoi, oligoi de agathoi.
Was haben
sie eigentlich für eine Vernunft oder Urteilskraft?
Sie hören
auf Volkssänger und bedienen sich der großen Menge als Lehrer,
nicht wissend,
daß »die meisten schlecht sind und nur wenige gut«.
121.
Strabon 14,1,25
axion Ephesiois
êbêdon apanxasthai pasi
kai tois
anêbois tên polin katalipein,
hoitines Hermodôron
andra heôutôn onêiston exebalon phantes:
hêmeôn
mêde eis onêistos estô;
ei de mê,
allê te kai met' allôn.
Recht geschähe
den erwachsenen Ephesiern, sie allesamt aufzuknüpfen
und die Stadtverwaltung
den Unmündigen zu hinterlassen,
sie, die den Hermodor,
den Fähigsten unter ihnen, hinausgejagt haben mit den Worten:
»Von
uns soll keiner der Fähigste sein
oder, wenn
schon, dann anderswo und bei anderen Leuten.«