1.
Der Mensch – Maß aller Dinge? – ist maßlos: Von allen Seiten will er seine Existenz bestätigt sehen, sonst glaubt er nicht dazusein. In diesem "Wir" erst fühlt er sein Ich erfüllt. Im "Wir" will ich verstanden werden, über mein einzelnes Leben hinaus, auch über die Sprachbindung der Kultur hinweg, noch über das organisch gebundene jetzige Entwicklungsstadium der Menschheit hinaus, über alle Grenzen hinweg, universell, universenweit.
Und wir wollen wiederum anderes und andere verstehen, das Fremdeste noch, um Halt zu finden "im Geist und in der Wahrheit" des Ganzen.
Menschen, Erkenntnisjäger und –sammler, Denkende, die tatsächlich immer denken müssen, sich mit sich selbst verständigen, Identität im Fremden suchen, "Wir": Einerseits verloren im Milchmeer der Sternmilliardentausende unserer eigenen Galaxie, die selbst sich verliert unter den Milliardentausenden anderer Galaxien – schwer vorstellbar, kaum zu ahnen die Sonnenfülle des eigenen losen Weltenwirbels, vollends unvorstellbar das Produkt der beiden Zahlen (ungefähre Anzahl der Galaxien multipliziert mit der mutmaßlichen Sternenanzahl einer einzelnen), irgendwo im Quadrilliardenbereich unseres Zehnfingerzählsystems. Andererseits angeblinzelt aus all diesen Augen – tragen wenigstens einige dieser Myriaden Lichter Bewußtsein? Oder finden wir in den Tiefen des Nachthimmels nur die Meilensteine und Leuchtfeuer der eigenen optischen Reichweite, der eigenen uns bewußt werdenden Objektwelt?
Die Wahrscheinlichkeit belebter, bewohnter, zivilisierter Planeten um irgendeine dieser Sonnen ist schwer zu berechnen; vor allem ist diese Zahl abhängig vom Selbstverständnis der Berechner: Sollen die verständnisfähigen Bewohner Zweibeiner mit zentralem Nervensystem sein? Stiefkinder der Natur, unspezialisiert, schnauzenlos und großköpfig wie mittellose Dauer-Säuglinge, Mängelwesen, erziehungsbedürftig aufgrund ihrer verzögerten Geschlechtsreife? Erfinderisch vor allem dann, wenn es um Macht geht, aber von seltsamer Opferfreudigkeit, wenn die Hormone ihres Vermehrungstriebes in ihnen wirksam werden? Techniker? Etwa Künstler?
In welcher Lebensgeschwindigkeit können außermenschliche Intelligenzen empfinden, reagieren und handeln? Rasant wie Fliegen? Behutsam wie große Säuger? Ist ihnen ein Tag wie tausend Jahre – oder tausend Jahre wie ein Tag? Hat unser Schlaf für sie die Bewußtseinsintensität des Wachzustandes und sie tummeln sich traumtänzerisch in seiner Glückseligkeit - oder hat unsere Wachheit für sie die dumpfe Grundstimmung eines erholsamen Traumes, von dem sie zu helleren Aktivitäten aufwachen? Wenn wir uns doch nur selber ein wenig gründlicher daran erinnern könnten, wie die mütterlichen Vorphasen unserer jungen Selbstbewußtseins-Geburt die variskische Gebirgsbildung, die untermeerischen Schichtungen des Erdmittelalters, das Aufblühen der Sinnlichkeit in den Warmblütern des Tertiär "erfahren" haben!
Und überhaupt – Leben! Gibt es noch andere Möglichkeiten der iterativen und komplexen Selbstorganisation von Materien, etwa in Gasen, in Plasma, oder vielleicht noch viel dünner und weiträumiger als unsere, der Menschen und Tiere, Molekülstränge durch die interatomaren Vakuen? Wie wäre es mit gut gefügten Hoch- und Tiefdruck-Spiralen, wenn es denn zellulär sein muß? Oder ergibt sich der unbegrenzte Reichtum der entwickelten Selbstdarstellung und Selbstverständigung organischer Gestaltungen nur auf der Basis der Kohlenstoffverbindungen? Selbst damit war ja schon auf Erden mehr an phantastischen Lebensformen möglich als der Rest, der das Ende der Kreideformation und vor kurzem noch die Eiszeiten überlebte.
2.
Der naive Anthropomorphismus älterer Zeiten liebte es, unsere Nachbarplaneten mit Wesen zu besiedeln, die ein Gesicht haben, mit Göttern, Engeln, Verstorbenen, besonderen Tieren, später zum Spiel mit den grünen Männchen. Nun, die Erdenbedingungen sind, wie wir wissen, zu eng für solche Nachbarschaften, sie bilden ein messerscharf schmales Band von Möglichkeiten. Größe und Entfernung solch eines Planeten von seiner Sonne müssen die Ausbildung einer passenden Wasser- und Lufthülle mit entsprechendem Wetter- und Wärmehaushalt erlauben; schwierig ist auch die Ausbildung symbiotisch aufeinander bezogener Reiche wie auf der Erde die Komplementarität von Pflanzen- und Tierreich mit ihren Atmungen, Ausscheidungen, Nahrungskreisläufen und Verbreitungsstrategien. Sauerstoff, für die ersten Lebewesen giftig, "durfte" erst in einer späteren Phase der Atmosphären-Entwicklung so konzentriert vorhanden sein, wie er dann für die Atmung der Tiere auf dem Trockenen notwendig wurde. Vieles ist noch ungeklärt, vor allem die Katastrophen und Wechsel wie z.B. die Eiszeiten des Quartär, plötzliches Aussterben oder "Zurückgeschnittenwerden" reich entwickelter Äste am Stammbaum der Lebewesen, und vor allem: die Zukunft, die weitere Entwicklung, wie sie die inkarnierte, Gesicht gewordene Intelligenz auf diesem "dritten Stein von der Sonne" in die Hand nimmt, die nächsten Jahrhunderte, Jahrtausende, Jahrmillionen. Schon das Ausdenken der augenblicklichen Jahrzehnte verursacht Höhenängste, Haltlosigkeit über dem Abgrund: Der Mensch selbst kann die Lebensgrundlagen des eigenen Planeten verfehlen, seine atmosphärische, hygrische und ökologische Einbettung aus dem prekären Gleichgewicht bringen. Ein Seiltanz.
Also am Ende nicht nur ein sehr eingegrenztes Stück Sonnennähe, sondern auch eine kurze Episode in der Zeit, vertane Chance, Blüte einiger weniger Generationen ohne Frucht? Daß ein so rasch verfackeltes Bewußtsein ein ähnliches Feuerwerk trifft, das im Entstehen bereits verglüht, wäre nur möglich, wenn diese Begegnung im erleuchteten Verwehen Ursprung oder Erfüllung der Zeit selbst wäre. Aber das wären nicht die Zeiten und Räume, mit denen Geologen, Biologen und Astronomen zu tun haben, nämlich die grenzenlosen Projektionsschirme des aktuellen Wachbewußtseins und seiner "naiven" Objektivität, sondern andere, die zu untersuchen wir uns hier vornehmen müssen.
Die (zunächst einmal noch im physikalisch-"naiven" Sinne) nächstplazierten Sonnen mit solchen Planeten in entsprechender Reife ihrer "irdischen" Möglichkeiten – sind nicht greifbar, nicht nachgewiesen, auf jeden Fall aber: zu weit entfernt!
Denn als größte Schwelle der Verständigung mit außermenschlichen Intelligenzen erscheint die Weite des Raumes: Keine Information kann schneller hin- oder hergehen als das Licht oder andere elektromagnetische Schwingungen. Und jedes Raumschiff, das die kommunikationsfreudigen Intelligenzen in den unmittelbaren körperlichen Kontakt ihrer leiblichen Ausprägungen, Träger und Instrumente bringen wollte, wäre durch die Lichtgeschwindigkeitskonstante in seiner Beschleunigung beschränkt, da es (laut Einstein) mit Annäherung an diese Konstante einen Massenzuwachs erlitte, dessen Trägheit nur mit entsprechend heftigeren Treibsätzen überwunden werden könnte - und das ins Unendliche von Masse, Trägheit und Beschleunigungsnot beim Erzielen der Lichtgeschwindigkeit!
Aber die Information kann bereits dasein, wie der Igel vor dem Hasen, nicht eben durch licht- oder materiegebundenen Austausch, sondern durch gemeinsames Wissen, gemeinsame, nicht austauschbedürftige Wahrheiten; oder durch Informationen, deren bereichernder Austausch, und Wahrheiten, deren systembildende Auseinandersetzung keiner Entfernungsüberwindung im Raum, vielleicht nicht einmal einer Distanzüberwindung in der Zeit bedürfen.
Wenn es die denn gibt.
Quod est demonstrandum (vel explicandum).
3.
Lassen wir also die Reihe der Kandidaten für solche Wissensaustäusche oder Informationen, die einer Entfernungsüberwindung im Raum nicht bedürfen, zur Untersuchung antreten. Wer wird das Universum einem "Wir" aller Intelligenzen öffnen können (und leistet dies also auch schon seit jeher)?
Zum einen scheint die Allgemeingültigkeit mathematischer und logischer Sätze für alle wie auch immer gearteten Intelligenzen unabweisbar zu sein.
Zum andern sind, wie wir zumindest vor-annehmen wollen, eben die Grundstrukturen des Raumes und der Zeit selbst nicht wieder entfernungsabhängig, also in den Gesetzen der Geometrie allen Intelligenzen einsichtig.
Drittens werden all die Erfahrungsgrundlagen bewußter Wesen universale Geltung beanspruchen, die nicht selbst durch individuelle oder auch kollektiv-evolutionäre Erfahrung erworben werden können, sondern als Bewußtseinsstruktur erfahrungsfähiger Subjekte aller Objektivierung vorausgehen müssen.
Viertens wollen wir trotz des ausscheidenden Kriteriums der Entfernungs-Unabhängigkeit diejenige Erfahrungssättigung nicht außen vor lassen, die allen Menschen (außer den Metaphysikern) als eigentliche Fülle ihres Erlebens in den Sinn kommt, nämlich die sinnlichen Informationen, deren unauflösliche menschliche Subjektivität bisher offensichtlich keinen Science-fiction-Autor oder Identifizierer unidentifizierter fliegender Objekte davon abgehalten hat, außermenschlichen Intelligenzen gleichartige Wahrnehmungsorgane, Aufmerksamkeiten und Interpretationen einer "Dingwelt" zu unterstellen.
Fünftens und sechstens wollen wir auch einige Steine wägen, die von den naiv-realistischen Bauleuten unserer szientistischen Weltbilder in der Regel verworfen werden: ethische Prinzipien des Handelns, also das Gute, und ästhetische Einsichten, also das Schöne. Solche Steine sind auch sonst gelegentlich zu Ecksteinen geworden, wenn nicht gar zu den Schlußsteinen, die alles halten.
Siebtens wird die Intelligenz
selbst ihr eigener Kandidat für intersubjektive, aber entfernungsunabhänige,
Wissensentfaltung sein müssen, insofern sie sich nicht schon durch
die vorherigen Untersuchungen als dieses "Wir" entdeckt hat.
B. Wer oder was öffnet das Universum einem "Wir" aller Intelligenzen?
1.
Tautologien, logische Selbstverständlichkeiten, sind die Arten von Sätzen, die am schwersten in ihrer Allgemeingültigkeit zu bezweifeln sind. Es bedarf schon besonderer Koans und anderer lakonischer Zenmeisterkünste, die Identität eines Sachverhalts mit diesem Sachverhalt selbst immerzu umzustürzen oder wenigstens nur für kurze Momente zu lüpfen.
Immerhin ist die Identität des denkenden Subjekts mit sich selbst, wie sie dem Selbstbewußtsein eignet, nicht von der gleichen banalen Starrheit wie die wiederholte Bezugnahme auf einen objektiven Inhalt oder das Wiedervoraussetzen einer ausreichend begründeten "Wahrheit". Wer bin ich? Als Quelle aller tätigen Veränderung meiner Umgebung, als lernendes Schlängelwesen, das seine Häute immer wieder hinter sich läßt, als Gedanken-, Gefühls, Bewertungswechsel, fast schon im gleichen Moment eines Eindrucks der entgegengesetzten Vermutung und Vergleichung fähig – bin ich ganz gewiß ein reines Tun, Vollziehen, Hervorbringen von Wirkungen in mir selbst und um mich herum, ein handelndes Wesen, eher noch: das Handeln selbst, objektverändernder Kraftstrom vor allen Objekten, in sie hinein, durch sie hindurch.
Mit sich identisch bleiben dürfen innerhalb dieser verändernden Bewegung zum einen die Objektkerne, an die die Änderungen herangetragen werden oder die von ihnen verwandelt werden (a), zum andern die qualitativen, strukturellen oder geistigen Konzepte, besonders in ihrer wissenschaftlichen Klärung und Mitteilbarkeit (b), zum dritten die Zuschreibung von Handlungen, die Verantwortung des Täters, Erfüllung und Vollendung seiner Absichten und Ziele (c).
a) Das Identifizieren und als mit sich identisch Festhalten objektiver Tatbestände, so daß die Dinge als das bewußt und bezugsfähig bleiben, "was sie sind", nämlich Identitätsachsen durch das Gewimmel der Veränderlichkeiten und Objektkerne vergegenständlichter Bewußtseinsinhalte, setzt einen Verstand voraus, der das schwer Überschaubare durch Vereinfachungen und Verallgemeinerungen generalisiert, durch eine Auswahlhierarchie der Gesichtspunkte das wesentliche Allgemeine vom zufälligen Besonderen abstrahiert und – durch ein nachbildendes, reproduktives Vergleichen im Vorstellungsraum des Bewußtseins – die innere logische Ordnung dieser Allgemeinheiten klärt.
Dieses innere Experiment des Verstandes, in dem er das, was er besser begreifen will, innerlich nachbildet und dadurch, daß er es in der Vorstellung reproduziert, die Entstehungsbedingungen der Sache nachzuvollziehen und zu überprüfen sucht, setzt offensichtlich eine "äußere", unabhängige, vorherige, mit sich selbst identische Produktion oder Entstehung der Sache voraus: einen schaffenden, konstituierenden Verstand vor dem nachvollziehenden des menschlichen Bewußtseins. Wir begegnen nun entweder hier schon einer außermenschlichen Intelligenz, mit der wir durch das verständige Aufschlüsseln der Erfahrung schon immer kommunizieren, oder wir folgen einer etwas verborgeneren inneren Aufgabenstellung, einer eigentlicheren Intelligenz-Leuchte in unserem reflektierenden Verstand, gewissermaßen immer auf der Schwelle der Begegnung "mit uns selbst".
Zunächst allerdings lösen sich die meisten Gegenstände im Wandel ihrer Eigenschaften geradezu auf, insbesondere all die "toten", die funktionalen, die aus dem Zusammenhang herausgegriffenen Dinge des Alltags: schon geringe Änderungen ihrer Bedingungen, etwa der Temperatur oder der Konsistenz, lassen sie schmelzen oder verlorengehen, machen ihre Unterscheidung von anderen unbedeutend, lassen sie als Einzelfall wesentlicherer (physikalischer und chemischer) Gesetzmäßigkeiten deuten, die sich am jeweiligen Beispiel treffen und auswirken, wie die Honigkerze in den Meditationen des Cartesius oder die Salzkristalle in Hegels Phänomenologie.
Aber man geht zu weit, wenn man die Eigenständigkeit intelligenter Strukturen außerhalb, unterhalb, vielleicht auch oberhalb des menschlichen Nachbildens verneint. Selbst bei den unbelebten Dingen waltet ein struktureller Reichtum, eine Welt innerer Bezüge und auch eine epochengliedernde Entwicklung, man gehe nur mehr vom funktionalen Umfeld des Menschen und seinen Gebrauchsgegenständen weiter fort, tiefer in die Natur hinein: Mineralogische und geologische Fundstücke, jeder simple Kiesel mit seinen Binnenkristallen und seinen geschliffenen Rundformen, Gebirge und ihre Talausschürfungen durch Eis und Wasser, oder auch wie Böden sich bilden, wie Wettervorgänge abrollen, von der Keplerschen Mathematik der Planeten ganz zu schweigen - das sind dann nicht mehr bloße Dinge, isoliert faßlich, sondern eher krafterfüllte Vorgänge, die Zeit spielt bei ihren Wandlungen und Wirkungen ineinander eine maßgebliche Rolle; Licht, Feuer, Wellen und Sturmspiralen sind Geschehnisse von eigener Struktur und Originalität. Selbst wenn wir alle Kräfte auf Gravitation einerseits und Licht andererseits zurückführen wollten, bliebe die Fernwirkung dieser Prinzipien ein unauflösliches Rätsel des in sich verschlungenen Raumes; aber der unendliche Reichtum ihrer fraktal verzweigten Selbständigkeiten, ihrer verflochtenen Feinwirkungen, bis hinein in die Urzeugung des organischen Lebens, bis hin zum tödlichen Gorgonenblick des Verstandes, formuliert die Sprachen, die vielschichtigen Übersetzungen ineinander, in denen sich das Rätsel spiegelt und stellt.
Was unsere zwischenmenschlichen Sprachen angeht, so gelten uns die Dinge als Subjekte, die den Dingen zugeschriebenen Eigenschaften als Prädikate innerhalb der Sätze; wenn die Dingwelt schon aus sich aussprechenden Wesenheiten und Übersetzungsschichtungen verschiedener Sprachen bestehen soll – bleiben dabei die Dinge Subjekte mit Prädikationen untereinander, mit Verständnisschwellen und kommunikativen Vereinigungen zwischen den sprechenden Welten? Zumindest in ersten elementaren Schritten bis zur klareren Sprache und Schrift der organischen Reproduktionen?
Und dann auf anderer Ebene eben diese, die Tetragrammatik der Erbinformation – be-schreibt sie Prädikationen an Subjekten? Denkt, spricht, prädiziert die Natur selbst schon so, wie der Verstand es immer vollzieht bzw, nachvollzieht, der sie in Subjekte gliedert oder die Subjekte ihr unterstellt, an denen, als an ihren Trägern, sich Prädikate kreuzen, konkretisieren, lokalisieren? Wenn die langen Schriftschnüre nur Programme darstellten, Anweisungen, einem zielhaften Bedingungsgefüge eingeordnet, wäre ihre Grammatik die von Imperativen: sie bräuchte keine Subjekte. Hypothetische Imperative wären in ihnen verfaßt, Klugheitsmuster der Natur. Die Bedingungsgefüge bildeten dabei schon eine Metaebene über den Anordnungen zur Aminosäurensynthese, genau wie bei bedingten Imperativen menschlicher Sprache (und in den Verhältnissen unserer Sprache begreifen wir Strukturen überhaupt).
Das Identifikationszentrum der Organismen ist eine Finalursache, man mag es Selbsterhaltung und Selbstwiederholung nennen, es ist mehr als nur ein "Nach-Zeit-Schnappen", es ist die gestaltende Zweckmäßigkeit, die dem ganzen Organismus bis eben hinab zum Buch des Lebens in den Nukleinsäuren und ihrer elementaren Produktion Ziele gibt. Prädikationen ohne Subjekte, bestenfalls an elementaren Objekten, aber nicht als einem Subjekt zugeordnete Beschreibung, finden sich in Befehlen und Anordnungen, oder emotionsfreier: in den Ereignissen und Abläufen, die zur Erfüllung der jeweils vorgegebenen Finalursache notwendig sind, zur Synthese bestimmter Eiweiße, zur Differenzierung der Organe aus den Keimblättern, zum pulsierenden Leben überhaupt.
Woher stammt nun die Finalität der Programme? Da die organische Selbstorganisation durch die innere Zielsetzung, durch ihre Zweckmäßigkeit, ihre Ausrichtung auf Selbsterhaltung und Selbstwiederholung ganz offen intelligent wird, dürfen wir fragen, wessen Intelligenz sich hier zeigt. Hier haben wir außermenschliche Intelligenz, der menschlichen weit überlegen, der menschlichen Intelligenz durch die organischen Grundlagen des durch sie gebildeten Leibes sogar Voraussetzung, notwendige Voraussetzung, von unserem Bewußtsein kaum einzuholen.
b) Die Konstanz einzelner Dinge mag vorübergehend vom Menschen aus unterstellt sein, vorläufige Stufe auf dem Weg weiterer Vereinfachungen und Generalisierungen; aber sind die Identitätsachsen, die der Verstand durch die Phänomenwechsel zieht, in ihren von aller Zufälligkeit bereinigten Generalisierungsgipfeln nicht bloße Begriffe? Geht das innere Experiment der vereinfachenden Verallgemeinerung und des rekonstruierenden Vergleichs in einer eigenen Höhenstufe von Fels und Eis über das letzte Grün des konkreten Lebens hinaus?
Anders gefragt: Ist die Phänomenwelt mit ihren Selbständigkeiten, mit den um eigene Achsen zentrierten Systemkreisläufen nicht nur der lebenden Individuen, der ökologischen Symbiosen, der organisch-organisierten Reiche, sondern auch der anorganischen Wechselwirkungs-Komplexe, wie oben erwähnt, eben durch ihre Selbstbezüglichkeit, Zentriertheit, systematische Eigenständigkeit eingebettet in solch eine Ideenwelt von "Identität und Verschiedenheit", in einen reinen Strukturenteppich von "Konstanz und Variabilität" oder "Symmetrie und Asymmetrie", vielleicht sogar des ganzen Interferenzmuster-Rausches der Zahlenreiche und ihrer verschachtelten Operationen?
Dem zwielichtigen Nebeneinander realer Universalien bzw. platonischer Ideen einerseits und sinnlicher Wirklichkeit andererseits ist das Vexierbild vorzuziehen, entweder: die sinnlichen Einzelfälle als die Realität aufzufassen, die wir uns in ideellen Verallgemeinerungen vereinfachen, um die ersatzweisen Begriffe besser handhaben zu können - aber wie kann die Verknüpfung dieser Begriffe einen wirklichen Zusammenhang der sinnlichen Verhältnisse wiedergeben? – oder: die sinnlichen Beispiele als Ausdruck und Zeichenspur des sich Wissenden zu untersuchen, sei es als Überschäumen und Überfluß der sich selbst genügenden Ideenwelt ("Druck"), sei es als Lücke, Narbe, Fehlerstelle, Mangelspur, gezogen durch die Fülle der ideellen Wirklichkeit ("Sog").
Ungleichgewichtig ist das Verhältnis der beiden Aspekte dieses "Wackelbildes" zunächst für das gewöhnliche Alltagsbewußtsein: Wirklich ist im üblichen Sinne nur die Sinnenwelt; die Begriffe gelten dagegen als erworbene Hilfsmittel; dieser Standpunkt wird vielleicht gestärkt durch das Wissen davon, daß unser Nervensystem, unser Wachbewußtsein und unsere begriffliche Auffassung von der Welt eine sehr späte evolutionäre Errungenschaft zu sein scheinen, ein flüchtiges Erbe, jüngste unter allen biologischen Schichtungen und Geschichten. Diese Asymmetrie kippt im Gegensinn, zugunsten des Universalienrealismus bzw. der platonischen Ideen-Autarkie, wenn begriffliche Kriterien konsequent zur Anwendung kommen: Die Ideenwelt zeigt sich als konsistent, zeitlich invariant, in ihren Ableitungen und innerlich vergleichenden Überprüfungen folgerichtig – und die Sinnenwelt als verständlich und erschließbar nur durch diese Selbstklärung der logischen Verhältnisse bis hin zu wissenschaftlicher Systematik. Die sinnliche Welt reduziert sich auf die Chiffernebene einer sich mitteilenden Intelligenz, die sich in unserem kleinen Begriffsvermögen nachbildend zu verstehen sucht. Oder – um den Reduktionismus wieder aufzuheben: Die Chiffern der sinnlichen Welt werden, auch wenn wir noch stotternd lesen üben, aufgeschlüsselt, durchlesen, gedeutet als Mitteilung und Ausdruck sich mitteilender, sich sinnlich ausdrückender Wesenheiten, seien es untergründige Intelligenzen unserer Leiblichkeit oder unserer Seelentiefen, seien es die ordnenden Kräfte der Natur um uns, vor uns.
Dinge erscheinen im stufenweise fortschreitenden Erkennen als festgehaltene und vereinzelte Zustandsphasen von Vorgängen und vorgehenden Kräften, von dynamischen Ereignissen innerhalb eines komplexen Ereignisstromnetzes; Vorgänge aber klären sich in einer ursachenforschenden Betrachtung als Ausdruck von Handlungen, Handlungen nun sind allerdings Verwirklichung von Intelligenz. Aber das ist nur ein empfohlenes allgemeines Stufensystem; auf den einzelnen Stufen oder Ebenen mag man haltmachen und die jeweilige Wissenschaft entfalten; es ist zu viel, von einem Geophysiker zu verlangen, dem Demiourgen der Erde die Hände zu schütteln, oder von einem Pflanzensystematiker, die Baumnymphen zu küssen. So einfach ist das nicht (nicht einmal für Apollon, vor dessen Berührung sich Daphne in den Lorbeerstrauch verwandelte), es ist mehr ein Desiderat als eine erfüllbare Notwendigkeit.