Den Anmerkungen zu einzelnen
Stellen schicken wir eine
Abhandlung
über das ganze Gedicht
voraus, um unsere Ansicht über die Entstehung desselben und das Verhältniss
seiner verschiedenen Theile zu einander wie zur Geschichte und Sage darzulegen.
§ 1
Urkundlicher Text
Das Gedicht vom Wartburgkriege
findet sich in keiner Handschrift vollständig; wir müßen
die dazu gehörigen Strophen aus folgenden zusammenlesen:
M. Die Pariser Handschrift
der Minnelieder, gewöhnlich Manessische Sammlung genannt, giebt von
den 175 Strophen, welche wir hier vorlegen, 91; zweie derselben, 13 und
18, sind aber nur abweichende Gestaltungen derselben an verschiedenen Stellen
mitgeteilten Strophe.
J. Die Jenaische
Liederhandschrift ist reichhaltiger: sie giebt, die unvollständig
erhaltenen mitgezählt, 119 Strophen, zum Theil dieselben, welche wir
schon aus M. kennen, und diese in älterer Gestalt.
L. Den sogenannten
ersten Theil geben diese Handschriften vollständig, keine von beiden
den zweiten, der uns überhaupt nur lückenhaft überliefert
ist. Einige dieser Lücken füllt das zuerst von Görres 1813
nach zwei Vaticanischen jetzt Heidelberger Handschriften (364 und 345),
zuletzt 1858 von Rückert herausgegebene Gedicht Lohengrin oder
eigentlich Loherangrin (L), das eins der im Wartburgkrieg vorgelegten Räthsel
zu einem eigenen weitläufigen Gedicht ausspinnt und zu dem Ende von
dem sogenannten zweiten Theil unseres Gedichtes, dem Räthselspiel
zwischen Klingsor und Wolfram, anhebt. Von den 30 einleitenden Strophen,
welche dem Inhalt unseres Gedichts entsprechen und ihm zum Theil entliehen
sind, werden dreie, 4, 26 und 29, in M. und J. vermisst, während die
übrigen sich darin wiederfinden.
Außerdem enthalten
noch folgende vier Handschriften einzelne auch in M. und J. erhaltene Strophen:
W. Der Wiener Handschrift
des Titurel (Cod. XL. Ambras 421) sind die acht ersten Strophen nebst der
ersten Zeile der neunten angehängt, welche Von der Hagen im Altdeutschen
Museum I, 642-47 hat abdrucken laßen.
B. Die Büdinger
Bruchstücke, welche W. Crecelius mit Herrn Maler Hofmann aus Darmstadt,
der auch die Sängerlaube der erneuerten Wartburg mit Bildern aus unserm
Gedichte geschmückt hat, im fürstlich Isenburgischen Archiv zu
Büdingen fand, sind in Haupts Zeitschrift X, 282 ff. mitgetheilt.
H. Die Heidelberger
Liederhandschrift N. 350 enthält hinter Walthers Liedern zwei zum
Wartburgkrieg gezählte Strophen, die zweite nicht vollständig.
Die von J. abweichenden Lesarten hat Von der Hagen verzeichnet.
Wb. Ein Pergamentblatt
in Quart, nach Dr. Roth in München, dem ich eine sorgfältige
Abschrift verdanke, aus dem 13. Jahrhundert, die Vorderseite etwas abgerieben,
von Dr. Reuß 1840 in Würzburg entdeckt, jetzt in der Königlichen
Staatsbibliothek zu München, wie schon M. Haupt Neidhart VI, Cb
bemerkte, aus derselben Urschrift wie M. stammend, jedoch im dritten Räthsel
mit J. verwandt, enthält fünf schon bekannte Strophen und von
der sechsten bisher unbekannten nur die beiden Stollen, den zweiten nicht
einmal vollständig; doch ist er leicht zu ergänzen.
K. Erst als ich meine
Arbeit geschloßen hatte, tauchte die lange für verschollen gehaltene
Kolmarer Meisterliederhandschrift, aus welcher zwei Strophen schon im Altdeutschen
Museum II. 198 mitgetheilt waren, in München, wohin sie von Basel
gekommen war, wieder auf. Ich hatte nicht erwartet, daß sie neue
Strophen bringen würde und im Grunde ist das auch, was den eigentlichen
Wartburgkrieg betrifft, zu welchem unser sechster Abschnitt nur mit Unrecht
gezählt wird, nicht der Fall ... Nur unser sechster Theil, vielleicht
der späteste von allen, läßt sich aus dem Colmarer Codex
ergänzen; jedoch konnte ich nur die zunächst folgenden Strophen,
die nicht schlechter sind als die vorhergehenden, aus ihm herstellen.
...
§ 2
Ueberschriften
In vorliegender Ausgabe
ist bei jeder Strophe durch einen Buchstaben die Handschrift bemerkt, in
welcher sie sich findet; die dem Buchstaben beigesetzte Zahlt bezeichnet
die Ordnung, in der sie darin vorkommt; nur bei dem Kolmarer Codex giebt
sie das Folioblatt an, auf welchem die Strophe steht. Wo über dem
Buchstaben und der Zahl noch der Name eines Sängers angegeben wird,
da ist diese nicht immer zuverläßige Ueberschrift den Handschriften
entnommen; der gegenüberstehenden Uebersetzung bleibt es vorbehalten,
jede Strophe nicht bloß erzählenden Inhalts mit dem richtigen
Namen dessen zu versehen, welchem sie der Dichter in den Mund legen wollte.
Ist beim alten Text die Ueberschrift nur eingeklammert, so rührt die
Angabe des Sängers, welche sie enthält, nur aus einer prosaischen
Zwischenrede in M. her.
M. giebt nämlich außer
jenen Ueberschriften der Strophen, deren neben ihr nur K. Wb. und B. enthält,
noch eine prosaische Bildunterschrift und jene Zwischensätze, welche
ich als zu dem Gedichte nicht gehörig, in den Text aufzunehmen Bedenken
trug. [...]
Die Ueberschrift Klingesôr
von Ungerlant, welche wir dem Ganzen gegeben haben, ist aus M. genommen.
Es ist der Name des Gedichtes, nicht des Dichters, denn für diesen
giebt diese Handschrift den Eschenbach aus, wie daraus hervorgeht, daß
sie alle bloß erzählenden Strophen des Zweiten Theils und schon
die letzte des Ersten mit dessen Namen überschreibt. Eben so wird
es gemeint sein, wenn J., welche den einzelnen Strophen keine Ueberschriften
zu geben pflegt, den ersten Theil Von Ofterdingen, den zweiten Her
Wolveram überschreibt: diese sollten dadurch als Verfaßer
bezeichnet werden. Jene Ueberschriften des Ganzen in M. wurde aber späterhin
missverstanden, indem man Klingsor von Ungerland als Verfaßer ansah,
wodurch dieser unter die Meistersänger, ja unter die Gründer
ihrer Zunft kam wie Saul unter die Propheten.
Wie die Namen, welche J.
über die beiden Theile des Gedichts setzt und M. über die erzählenden
Strophen, für die Verfaßerschaft der Genannte durchaus kein
Zeugniss ablegen können, so beweisen auch die Namen der Sänger,
womit B. M. und Wb. die einzelnen Strophen überschreiben (K. deutet
sie meist nur durch Buchstaben an), keineswegs, daß sie diesen der
Dichter wirklich in den Mund gelegt habe. Darüber kann nur der Zusammenhang
entscheiden und mehr als einmal (24. 64. 74. 141. 142. 143. 144) finden
wir falsche Namen übergeschrieben; M. geräth hierin sogar mit
B. und Wb. und Wb. mit B. und M., ja mit sich selber in Widerspruch. Am
Wenigsten ist dabei auf K. Verlaß, wo in unserm VI. Abschnitt K.
(Klingsor) und W. (Wolfram) anfangs fast regelmäßig abwechseln.
Gleichwohl habe ich diese Ueberschriften, auch wo sie unrichtig sind, als
überliefert in den alten Text aufzunehmen um so weniger Bedenken getragen
als die gegenüberstehende Uebersetzung das Mittel darbot, den Irrthum
aus dem Zusammenhang zu berichtigen. Dieser ist uns jetzt erkennbarer
als jenen Schreibern, welchen nicht alle Strophen vorlagen. Nach der Jenaer
Handschrift, welche sich solcher Strophenüberschriften enthält
und unserer Strophe 31 (M. 28.), wo in der ersten Zeile Klingsor noch ausdrücklich
redend eingeführt wird, ist es glaublicher, daß der Dichter
die Redenden aus dem Zusammenhang errathen laßen wollte, wo er ihre
Namen nicht im Liede selber angab. Um so eher konnten, wenn der Dichter
die Ueberschriften nicht selber anordnete, sich Irrthümer darin einschleichen.
Klingsor von Ungerland ist
also nach M. der Name des Gedichts, das späterhin nach dem Zeugniss
des Joh. Rote "Der Kriec von Wartberc" hieß. Wie uns das Gedicht
jetzt vorliegt, scheinen beide Namen gleich schicklich; nicht so für
den alten Kern des Räthselspiels, von dem das Ganze ausgieng: dieser
könnte eher "Wolframs Versuchung" heißen.
§ 3
Frühere Leistungen
Die
weitläufige Literatur des Wartburgkriegs hier aufzuführen enthalte
ich mich, da August Koberstein seiner trefflichen Abhandlung Ueber das
wahrscheinliche Alter und die Bedeutung des Gedichtes vom Wartburgkriege,
Naumburg 1823, einen lichtvollen Ueberblick über Alles was vor ihm
für das Gedicht geschehen war, vorausgeschickt hat. Sie selbst ist
bei weitem das Beste was bis jetzt darüber geschrieben ist; nach Ihm
sind fast nur Rückschritte geschen. Sehr gut ist der in den Anmerkungen
zu benutzende geschichtliche Nachweis geführt, daß das Gedicht,
namentlich dessen Erster Theil, lange nach der Zeit entstanden sein müße,
in welche die Chroniken den Wartburgkrieg setzen oder die berühmtesten
der an ihm betheiligten Dichter wirklich an des Landgrafen Hof zusammentrafen.
[ . . . ]
Lucas (Ueber den Krieg von
Wartburg, in den Abhandlungen der K. deutschen Gesellschaft in Königsberg
1833) Versuch, die Lücken des Gedichts mittels der Chroniken auszufüllen,
konnte nur misslingen, zumal er gerade die jüngste derselben als Grundlage
benutzte, "um die übriggebliebenen Lieder zu verbinden, zu erklären
und ihre Lückenhaftigkeit durch Vermuthungen zu ergänzen", S.
40. In der Anordnung ist er selten glücklich: mehr Lob verdienen die
Anmerkungen. Seine Vermuthung, daß Heinrich
von Ofterdingen mit dem Tannhäuser zusammenfalle,
der wohl nie nach Thüringen gekommen ist und in der Klage um die milden
Fürsten (VI, 13.) zwar auch den Landgrafen Hermann nicht unerwähnt
läßt, aber auf das Gut seines Nachfolgers (XIV, 1.) verzichten
will, hat ein neuerer Componist aufgegriffen und das
ohnedieß im Dunkeln tappende Publikum vollends in der Irre geleitet. [ . . . ]
§ 4
Gegenwärtige Ausgabe
Ich habe die schon früher
bekannten Handschriften, von welchen sorgfältige Abdrücke vorlagen,
nicht aufs Neue verglichen; nur bei Einer Stelle im Lohengrin sind die
beiden Heidelberger Handschriften nachgesehen worden. Eine eigentlich kritische
Ausgabe hatte ich mir für dießmal nicht vorgesetzt; weshalb
auch die Lesarten nicht verzeichnet wurden. Es kam mir zunächst auf
die Anrodnung der Strophen an, welche in den Ausgaben sowohl als in den
Handschriften bunt durcheinander gewürfelt sind. Erst nachdem diese
geordnet wären, schien es mir möglich, ein günstigeres Urtheil
über den Werth des Gedichts und seine zu sehr ungleicher Zeit untstandenen
Theile zu erwirken, als in unsern Literaturgeschichten zu finden ist, und
da ich diesen von jeher sehr hoch angeschlagen hatte, so war das nächst
dem Reiz des Räthselhaften der erste Antrieb zu meiner Arbeit. Die
Aufgabe, ohne die Auffindung beßerer Handschriften abzuwarten, Ordnung
in dieß Chaoszu bringen, schien keine leichte; allen, welche vor
mir ihren Scharfsinn daran geübt hatten, war sie, wie ich längst
erkannt hatte, misslungen. Dabei schreckte mich nicht das Urtheil jenes
scharfsinnigen Jenaer Recensenten (Mai 1820), daß es thöricht
sei, aus den Strophen unserer Sammlungen, ja nur aus denen, welche echt
sein können, Einen Text des Gedichts, der sich für den ursprünglichen
und vollständigen ausgeben laße, zusammenzusetzen. Auch hatte
ich selbst bei der Anordnung mein Ziel nicht einmal so hoch gesteckt: es
sollten nur nicht, wie es allen meinen Vorgängern begegnet war, Strophen
in Verbindung gebracht werden, welche nicht zu einander gehören. Daß
ich dieß geleistet habe, glaube ich wohl behaupten zu dürfen.
Es ergab sich aber mehr: das Gedicht sonderte sich statt der bisher
angenommenen zwei in sieben Theile, von welchen nur der Erste und Zweite
enger verbunden sind, während die Andern entweder gar nicht oder doch
nicht nothwendig zu dem Ganzen gehören, indem einige nur durch das
gemeinschaftliche Maß, andere zugleich auch durch den Inhalt mit
einem der übrigen Theile des Gedichts verbunden sind. Ich will diese
Theile mit den Ueberschriften, welche ich ihnen in der beigefügten
Uebersetzung gegeben habe, und einer kurzen Charakteristik, sowie mit Angabe
des Maßes, worin sie gedichtet sind, hier aufführen:
I.
Der s.g. Erste Theil. Das Streitgedicht. Str.1-24, im Thüringer
Herren Ton. Die Sänger streiten über den Vorzug der Fürsten:
dem von Ofterdingen gepriesenen Herzog von Oesterreich, wird hauptsächlich
der Landgraf von Thüringen entgegengestellt. Ofterdingen unterliegt
durch Walthers List, schilt aber das Urtheil und beruft sich auf Klingsor
von Ungerland, den herbeizuschaffen ihm Frist gegeben wird.
II.
Der s.g. Zweite Theil. Das Räthselspiel. Str.25-114, im s.g.
Schwarzen Ton. Klingsor legt dem Wolfram Räthsel vor, die dieser löst;
umgekehrt finden sich jetzt auch von Wolfram vorgelegte Räthsel eingeschoben.
Zuletzt besteht Wolfram die Versuchung des Teufels Nasion, welchen ihm
Klingsor nächtlich zugeschickt hatte, um zu erforschen, ob er sich
bei der Lösung der ihm vorgelegten Räthsel magischer Künste
bedient habe.
III. Anhang zum Zweiten
Theil. Aurons Pfennig. Str.115-131. Im Schwarzen Ton. Ein aus dem Himmel
verwiesener, aber der Hölle nicht anheim gefallener Geist wirft dem
Klingsor, der ihn beschworen zu haben scheint, vor seinem Verschwinden
einen Brief zu, der heftige Anklagen gegen die Habgier der Geistlichen
enthält. Die Anknüpfung an den Zweiten Theil liegt in der Beschwörung
des Geistes.
IV. An Zeitgenossen.
Im Schwarzen Ton, Str.132, 133. Die eine an den Bischof von Köln,
die andere an Johannes von Zernin gerichet.
[ . . . ]
VI.
Zabulons Buch. Nr. 151-173. Im Thüringer Herren Ton. Wolfram
und Klingsor tragen wettsingend eine abenteuerliche Märe vor, welche
zwar durch diese Einkleidung auf den Wartburgkrieg gegründet ist,
in der That aber so wenig einen Theil desselben bildet, als der Lohengrin,
der jedoch die ältesten Wartburglieder in sich aufgenommen hat. Nur
weil man sich gewöhnt hat, diese im Thüringer Herrenton gedichtete
Strophenreihe zum Wartburgkriege zu zählen, durfte sie in einer Ausgabe
desselben nicht übergangen werden.
VII. Sprechen ohne Meinen.
Str. 174-175. Im Thüringer Herren Ton.
[ . . . ]
Nähere Betrachtung
des II. dieser sieben Theile ergab dann, daß auch dieser aus vielen
ungleichen Stücken besteht, welche keineswegs demselben Verfaßer
gehören. Wenn schon der Jenaer Recensent unser Gedicht für ein
meistersängerisches Volkslied erklärt hatte, daß vielfältig
unter den Meistern umhergesungen, vermehrt und verändert worden sei,
so bewährte sich dieß an den mannigfachen Einlagen und spätern
Zusätzen, welche schon dieser Zweite Theil erfahren hatte. Dennoch
zeigte sich an ihm ein ursprünglicher fester Kern, dem das Uebrige
späterhin angeschloßen war und zwar nicht bloß in diesen
Zweiten Theil selbst Eingelegte, auch das äußerlich Angefügte,
der erst später hinzugekommene s.g. Erste Theil und die übrigen
fünf Abschnitte, die alle nur als spätere Anwüchse erscheinen.
Bei der Anordnung der dem
s.g. Zweiten Theil später eingelegten Stücke, die eine Reihe
weiterer Räthsel bilden, muste insofern eine gewisse Willkür
gestattet sein als die Vergleichung der Handschriften nicht für alle
eine feste Stellung ergab. Eine Richtschnur für ihre Reihenfolge suchte
ich in der allmählich steigenden Verkennung des ursprünglichen
Plans des Gedichts. Nach diesem sollte nämlich Klingsor dem Wolfram
zuerst nur Ein Räthsel vorzulegen beabsichtigen, und als dieser es
unerwartet löst, noch ein zweites ihm ganz unlösbar scheinendes
folgen laßen. als aber auch dieses Wolframs Scharfsinne nicht widerstand,
ihn durch den Gast versuchen, ob er sein Wißen etwa magischen Künsten
verdanke. Die Interpolation begann nun damit, diese Räthsel Klingsors
zu häufen, gieng aber zuletzt dazu über, auch den Wolfram Räthsel
aufgeben zu laßen, welche Klingsor seinerseits löst. Nach diesem
Gesichtspunkt sind die Räthsel geordnet, nicht unzweckmäßig
wie es scheint, aber keineswegs mit dem Anspruch, damit den ursprünglichen
Text wiederhergestellt zu haben. Für den ursprünglichen erkenne
ich keinen anden als jenen festen Kern, welchen zum Theil schon die Kritik
meines Vorgängers Koberstein richtig erkannt hatte. In der gegenwärtigen
Ausgabe ist er dadurch bezeichnet, daß den ihn bildenden Strophen
des Zweiten Theils in der beigegebenen Uebersetzung ein Stern (*) vorgesetzt
ist. Ob jemals das Gedicht mit allen seinen Zusätzen, Einschaltungen
und Erweiterungen ein Ganzes gebildfet habe, dessen Wiederherstellung das
Ziel der Kritik sein könnte, steht sehr zu bezweifeln und insofern
scheint mir der obige Ausspruch des Jenaer Recensenten nicht unbegründet.
[ . . . ]
§ 5
Unvereinbarkeit der beiden Theile
Betrachtet man das Gedicht,
wie es uns überliefert ist, als ein Ganzes, so fällt ein innerer
Widerspruch zwischen dem Ersten und Zweiten Theile auf. Am Kürzesten
bezeichnete ihn Ettmüller, als er S.XIII. sagte, das Gedicht nehme
einen ganz anderen Gang als zu erwarten gestanden, "indem Klingsor gerufen
wurde, nicht um Räthsel zu lösen (und aufzugeben), sondern um
zu beweisen, daß Liutpold von Oesterreich aller Fürsten Krone
sei." Davon ist späterhin keine Rede mehr. Ebenso wenig scheint es
sich noch um Ofterdingens Verurtheilung oder Freisprechung zu handeln.
Dieser tritt überhaupt jetzt zurück und nicht anders auch die
übrigen Sänger des Ersten Theils; nur einmal, in einer Strophe,
die sich durch stumpfe statt klingender Reime verdächtig macht (79),
werden sie alle auf einmal genannt, wie schon der Abgesang der vorhergehenden
den Kampf des Ersten Theils wieder in Erinnerung bringt. ein andermal,
zwischen einem Räthsel und seiner Auflösung (Str.92, 93), läßt
sich Ofterdingen selbst wieder vernehmen, aber in einem Tone, der uns befremden
muß. Wir erwarten, er werde mit ängstlicher Spannung dem Ausgang
des Kampfs entgegensehen, von dem ihm Ehre und Leben abhängen; statt
dessen greift er eine gelegentliche Erwähnung des frühern Kampfs
um den Preis der Fürsten (91) als eine neue persönliche Beleidigung
auf, die er wie ein Bär rächen will; seine alten Gegner vergleicht
er Hunden, sich selbst einem Drachen und schilt den Klingsor, den er doch
noch nicht zu Worte hat kommen laßen, daß er nicht thue, wozu
er ihn aus Ungerland herbeigeholt habe, nämlich den Fürsten auf
die vorgelegten Fragen Bescheid zu geben. Er selber ist es, der jetzt zuerst
wieder an Stempfel, den Scharfrichter von Eisenach, und sein diesem zu
Pfande stehendes Haupt erinnert und ein neues Kieseramt bestellt; was uns
Alles sehr unklug bedünken muß, wenn er selber auf Klingsor
so wenig vertraut. Stempfel, ruft er aus, solle wieder herbeikommen zu
demselben Zwecke wie früher, da er unter seinem Schwerte gesungen
habe. In der folgenden Strophe (94) beschwichtigt ihn Klingsor und verspricht,
ihm schöne Straße und ebenen Steig zu finden, wenn er ihn seiner
Sache walten laße. Wiederum sind diese Strophen durch Reime, die
ich der Kürze wegen mitteldeutsche nennen will, späterer Einlegng
verdächtig. Das ganze übrige Räthselspiel, das den Zweiten
Theil bildet, weiß nichts von dem zu Pfande stehenden Haupt: weder
dem Klingsor noch Wolfram gilt es so hohen Preis: sie sind nur um den Ruhm
ihrer Meisterschaft besorgt, nicht um ihr Haupt. Dieß ist um so auffallender,
als sonst bei dem Räthsel=Kampf um Tod und Leben gestritten zu werden
pflegt. Daraus ergiebt sich die neue Sonderbarkeit, daß die Verpfändung
des Haupts, die bei dem Räthselkampf vermisst wird, sich dagegen an
einer andern Stelle findet, wo er gar nicht hinzugehören scheint,
nämlich im Ersten Theil bei dem Wettgesang über den Vorzug der
Fürsten.
[ . . . ]
§ 6
Der zweite Theil in sich vollendet
[ . . . ]
Setzen wir diesen [den Ersten
Theil] nicht mehr voraus, so wird uns auch der Anfang des Zweiten Theils,
wie ihn J. gibt und mit Noten begleitet wiederholt, als ein höchst
geeigneter erscheinen, während er unpassend, ist, wenn wir den Ersten
Theil im Sinne haben. Deshalb läßt ihn auch M. weg, wie es wohl
auch J. gethan haben würde, wenn er nicht unter den Noten gestanden
hätte; ein unverwerfliches Zeugniss dafür, daß er einst
den Eingang bildete. Klingsor ist nach dieser Strophe nicht von Ofterdingen
herbeigeholt, er kommt nicht einen Streit zu entscheiden, man hatte seine
Ankunft nicht erwartet: sein plötzliches Erscheinen ist jedoch nicht
weniger zauberhaft, als dasjenige, welches die Chroniken nach der spätern
auf uralten Grundlagen ruhenden Volkssage berichteten. Man hatte dem Landgrafen
ein Lustlager aufgeschlagen, wie Artus mit seiner Massenie bald am Plimizöl,
bald zu Bems an der Korka die Schnüre um Zelte und Pavillune ziehen
ließ, oder wie es im Grafen Rudolf 16 von dem deutschen Kaiser heißt:
Sîn pavilûne
daz ist wîte an dem velde ûfgeslagen,
und wie es von dem Landgrafen
selbst die ältere Legende der h. Elisabeth (Diutiska I, 349), welche
aus unserer Strophe zu schöpfen scheint, als nicht ungewöhnlich
bezeugt:
man sach da pauwelûne, manic keiserlich gezelt ûfgeslagen ûf
daz velt.
Da erschien plötzlich Klingsor
als Krämer, wie ich mit Lucas 94 glaube in dem Kram Secundillens,
der nach Parzival 617 dem Klinschor geschenkt worden war. Er kam nicht
aus Ungerlant, er kam unmittelbar aus dem Parzival:
der Zauberer Klinschor selbst tritt aus dem Rahmen des Gedichts heraus,
Wolfram, seinem Schöpfer und Erfinder entgegen. Was er in seinem Kram
feil hat, ist köstlicher als Gold und Edelgestein: es ist ein Räthsellied,
von ihm selber gesungen und mit der "Schwalbe" begleitet, der deutschen
Harfe, die zugleich das irische Wappen ist, Parz. 663,17.18. Er wendet
sich Str.26 mit seinem künstlich geflochtenen Räthsel an Wolfram,
als den besten Meister an des Landgrafen Hofe, und fordert ihn auf, diesen
Strang zu lösen und so den Ruf seiner Meisterschaft zu bewähren.
Er will von ihm gehört haben, daß er gute Mären dichte,
daß Laienmund nie beßer sprach; doch ist das nur ein Vorwand,
denn nur auf Ihn hat er es abgesehen, Seine Kunst auf die Probe zu stellen
ist er eigentlich gekommen. Löst er die Aufgabe, so will er seine
Meisterschaft anerkennen; ihn aber als einen Stümper verrufen, wenn
er dabei nur einen Faden verletze. Diese Herausforderung nimmt Wolfram
an, nicht im Bewußtsein seines Scharfsinnes, sondern göttlichem
Beistand vertrauend. So ist hier schon der Grundgedanke angedeutet, der
Gegensatz zwischen der Einfalt christlicher Weisheit und unheimlicher
Büchergelehrsamkeit, zwischen der wahrhaften Kraft des göttlichen
Worts und der betrügerischen, in sich selbst nichtigen des Bösen.
Wackernagel L.G.304. Dieser Grundgedanke ist vortrefflich durchgeführt
und wird namentlich am Schluße in der nächtlichen Scene, womit
auch das Gedicht abschließt, zur Anschauung und voller lebendiger
Gültigkeit erhoben, denn hier hat es der böse Geist selber erfahren,
daß Wolfram zwar ein Laie ist, der sich seiner magischen Wißenschaft,
keiner negromantischen Kunst bedient, um Klingsors Räthsel zu lösen,
daß aber gleichwohl weder Er Macht über ihn hat, noch sein Meister
(Klingsor) hoffen darf, ihn zu besiegen, denn vor den Anfechtungen des
Geistes schützt ihn sein Glaubensmut und Klingsors Räthsel löst
er durch seinen tiefen, auch dem Laien nicht versagten Blick in die Mysterien
des Glaubens.
[ . . . ]