Arachne
-
Die Sonnenuhr am Untermarkt in Görlitz
(1550) -
Vom älteren,
aber jung verstorbenen Bruder des großen Bartholomaeus Scultetus, der um 1600 Bürgermeister der Stadt war und sich vorher schon
einen großen Namen als Astronom, Mathematiker, mitwirkender Wissenschaftler
bei der Gregorianischen Kalenderreform, als Kartograph und auch als Autor
einer "Gnomonik", eines großen Werkes über den Bau von Sonnenuhren
gemacht hat, nämlich von Zacharias Scultetus (*1530, +1560) stammt
das Sonnenuhrenpaar an der Rathausapotheke auf dem Untermarkt in Görlitz.
So sagt es auch eine Inschrift oberhalb der Zeichnungen: Zach. Scultetus
invenit.
Die Uhr
links, überschrieben mit dem Titel Solarium, zeigt mit verschieden
gerichteten, einander überkreuzenden Linien verschiedene Arten von
Stunden an: Mit strahligen Linien, deren gemeinsamer Mittelpunkt der Fuß
des Schattenzeigers (Gnomon) ist, werden die gleichlangen (äquinoktialen)
"bürgerlichen" Stunden erkennbar; in der von links oben nach rechts
unten verlaufenden Linienschar werden einerseits die antiken Stunden der
italienischen Uhr, gezählt von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang,
andererseits die bürgerlichen Stunden der italienischen Uhr, gezählt
vom Nachtbeginn bis zum nächsten Nachtbeginn, ablesbar, soweit diese
Stunden in die lichte Tageszeit fallen; Linien für antike italische
Stunden sind indisch ("arabisch") beziffert, sie wechseln immer mit Linien
für bürgerliche italische Stunden ab, die mit römischen
Zahlen in Fraktur ("gotisch") beziffert sind.
In
flach von rechts oben nach links unten streichenden Scharen sind (laut
der ehemaligen, nun getilgten Inschrift) "norische" Stunden eingetragen,
(laut W. Zimmermann Nürnberger Stunden; sonst ist noricus, -a, -um
= österreichisch), in Ausrichtung und Linienmuster vergleichbar den
oft auf Sonnenuhren gemessenen "babylonischen" Stunden (vgl. aber L. Pannier
1998 S.79, s.u. Literatur).
Meridian
und Äquator des Solarium – wie auch die Metrik der Arachne – sind
leicht verschoben bzw. geneigt, da die Hauswand, an der sich die Sonnenuhr
befindet, um 6° von der reinen Ost-West-Ausrichtung abweicht, und diese
Differenz von Zacharias Scultetus berücksichtigt worden ist.
Das
Solarium hatte ursprünglich eine Inschrift, vergleichbar der noch
erhaltenen Inschrift rechts neben der Arachne. Der lateinische Text dieser
zwei Distichen, längst von der Hauswand getilgt, lautete (hier nur
wörtlich – den Sinn und Zusammenhang finde der Leser selbst):
FINITOR
TRUTINAE JUSTO HIC EXAMINE PENSAT
SCHEMA COLOR TINGIT ZODIA QUAEQUE NIGER
PUNICAEIS
NORICAE TEXUNTUR RETIBUS HORAE
AST ITALAE NECTUNT RETIA FUNE NIGRO
Die
Grenzlinie erwägt durch eine genaue Ausmessung der Waage
das Schema. Schwarze Farbe tränkt alle Tierkreislinien.
In
purpurroten Netzen sind die norischen Stunden eingewoben.
Aber die italischen knüpfen die Netze mit schwarzem Seil.
Die
rechte der beiden Sonnenuhren, um die es uns hier im wesentlichen geht
zeigt ebenfalls ein kompliziertes Gewebe von farbigen Linien, auch eine
Gliederung in farbige Flächen, und trägt wegen ihres spinnennetzartig
zentrierten Erscheinungsbildes den charakteristischen Namen Arachne
(griechisch für Spinne).
Zur
großen Version dieses Photos vom Zustand vor der Renovierung des
Jahres 2000 bitte das Bild anklicken.
Links und rechts sind einige feingezeichnete bildliche Darstellungen der
Planetengötter angebracht, z.B. dieser Mercurius mit dem astrologisch
zugehörigen Zwillingspaar unten links.
Ohne
den wiederum rechts auf der Hauswand der Ratsapotheke der Arachne beigegebenen
lateinischen Text wäre diese Sonnenuhr gewiß schwer verständlich.
Aber auch der Text bedarf einiger Zusatzkenntnisse. Beides, Text und Erläuterungen,
wollen wir hier so knapp und treffend wie möglich geben.
(Die
Fehler des letzten Textzustandes vor der Renovierung – Anführungsstriche
bei dem unsinnig abgetrennten "SIO" von ASCENSIO, OUO statt des hier inhaltlich
und metrisch notwendigen Relativpronomens QUO – sind nun getilgt; allerdings
ist mit der Renovierung das T in OSTENDUNT zu C verschrieben
worden, so daß da jetzt irrig OSCENDUNT steht. Der Text müßte
aber so lauten, wie er im folgenden wiedergegeben und erörtert wird.
Zur
Rekonstruktion der Sonnenuhr siehe unten den Bericht von Lutz Pannier).
Zunächst
die lateinischen Distichen und ihre (wörtlich-krude Arbeits-) Übersetzung:
HORA PLANETARUM
VIRIDI EST EXPRESSA COLORE
ET RUBRA OSTENDUNT ALBAQUE PLANA DOMUS
STAMINE
DEINDE NIGRO CONTEXTA ASCENSIO SOLIS
QUO RUTILA ASIMUTH ORDINE NORMA SECAT
Die
Stunde der Planeten ist in grüner Farbe ausgedrückt
Und die roten und weißen Flächen zeigen die (Sonnen-) Häuser
an
Mit
schwarzem Faden ist sodann der Anstieg der Sonne eingewoben
Mit dieser Reihe schneidet die rötliche Senkrechte den Azimut
Metrische
Gliederung – Naturlängen mit circonflexe, Positionslängen (Vokale
vor zwei Konsonanten) mit Akut; unbezeichnete Silben sind unbetont, sei
es als Doppelkürzen, sei es als unbetonte Länge zwischen betonten
(und also bezeichneten) Längen; verflüchtigte Vokale hochgestellt:
hôra
planêtarúm viridî est expréssa colôre
ét
rubra óstendúnt / álbaque plâna
domûs
stâmine
deînde nigrô contéxta ascênsio
sôlis
quô
rutîla asimûth / órdine nórma
secát
Grammatische
Begründung der KNG-Kongruenzen und Syntax:
Poetischer
Singular bei hora, stamine nigro, rutila norma.
Als
Nominative, also mit kurzen a-Endungen (im Unterschied zu langen â-Endungen
der Ablative der a-Deklination), erweisen sich durch die Metrik der Distichen
(Hexameter plus Pentameter) sowie durch die genera der Bezugssubstantive
(für die Adjektivattribute) die nomina: hora, rubra albaque
plana, contexta ascensio, rutila norma.
Daß
domus die Sonnenhäuser – also die Himmelsabschnitte mit den Namen
der zwölf Sternkreiszeichen – meint, zeigt der Zusammenhang; ostendunt
braucht als transitives Verb ein Akkusativobjekt, und dafür bleibt
nur domûs (mit der Akkusativ-Plural-Endung der u-Deklination).
Die
letzte Zeile hat eine syntaktische Schieflage, sofern secare eigentlich
ein nichtreflexives transitives Verb ist (jemanden oder etwas schneiden,
abteilen); dies erforderte also ein Akkusativobjekt. Der Asimuth könnte
als endungsloses Substantiv zwar jeden Kasus übernehmen, ist aber
eher das, was mit den roten Senkrechten angezeigt wird (prädikativer
Nominativ: "als Azimut"); und er ist nur dann, wenn er am Horizont gemessen
wird und dadurch gewissermaßen mit dem Horizont kongruiert, dieses
Objekt zu "secat", was von der "rötlichen Senkrechten" geschnitten
wird. Geschnitten werden allerdings auch die schwarzen Fäden, die
flachen Kurvenlinien der jahreszeitlich und tageszeitlich schwankenden
Sonnenhöhe, die Bahnen der ascensio solis, auf die der relativische
Satzanschluß des Pentameters ("quo ordine") Bezug nimmt.
Klärung
der wesentlichen Begriffe:
1.
Hora Planetarum – Planetenstunden sind in der Arachne, ähnlich den
"bürgerlichen" Stunden des Solarium, durch Linien angezeigt, die von
einer Mitte oberhalb des Bildes auszustrahlen scheinen. Allerdings haben
sie hier keinen Mittelpunkt im Fuß des Zeigers, des Gnomon, und sind
dadurch als temporale Stunden kenntlich.
Warum
und wie sind diese auf die Planeten bezogen?
Das
hängt mit den Planetenzuordnungen unserer Wochentage zusammen, also
mit der Reihe von
Dies (Tag)
SOLIS
|
LUNAE
|
MARTIS
|
MERCURII
|
IOVIS
|
VENERIS
|
SATURNI
|
Sonne
|
Mond
|
Mars
|
Merkur
|
Iupiter
|
Venus
|
Saturn
|
Sonntag
|
Montag
|
Dienstag
|
Mittwoch
|
Donnerstag
|
Freitag
|
Samstag
|
wie
es an den Namen dieser Tage in romanischen Ländern mit den entsprechenden
römischen Göttern deutlich wird.
Die
Arachne enthält eben diese durch die Wochentagsnamen bekannte Reihe
vielfach in Form der Planetensymbole, die fast schon aufdringlich über
die ganze Uhr verstreut scheinen. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich,
daß diese Symbole zwölf Siebenerreihen bilden, die ausstrahlend
von der Mitte des Spinnennetzes oben, wo der Titel Arachne steht, nichts
anderes als eben diese Wochentagsfolge immer neu ansetzend wiederholen.
Jede der zwölf Siebenerreihen ist gegenüber ihren Nachbarreihen
in der Abfolge um zwei Wochentage (bzw. deren Planetensymbole) verschoben
und setzt somit bei einem anderen Planetenzeichen an.
Die
Frage ist ja schon, wie es zu eben dieser Reihung der Götternamen
und Planetenzuordnungen kommt, zumal die kosmologische Reihe ja eine andere
ist, nämlich (von außen nach innen in geozentrischer Sicht,
vgl. Cicero: Somnium Scipionis, Kap.17)
Saturn, Iupiter, Mars, Sonne,
Venus, Merkur, Mond.
Beim
Vergleich dieser Reihe mit der Wochentagsreihe oben fällt allerdings
eine Regelmäßigkeit auf: Immer der übernächste Planetentag
rückwärts gibt den Wandelstern der geozentrischen Sphärenschichtung
von oben (außen) nach unten (innen, zur Erde hin) an. Offensichtlich
gibt es doch einen eindeutigen, ungebrochenen Zusammenhang.
Und
der liegt eben im Schlüsselbegriff der Planetenstunde. Das Konzept
läßt sich folgendermaßen darstellen:
Die
erste Tagesstunde jedes Wochentages (die erste der zwölf Stunden des
Tages – im Sommer erheblich länger als im Winter) ist die Stunde des
Planeten, der diesem Tag den Namen gibt, für den Sonntag also eine
Sonnenstunde, für den Montag eine Mondstunde; erste Stunde des Dienstag
ist eine Marsstunde, die des Mittwoch eine Merkurstunde; Die Tagesphase
des Donnerstag beginnt mit einer Iupiterstunde, Freitag mit einer Venusstunde,
Samstag mit einer Saturnstunde.
Dieses
Konzept der Planetenstunden, das mit einfachem Durchzählen die Wochentagsnamen
aus der kosmologischen Reihe der Planeten ableiten läßt, ist
nun auch in den Planetensymbolen dargestellt, die die Zeitmetrik der Arachne
überlagern. Achtung: Zum Ablesen der aktuellen Planetenstunde, etwa
angezeigt durch den wandernden Schatten des Stab-Endes der Sonnenuhr, können
diese Zeichen nicht dienen, sowenig man Wochentage an einer Sonnenuhr ablesen
kann! Aber die zwölf Siebenerreihen sind so zwischen die grünen
Linien, mit denen die Planetenstunden voneinander abgegrenzt sind, eingepaßt,
daß jede dieser Wochentags-Planetenreihen durch die (bloße)
Richtung des Stabschattens (des "Zeigers") stundenweise angepeilt wird.
Nun wandert dieser Zeiger (gegenläufig zur Sonne) von links nach rechts
über die von den grünen Linien abgeteilten Stunden-Felder und
ihre Planetensymbolreihen so hinweg, daß die Symbole im Nebeneinander
folgen, also z.B. das fünfte Symbol der zweiten Reihe folgt zeitlich
dem fünften Symbol der ersten, es geht in der leichten Krümmung
des Spinnennetz-Rades weiter mit dem fünften Symbol der dritten, dann
der vierten, der fünften usw. – und welche Reihe bilden nun diese
Querfäden des Spinnennetzes? In der Tat die kosmologische Ordnung
Saturn, Iupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur, Mond. (Vgl.
Cicero: Somnium Scipionis, Kap.17 und
"So klingen die Planeten")
Und
eben in dieser Reihe folgen die Planetenstunden jedes Tages aufeinander:
Sonntags folgt auf die Sonnenstunde von Sonnenaufgang an die Venusstunde,
dann die Merkurstunde, dann die Mondstunde, und dann setzt die Zählung
wieder von außen an, mit Saturn für die fünfte Stunde,
Iupiter für die sechste Stunde des Wochentages, Mars für die
siebte Stunde, die gegen Mittag beginnt. Nun setzt die Siebenerreihe also
wieder bei der Sonne an, und dies geschieht mit der 15. Stunde (also in
der dritten Nachtstunde) ein drittes Mal, so daß dann mit der 22.
Stunde ein viertes Mal die Sonnenstunde wiederkehrt, der zwei "Nacht"-Stunden
vor Sonnenaufgang die Venusstunde folgt, bis als letzte Nachtstunde die
Merkurstunde und – ganz konsequent in der fortlaufenden Folge der Planetenzählung
immer neu und immer gleich von außen nach innen – mit Sonnenaufgang
die zu erwartende Mondstunde als erste Stunde des "Planeten" (d.h. des
in geozentrischer Sicht gegenüber dem Fixsternhimmel beweglichen Himmelskörpers)
folgt, der dem Montag den Namen gibt.
Das
Konzept der Planetenstunden ist also offensichtlich die begründende
Hintergrundstruktur der Wochentags-Reihe der Planetenzuordnung: Es folgt
Montag auf Sonntag, Dienstag auf Montag usw., weil in der durchlaufenden
Zählung der sieben sichtbaren Planeten der geozentrischen Sicht nach
24 Stunden eben der entsprechende Planet an der Reihe ist, der dem Tag
den Namen gibt. (Die deutschen und englischen Namen geben die germanischen
Entsprechungen der römischen Götter).
Es
wäre gewiß von Interesse, ob diese fortlaufende Zählung
als Grundlage der sieben Wochentage und ihrer Planetenzuordnung altes babylonisches
Kulturgut ist – in der jüdisch-biblischen Woche haben die Tage noch
keine Namen außer dem siebten, dem Schabbat – oder ob diese Ableitung
der zeitlichen aus der räumlichen Ordnung erst in der griechisch-römischen
Antike ausgestaltet wurde. Hier jedenfalls ist sie in einem Konzept gebündelt
und in einen Begriff konzentriert, den ersten Begriff der Arachne: hora
planetarum.
2.
Domus – (Sonnen-) Haus meint, wie oben bereits angemerkt, die zwölf
Himmelsabschnitte, die wir mit den Namen der Sternkreiszeichen belegen,
die sich vor 2000 Jahren in diesen "Häusern" befanden.
(Vgl.
die Ausführungen zum magnus annus und die dort gegebenen astronomischen
links.)
"Sonnen"-Häuser
deshalb, weil die Sonne in jedem Jahr schleifenlos gleichförmig diese
Abschnitte durchwandert, einen pro Monat. Durch die Erdumdrehung kreisen
alle zwölf Sternkreiszeichen (mit der geringen Verschiebung von einem
365stel der "Umlaufbahn", also genau einem Grad) pro Tag um den Betrachter,
nur daß etwa die Hälfte dieser Bilder vom Tageslicht überblendet
wird. Es geht immer eines im Osten auf, eines geht im Westen unter, und
der Wechsel dieser zwölf Himmelsabschnitte geschieht in einem 24-Stunden-Tag
alle zwei Stunden. Der Vergleich der roten und weißen Felder, die
diese Zweistundenphase im Wechsel anzeigen, mit den grünen Linien,
die vom Arachne-Mittelpunkt ausstrahlen, zeigt die Übereinstimmung:
Je zwei grünen Linien entspricht ein weißes oder ein rotes Feld.
Welches Sternkreiszeichen gerade im Osten aufgeht ("Aszendent") oder im
Westen untergeht ("Deszendent"), ist an dieser Sonnenuhr sowenig ablesbar,
wie die aktuelle Planetenstunde. Nur der zeitliche Rhythmus ihres Wechsels
wird hier (wie bei der Planetenstunde) angezeigt, aber auch die Reihenfolge
der Zählung: von Ost nach West, der Wanderung des Gnomon-Schattens
entgegen, wie an den Zahlen-Bezeichnungen der Häuser (für die
Tageshälfte) unten in den roten und weißen Feldern ablesbar
ist .
3.
Ascensio solis – Anstieg der Sonne, die Sonnenhöhe ist jahreszeitenabhängig.
Normalerweise abstrahieren die Sonnenuhren von diesem "störenden"
Faktor. Hier ist eben dieser Faktor ausgesondert, meßbar und ablesbar
durch die Parabelschar "quer" durchs Bild.
4.
Asimuth – der Azimut der Sonne (wie wir dieses ohnehin abgewandelte arabische
Wort heute eher schreiben) gibt ihren Winkel im Verhältnis zur Mittagsrichtung
(Süden) an, also den Winkel zwischen der jeweiligen Himmelsrichtung
des Sonnenstandes und der genauen Südrichtung. Dieser Sachverhalt
ist an den senkrechten Linien ablesbar, ergänzt um die Gradangaben
oberhalb der Bildfläche.
Siehe
die Besprechung dieser Sonnenuhren auf der großen österreichischen
Sonnenuhren-Seite:
Siehe
auch das große Kölner Gesamtverzeichnis der
Sonnenuhren
Quelle
für die Beschreibung und Analyse des Sonnenuhrenpaars:
Walther
Zimmermann: Die Sonnenuhren der Ratshausapotheke in Görlitz
in:
Neues Lausitzisches Magazin 1935, S. 142-168
(Der
Verfasser ist nicht mit mir verwandt, war aber auch wie meine Wenigkeit
und wie seinerzeit der gelehrte Bartholomaeus Scultetus selbst einer der
Lehrer am Gymnasium
Augustum Gorlicense)
und neulich:
Lutz
Pannier: Historische Sonnenuhren in Görlitz. Teil 1
in:
Görlitzer Magazin, 12. Jahrgang, Görlitz/Zittau 1998
Anhang:
Zur Rekonstruktion der Sonnenuhr
im Jahr 2000
1. Kurzübersicht zum
gnomonischen Inhalt der Uhren
1.1. Linien des Solariums
- Gewöhnliche Stunden oder Äquinoktialstunden
(grüne Linien)
Die grün-weißen Felder auf der Äquatorlinie
ermöglichen das Ablesen der Viertelstunden.
- schwarz–weiß gekästelter Meridian
Anzeige des lichten Tages (rechte Zahlenreihe)
und der Nacht (linke Zahlenreihe)
- Tierkreislinien (fast waagerechte, gebogene
schwarze Linien)
- Italische Stunden (schräge schwarze Geraden)
- Babylonische Stunden (schräge rote Geraden)
1.2. Linien der Arachne
- Azimut (rote senkrechte Geraden)
Von Süden wird in je einem Viertelkreis
nach Ost und West gezählt.
- Höhe (schwarze, nach unten geöffnete
Hyperbeläste)
- Himmelshäuser (abwechselnd rote und weiße
Flächen)
- Planetenstunden (grüne Geraden)
- Stundenregenten (Planetensymbole mit Wochentagen)
Das Schattenende fällt in die gültige
Planetenstunde, zur Ermittlung des momentanen Stundenregenten muss noch
der Wochentag berücksichtigt werden. Dafür sind zwischen den
Zeichen Buchstaben eingetragen, die, wenn man sie bogenförmig von
links nach rechts liest, die Wochentage ergeben.
2. Rekonstruktion
2.1 Allgemeines
Das Gebäude der ehemaligen Ratsapotheke
wurde von Herrn Ekart Rittmannsperger erworben. Er veranlasste die umfassende
Restaurierung des Renaissancegebäudes unter Leitung des Görlitzer
Architekturbüros Kück & Partner. Die damit einhergehenden
Recherchen zur Baugeschichte brachten auch interessante neue Erkenntnisse
zur Entstehung der Sonnenuhr. Das sie 1550 angebracht worden ist belegen
Quellen, auf keinen Fall hat sie damals aber so ausgesehen wie heute. Denn
der Teil der Fassade, der das Solarium trägt, gehörte 1550 noch
nicht zu diesem Haus. Die damalige Fassade umfasste also lediglich den
heutigen Bereich der Arachne und des Schriftfeldes rechts daneben. Ein
Aquarell von 1831 ist die älteste bildliche Darstellung der Ratsapotheke
dort entspricht sie schon längst der heutigen Ansicht. Die Hoffnung,
während der Putzanalyse auf alte Linien zu stoßen musste begraben
werden, denn bei Restaurierungsarbeiten 1926 oder 1936 wurde Zementputz
aufgebracht, der die älteren Farbschichten zerstörte. Die Uhren
wurden damals wieder neu auf den Putz aufgebracht, Unterlagen dazu sind
heute nicht mehr auffindbar.
2.2. Prämissen
Die Inhalte des Solariums und der Arachne kennzeichnen
die Sonnenuhr als typische Schöpfung der Renaissance. Dieser Charakter
sollte erhalten und keinesfalls zu Gunsten heute üblicher Genauigkeitsbestrebungen
verwischt werden.
Solarium:
Beim Anbringen einer Sonnenuhr muss die Abweichung
der Wandebene aus der Ost-West-Richtung berücksichtigt werden. Die
vorhandenen historischen Darstellungen lassen erkennen, dass das Solarium
für 6° Ostabweichung berechnet wurde. Messungen vor Ort zeigten,
dass die heutige Wandabweichung geringer ist, um ca.3° und nicht über
die gesamte Fläche konstant. Eine Anpassung des Solariums an die exakte(n)
Wandabweichung(en) hätte nicht nur veränderte Verläufe der
Linien ergeben, sondern auch deren Beschriftungen mit Ziffern und Symbolen
hätten neu gestaltet werden müssen, denn der alte ästhetische
Anblick wäre verlorengegangen. Die Neuberechnung der Linien wäre
relativ schnell erledigt gewesen, dem Solarium wieder ein harmonisches
Aussehen zu geben wäre dagegen der wesentlich zeitaufwendigere Part,
den die Restauratoren hätten übernehmen müssen. Mit dem
Ergebnis, dass die Uhr nicht mehr dem vertrauten, überlieferten Anblick
entsprochen hätte und für den heutigen Betrachter im Rahmen der
oben erwähnten Anzeigegenauigkeit kein Verbesserung zu erkennen gewesen
wäre. (In unbestimmter Zukunft, wenn es sich erforderlich machen sollte
den vorhandenen Zementputz des Solariumfeldes zu erneuern, wäre eine
solche Neuberechnung eventuell sinnvoller.)
Die Darstellung der 6° Abweichung wurde beibehalten,
vielleicht ist sie auch ein letztes, unbewusst überliefertes Relikt
aus der Entstehungszeit des Solariums, als die Wand eine etwas andere Richtung
gegenüber heute aufwies.
Arachne:
Das vorhandene Liniennetz war in sich widersprüchlich
und wies keinen Bezug zu einem gemeinsam gültigen Schattenstab auf.
Daher erfolgte eine komplette Neuberechnung. Der neue Schattenstab wurde
so dimensioniert, dass sich das aus ihm ergebende, mathematisch korrekte
Linienbild dem überlieferten Anblick größtmöglichst
nahe kommt.
2.3. Erfolgte Korrekturen
Solarium:
- Die Äquatorlinie war keine durchgängige
Gerade sondern verlief im linken Zifferblattteil steiler, vermutlich ein
Willkürakt früherer Zeit um zu verhindern, dass die Linie das
linke, obere Medaillon des Widders schneidet. Der neue Verlauf stimmt mit
dem des rechten Zifferblattteils überein und entspricht den 6°
östliche Wandabweichung.
- Grobe Fehler bei den grünen Linien der
Äquinoktialstunden und bei der Viertelstundenteilung wurden beseitigt.
- Die weinroten Linien entsprechen den Babylonischen
Stunden, sie wurden, wo es erforderlich war, in die richtige Lage gebracht.
- Der alte, durchrostet abgefallene Schattenstab
wurde durch einen neuen ersetzt, seine Dimensionen entsprechend dem vorhandenen
Liniennetz berechnet. Die Viertelstundengenauigkeit bleibt gewahrt.
Arachne:
Komplette Neuberechnung für eine Wandabweichung
von 1° West
Durch die Dresdener Restaurierungsfirma Taubert
& Stenzel wurden die Zifferblätter und auch die Texte an die Wand
gebracht, die Görlitzer Metallbaufirma Fiedler fertigte die Schattenstäbe
an. Die erforderlichen Werte berechnete ich in kartesischen Koordinaten,
nach der Methode von R Sagot und D. Savoie, die Jean Meeus in seinen „Astronomischen
Algorithmen“ vorgestellt hat. Für die Arachne fertigte ich für
die Restauratoren eine 1:1 Vorlage auf Millimeterpapier an, die diese dann
auf eine entsprechende Schablone übertrugen. Beim Solarium wurden
die zu korrigierenden Linien direkt an der Wand eingemessen. Die Stäbe
haben der Schlosser Fiedler und ich gemeinsam in die Wand eingebracht.
Leider konnte der „Testlauf“ der Uhren erst nach dem Gerüstabbau beginnen.
Ich denke nach dem Herbstäquinoktium präzise Erkenntnisse über
eventuell erforderliche Korrekturen an den Stäben zu haben.
2.4.Fehler
Momentan weist das Solarium unter Berücksichtigung
der Zeitgleichung (Wahre Sonnenzeit minus Mittler Sonnenzeit) einen Fehler
von etwa 8 bis 10 Minuten auf, sie geht nach. Dieser Fehler wird nur dem
Fachmann auffallen, da dem gelegentlichen Betrachter der Sonnenuhr die
Zeitgleichungsproblematik nicht bekannt ist. Korrekturen am Schattenstab
sind möglich, machen jedoch erst nach dem Herbstanfang Sinn,
wenn der Lauf des Schattenendes auf der Äquatorlinie kontrolliert
werden konnte. Auch ist es günstiger das Solarium über einen
größeren Zeitraum zu beobachten um konstante Fehler möglichst
genau bestimmen zu können und die notwendige Stabkorrektur festzulegen.
Aufwand und Nutzen werden dann über die Realisierung dieser Korrektur
entscheiden.
Zur Zeit hat das Solarium eine Abweichung, die
knapp über die angestrebte Viertelstundengenauigkeit liegt, vom Nichtfachmann
aber kaum bemerkt werden wird. Die Arachne zeigte bisher richtige Werte
an. Die Uhren befinden sich noch im „Testlauf“, der erst nach Abbau des
Gerüstes beginnen konnte
Eventuelle Fehlerquellen:
- Das möglichst mathematisch exakte Anbringen
des Stabes ins Mauerwerk ist stets mit zufälligen Fehlern behaftet,
hinzu kommt, dass sich bei der Ratsapotheke die Befestigungspunkte des
Schattenstabes und das Zifferblatt auf getrennten Fassadenteilen befinden.
- Unbeabsichtigte, Verbiegungen am Stab durch
Handwerker, vor allem beim Gerüstabbau
- Auch beim Solarium sind die vorhandenen Liniensysteme
zueinander nicht widerspruchsfrei, zu mal die betreffende Wand keine konstante
Ost-West-Abweichung aufweist. Für die Berechnung der Stabdimensionen
mussten daher Mittelwerte angenommen werden, die nicht optimal festgelegt
wurden.
3. Allgemeine Nachbetrachtung zur
Rekonstruktion
3.1. Ausgangssituation
Die Inhalte des Solariums und der Arachne kennzeichnen
die Sonnenuhr als typische Schöpfung der Renaissance. Dieser Charakter
sollte erhalten und keinesfalls zu Gunsten heute üblicher Genauigkeitsbestrebungen
verwischt werden. So lassen die Dimensionen der Zifferblätter Zeitangaben
in Minutengenauigkeit oder die Anzeige der Sonnenkoordinaten auf das Grad
genau zu. Heutige minutengenaue Uhren berücksichtigen mit Korrekturanzeigen
den Unterschied zwischen der Wahren Ortszeit, die vom Sonnenstand abgeleitet
wird, und der Mittleren Ortszeit die unsere konstant laufenden mechanischen
und elektronischen Uhren anzeigen.
Aber dieser Aufwand wurde in der Renaissance
nicht betrieben, zum einen herrschte damals ein anderes Zeitgefühl
als heute und die ersten Räderuhren erreichten anfangs nur etwa Viertelstundengenauigkeit;
somit genügte es, wenn das „Zeitzeichen Solarium“ auch dieser Genauigkeit
entsprach.
3.2. Solarium
Beim Anbringen einer Sonnenuhr muss die Abweichung
der Wandebene aus der Ost-West-Richtung berücksichtigt werden. Die
vorhandenen historischen Darstellungen lassen erkennen, dass das Solarium
für 6° Ostabweichung berechnet wurde. Messungen vor Ort zeigten,
dass die heutige Wandabweichung geringer ist, um ca.3° und nicht über
die gesamte Fläche konstant. Eine Anpassung des Solariums an die exakte(n)
Wandabweichung(en) hätte nicht nur veränderte Verläufe der
Linien ergeben, sondern auch deren Beschriftungen mit Ziffern und Symbolen
hätten neu gestaltet werden müssen, denn der alte ästhetische
Anblick wäre verlorengegangen. Die Neuberechnung der Linien wäre
relativ schnell erledigt gewesen, dem Solarium wieder ein harmonisches
Aussehen zu geben wäre dagegen der wesentlich zeitaufwendigere Part,
den die Restauratoren hätten übernehmen müssen. Mit dem
Ergebnis, dass die Uhr nicht mehr dem vertrauten, überlieferten Anblick
entsprochen hätte und für den heutigen Betrachter im Rahmen der
oben erwähnten Anzeigegenauigkeit kein Verbesserung zu erkennen gewesen
wäre. (In unbestimmter Zukunft, wenn es sich erforderlich machen sollte
den vorhandenen Zementputz des Solariumfeldes zu erneuern, wäre eine
solche Neuberechnung eventuell sinnvoller.)
Die Darstellung der 6° Abweichung wurde beibehalten,
vielleicht ist sie auch ein letztes, unbewusst überliefertes Relikt
aus der Entstehungszeit des Solariums, als die Wand eine etwas andere Richtung
gegenüber heute aufwies.
3.3. Arachne
Das vorhandene Liniennetz war in sich widersprüchlich
und wies keinen Bezug zu einem gemeinsam gültigen Schattenstab auf.
Daher erfolgte eine komplette Neuberechnung. Der neue Schattenstab wurde
so dimensioniert, dass sich das aus ihm ergebende, mathematisch korrekte
Linienbild dem überlieferten Anblick größtmöglichst
nahe kommt.
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* * *
* * *
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Görlitz
Abcontrafeitung
der Stadt Görlitz im 1565. Jar
(Jahr
der Gründung des Gymnasium Augustum Gorlicense)
Panorama
in Westrichtung gesehen: von der Landeskrone im Süden bis zur Nicolaikirche
im Norden
in
12 Holzschnitten von J.Metzger und G.Scharffenbergk
zur
großen Version der Holzschnitte die entsprechenden Bildteile hier
unten anklicken
Landeskrone;
Frauenkirche; Frauenturm,
Reichenbacher Turm, Kloster; Rathaus, Neißebrücke,
Nikolaiturm; Peterskirche, Vogthof;
Nikolaikirche
Rundbriefe
2002 /
2003 / 2004 /
2005 / 2006 /
2007 / 2008 /
2009 / 2010 /
2011 / 2012 * emaille?!
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