Die Erkenntnis der in diesem Buche gemeinten Geisteswissenschaft
kann jeder Mensch sich selbst erwerben. Ausführungen von der
Art, wie sie in dieser Schrift gegeben werden, liefern ein Gedankenbild
der höheren Welten. Und sie sind in einer gewissen Beziehung der erste
Schritt zur eigenen Anschauung. Denn der Mensch ist ein Gedankenwesen.
Und er kann seinen Erkenntnispfad nur finden, wenn er vom Denken ausgeht.
Wird seinem Verstande ein Bild der höheren Welten gegeben, so ist
dieses für ihn nicht unfruchtbar, auch wenn es vorläufig gleichsam
nur eine Erzählung von höheren Tatsachen ist, in die er durch
eigene Anschauung noch keinen Einblick hat. Denn die Gedanken, die ihm
gegeben werden, stellen selbst eine Kraft dar, welche in seiner Gedankenwelt
weiter wirkt. Diese Kraft wird in ihm tätig sein; sie wird schlummernde
Anlagen wecken. Wer der Meinung ist, die Hingabe an ein solches Gedankenbild
sei überflüssig, der ist im Irrtum. Denn er sieht in dem Gedanken
nur das Wesenlose, Abstrakte. Dem Gedanken liegt aber eine lebendige Kraft
zugrunde. Und wie er bei demjenigen, der Erkenntnis hat, als ein unmittelbarer
Ausdruck vorhanden ist dessen, was im Geiste geschaut wird, so wirkt die
Mitteilung dieses Ausdrucks in dem, welchem er mitgeteilt wird, als Keim,
der die Erkenntnisfrucht aus sich erzeugt. Wer sich behufs höherer
Erkenntnis, unter Verschmähung der Gedankenarbeit, an andere Kräfte
im Menschen wenden wollte, der berücksichtigt nicht, daß das
Denken eben die höchste der Fähigkeiten ist, die der Mensch in
der Sinnenwelt besitzt. Wer also fragt: wie gewinne ich selbst die höheren
Erkenntnisse der Geisteswissenschaft? dem ist zu sagen: unterrichte dich
zunächst durch die Mitteilungen anderer von solchen Erkenntnissen.
Und wenn er erwidert: ich will selbst sehen; ich will nichts wissen von
dem, was andere gesehen haben, so ist ihm zu antworten: eben in der Aneignung
der Mitteilungen anderer liegt die erste Stufe zur eigenen Erkenntnis.
Man kann dazu sagen: da bin ich ja zunächst zum blinden Glauben gezwungen.
Doch es handelt sich ja bei einer Mitteilung nicht um Glauben oder Unglauben,
sondern lediglich um eine unbefangene Aufnahme dessen, was man vernimmt.
Der wahre Geistesforscher spricht niemals mit der Erwartung, daß
ihm blinder Glaube entgegengebracht werde. Er meint immer nur: dies habe
ich erlebt in den geistigen Gebieten des Daseins, und ich erzähle
von diesen meinen Erlebnissen. Aber er weiß auch, daß die Entgegennahme
dieser seiner Erlebnisse und die Durchdringung der Gedanken des andern
mit der Erzählung für diesen andern lebendige Kräfte sind,
um sich geistig zu entwickeln.
Was hier in Betracht kommt, wird richtig nur derjenige
anschauen, der bedenkt, wie alles Wissen von seelischen und geistigen Welten
in den Untergründen der menschlichen Seele ruht. Man kann es durch
den «Erkenntnispfad» heraufholen. «Einsehen» kann
man nicht nur das, was man selbst, sondern auch, was ein anderer aus den
Seelengründen heraufgeholt hat. Selbst dann, wenn man selbst noch
gar keine Veranstaltungen zum Betreten des Erkenntnispfades gemacht hat.
Eine richtige geistige Einsicht erweckt in dem nicht durch Vorurteile getrübten
Gemüt die Kraft des Verständnisses. Das unbewußte Wissen
schlägt der von andern gefundenen geistigen Tatsache entgegen. Und
dieses Entgegenschlagen ist nicht blinder Glaube, sondern rechtes Wirken
des gesunden Menschenverstandes. In diesem gesunden Begreifen sollte man
einen weit besseren Ausgangsort auch zum Selbsterkennen der Geistwelt sehen
als in den zweifelhaften mystischen «Versenkungen» und dergleichen,
in denen man oft etwas Besseres zu haben glaubt als in dem, was der gesunde
Menschenverstand anerkennen kann, wenn es ihm von echter geistiger Forschung
entgegengebracht wird.
Man kann gar nicht stark genug betonen, wie notwendig
es ist, daß derjenige die ernste Gedankenarbeit auf sich nehme, der
seine höheren Erkenntnisfähigkeiten ausbilden will. Diese Betonung
muß um so dringlicher sein, als viele Menschen, welche zum «Seher»
werden wollen, diese ernste, entsagungsvolle Gedankenarbeit geradezu geringachten.
Sie sagen, das «Denken» kann mir doch nichts helfen; es kommt
auf die «Empfindung», das «Gefühl» oder Ähnliches
an. Demgegenüber muß gesagt werden, daß niemand im
höheren Sinne (das heißt wahrhaft) ein «Seher» werden
kann, der nicht vorher sich in das Gedankenleben eingearbeitet hat. Es
spielt da bei vielen Personen eine gewisse innere Bequemlichkeit eine mißliche
Rolle. Sie werden sich dieser Bequemlichkeit nicht bewußt, weil sie
sich in eine Verachtung des «abstrakten Denkens», des «müßigen
Spekulierens» und so weiter kleidet. Aber man verkennt eben das Denken,
wenn man es mit dem Ausspinnen müßiger, abstrakter Gedankenfolgen
verwechselt. Dieses «abstrakte Denken» kann die übersinnliche
Erkenntnis leicht ertöten; das lebensvolle Denken kann ihr zur Grundlage
werden. Es wäre allerdings viel bequemer, wenn man zu der höheren
Sehergabe unter Vermeidung der Gedankenarbeit kommen könnte. Das möchten
eben viele. Es ist aber dazu eine innere Festigkeit, eine seelische Sicherheit
nötig, zu der nur das Denken führen kann. Sonst kommt doch nur
ein wesenloses Hin- und Herflackern in Bildern, ein verwirrendes Seelenspiel
zustande, das zwar manchem Lust macht, das aber mit einem wirklichen Eindringen
in höhere Welten nichts zu tun hat. – Wenn man ferner bedenkt, welche
rein geistigen Erlebnisse in einem Menschen vor sich gehen, der wirklich
die höhere Welt betritt, dann wird man auch begreifen, daß die
Sache noch eine andere Seite hat. Zum «Seher» gehört absolute
Gesundheit des Seelenlebens. Es gibt nun keine besser Pflege dieser
Gesundheit als das echte Denken. Ja, es kann diese Gesundheit ernstlich
leiden, wenn die Übungen zur höheren Entwickelung nicht auf dem
Denken aufgebaut sind. So wahr es ist, daß einen gesund und richtig
denkenden Menschen die Sehergabe noch gesunder, noch tüchtiger zum
Leben machen wird, als er ohne dieselbe ist, so wahr ist es auch, daß
alles Sich-Entwickelnwollen bei einer Scheu vor Gedankenanstrengung, alle
Träumerei auf diesem Gebiete, der Phantasterei und auch der falschen
Einstellung zum Leben Vorschub leistet. Niemand hat etwas zu fürchten,
der unter Beobachtung des hier Gesagten sich zu höherer Erkenntnis
entwickeln will; doch sollte es eben nur unter dieser Voraussetzung geschehen.
Diese Voraussetzung hat nur mit der Seele und dem Geiste des Menschen
zu tun; zu reden von einem irgendwie gearteten schädlichen Einfluß
auf leibliche Gesundheit ist bei dieser Voraussetzung absurd.
Der unbegründete Unglaube allerdings ist schädlich.
Denn er wirkt in dem Empfangenden als eine zurückstoßende Kraft.
Er verhindert ihn, die befruchtenden Gedanken aufzunehmen. Kein blinder
Glaube, wohl aber die Aufnahme der geisteswissenschaftlichen Gedankenwelt
wird bei der Erschließung der höheren Sinne vorausgesetzt. Der
Geistesforscher tritt seinem Schüler entgegen mit der Zumutung: nicht
glauben sollst du, was ich dir sage, sondern es denken, es zum
Inhalte deiner eigenen Gedankenwelt machen, dann werden meine Gedanken
schon selbst in dir bewirken, daß du sie in ihrer Wahrheit erkennst.
Dies ist die Gesinnung des Geistesforschers. Er gibt die Anregung; die
Kraft des Fürwahrhaltens entspringt aus dem eigenen Innern des Aufnehmenden.
Und in diesem Sinne sollten die geisteswissenschaftlichen Anschauungen
gesucht werden. Wer die Überwindung hat, sein Denken in diese zu versenken,
kann sicher sein, daß in einer kürzeren oder längeren Zeit
sie ihn zu eigenem Anschauen führen werden.
Schon in dem Gesagten liegt eine erste
Eigenschaft angedeutet, die derjenige in sich ausbilden muß, der
zu eigener Anschauung höherer Tatsachen kommen will. Es ist die rückhaltlose,
unbefangene Hingabe an dasjenige, was das Menschenleben oder auch die
außermenschliche Welt offenbaren. Wer von vornherein mit dem Urteil,
das er aus seinem bisherigen Leben mitbringt, an eine Tatsache der Welt
herantritt, der verschließt sich durch solches Urteil gegen die ruhige,
allseitige Wirkung, welche diese Tatsache auf ihn ausüben kann. Der
Lernende muß in jedem Augenblicke sich zum völlig leeren Gefäß
machen können, in das die fremde Welt einfließt. Nur diejenigen
Augenblicke sind solche der Erkenntnis, wo jedes Urteil, jede Kritik schweigen,
die von uns ausgehen. Es kommt zum Beispiel gar nicht darauf an, wenn wir
einem Menschen gegenübertreten, ob wir weiser sind als er. Auch das
unverständigste Kind hat dem höchsten Weisen etwas zu offenbaren.
Und wenn dieser mit seinem noch so weisen Urteil an das Kind herantritt,
so schiebt sich seine Weisheit wie ein trübes Glas vor dasjenige,
was das Kind ihm offenbaren soll. [Man sieht wohl gerade
aus dieser Angabe, daß es sich bei der Forderung der «rückhaltlosen
Hingabe» nicht um die Ausscheidung des eigenen Urteils oder
um Hingabe an blinden Glauben handelt. Dergleichen hätte doch einem
Kinde gegenüber keinen Sinn.] Zu dieser Hingabe an die Offenbarungen
der fremden Welt gehört völlige innere Selbstlosigkeit. Und wenn
sich der Mensch prüft, in welchem Grade er diese Hingabe hat, so wird
er erstaunliche Entdeckungen an sich selbst machen. Will einer den Pfad
der höheren Erkenntnis betreten, so muß er sich darin üben,
sich selbst mit allen seinen Vorurteilen in jedem Augenblicke auslöschen
zu können. Solange er sich auslöscht, fließt das andere
in ihn hinein. Nur hohe Grade von solch selbstloser Hingabe befähigen
zur Aufnahme der höheren geistigen Tatsachen, die den Menschen überall
umgeben. Man kann zielbewußt in sich diese Fähigkeit ausbilden.
Man versuche zum Beispiel gegenüber Menschen seiner Umgebung sich
jedes Urteils zu enthalten. Man erlösche in sich den Maßstab
von anziehend und abstoßend, von dumm oder gescheit, den man gewohnt
ist anzulegen; und man versuche, ohne diesen Maßstab die Menschen
rein aus sich selbst heraus zu verstehen. Die besten Übungen kann
man an Menschen machen, vor denen man einen Abscheu hat. Man unterdrücke
mit aller Gewalt diesen Abscheu und lasse alles unbefangen auf sich wirken,
was sie tun. – Oder wenn man in einer Umgebung ist, welche dies oder jenes
Urteil herausfordert, so unterdrücke man das Urteil und setze sich
unbefangen den Eindrücken aus. [Dieses unbefangene Hingeben
hat mit einem «blinden Glauben» nicht das geringste zu tun.
Es kommt nicht darauf an, daß man blind an etwas glaubt, sondern
darauf, daß man nicht das «blinde Urteil» an Stelle des
lebendigen Eindruckes setzt.] – Man lasse die Dinge und Ereignisse
mehr zu sich sprechen, als daß man über sie spreche.
Und man dehne das auch auf seine Gedankenwelt aus. Man unterdrücke
in sich dasjenige, was diesen oder jenen Gedanken bildet, und lasse
lediglich das, was draußen ist, die Gedanken bewirken. – Nur wenn
mit heiligstem Ernst und Beharrlichkeit solche Übungen angestellt
werden, führen sie zum höheren Erkenntnisziele. Wer solche Übungen
unterschätzt, der weiß eben nichts von ihrem Wert. Und wer Erfahrung
in solchen Dingen hat, der weiß, daß Hingabe und Unbefangenheit
wirkliche Krafterzeuger sind. Wie die Wärme, die man in den Dampfkessel
bringt, sich in die fortbewegende Kraft der Lokomotive verwandelt, so verwandeln
sich die Übungen der selbstlosen geistigen Hingabe in dem Menschen
zur Kraft des Schauens in den geistigen Welten.
Durch diese Übung macht sich der Mensch aufnahmefähig
für alles dasjenige, was ihn umgibt. Aber zur Aufnahmefähigkeit
muß auch die richtige Schätzung treten. Solange der Mensch noch
geneigt ist, sich selbst auf Kosten der ihn umgebenden Welt zu überschätzen,
so lange verlegt er sich den Zugang zu höherer Erkenntnis. Wer einem
jeglichen Dinge oder Ereignisse der Welt gegenüber sich der Lust oder
dem Schmerze hingibt, die sie ihm bereiten, der ist in solcher Überschätzung
seiner selbst befangen. Denn an seiner Lust und an seinem Schmerz
erfährt er nichts über die Dinge, sondern nur etwas über
sich selbst. Empfinde ich Sympathie für einen Menschen, so empfinde
ich zunächst nur mein Verhältnis zu ihm. Mache ich mich
in meinem Urteil, in meinem Verhalten lediglich von diesem Gefühle
der Lust, der Sympathie abhängig, dann stelle ich meine Eigenart in
den Vordergrund; ich dränge diese der Welt auf. Ich will mich, so
wie ich bin, in die Welt einschalten, aber nicht die Welt unbefangen hinnehmen
und sie im Sinne der in ihr wirkenden Kräfte sich ausleben lassen.
Mit anderen Worten: ich bin nur duldsam mit dem, was meiner Eigenart entspricht.
Gegen alles andere übe ich eine zurückstoßende Kraft. Solange
der Mensch in der Sinneswelt befangen ist, wirkt er besonders zurückstoßend
gegen alle nicht sinnlichen Einflüsse. Der Lernende muß die
Eigenschaft in sich entwickeln, sich den Dingen und Menschen gegenüber
in deren Eigenart zu verhalten, ein jegliches in seinem Werte, in seiner
Bedeutung gelten zu lassen. Sympathie und Antipathie, Lust und Unlust müssen
ganz neue Rollen erhalten. Es kann nicht davon die Rede sein, daß
der Mensch diese ausrotten soll, sich stumpf gegenüber Sympathie und
Antipathie machen soll. Im Gegenteil, je mehr er in sich die Fähigkeit
ausbildet, nicht alsogleich auf jede Sympathie und Antipathie ein Urteil,
eine Handlung folgen zu lassen, eine um so feinere Empfindungsfähigkeit
wird er in sich ausbilden. Er wird erfahren, daß Sympathien und Antipathien
eine höhere Art annehmen, wenn er diejenige Art in sich zügelt,
die schon in ihm ist. Verborgene Eigenschaften hat selbst das zunächst
unsympathischste Ding; es offenbart sie, wenn der Mensch in seinem Verhalten
nicht seinen eigensüchtigen Empfindungen folgt. Wer sich in dieser
Richtung ausgebildet hat, der empfindet feiner nach allen Seiten hin als
andere, weil er sich nicht von sich selbst zur Unempfänglichkeit verführen
läßt. Jede Neigung, der man blindlings folgt, stumpft dafür
ab, die Dinge der Umgebung im rechten Licht zu sehen. Wir drängen
uns gleichsam, der Neigung folgend, durch die Umgebung hindurch, statt
uns ihr auszusetzen und sie in ihrem Werte zu fühlen.
Und wenn der Mensch nicht mehr auf jede Lust und
jeden Schmerz, auf jede Sympathie und Antipathie hin seine eigensüchtige
Antwort, sein eigensüchtiges Verhalten hat, dann wird er auch unabhängig
von den wechselnden Eindrücken der Außenwelt. Die Lust,
die man an einem Dinge empfindet, macht einen sogleich von diesem abhängig.
Man verliert sich an das Ding. Ein Mensch, der je nach den wechselnden
Eindrücken sich in Lust und Schmerz verliert, kann nicht den Pfad
der geistigen Erkenntnis wandeln. Mit Gelassenheit muß er
Lust und Schmerz aufnehmen. Dann hört er auf, sich in ihnen zu verlieren;
dann fängt er aber dafür an, sie zu verstehen. Eine Lust, der
ich mich hingebe, verzehrt mein Dasein in dem Augenblicke der Hingabe.
Ich aber soll die Lust nur benutzen, um durch sie zum Verständnisse
des Dinges zu kommen, das mir Lust bereitet. Es soll mir nicht darauf ankommen,
daß das Ding mir Lust bereitet: ich soll die Lust erfahren
und durch die Lust das Wesen des Dinges. Die Lust soll für
mich nur sein Verkündigung dessen, daß in dem Dinge eine Eigenschaft
ist, die sich eignet, Lust zu bereiten. Diese Eigenschaft soll ich erkennen
lernen. Bleibe ich bei der Lust stehen, lasse ich mich ganz von ihr einnehmen,
so bin ich es nur selbst, der sich auslebt; ist mir die Lust nur die Gelegenheit,
eine Eigenschaft des Dinges zu erleben, so mache ich durch dieses Erlebnis
mein Inneres reicher. Dem Forschenden müssen Lust und Unlust, Freude
und Schmerz Gelegenheit sein, durch die er von den Dingen lernt.
Der Forschende wird dadurch nicht stumpf gegen Lust und Schmerz; aber er
erhebt sich über sie, damit sie ihm die Natur der Dinge offenbaren.
Wer nach dieser Richtung hin sich entwickelt, wird einsehen lernen, welche
Lehrmeister Lust und Schmerz sind. Er wird mit jedem Wesen mitempfinden
und dadurch die Offenbarung von dessen Innerem empfangen. Der Forschende
sagt sich niemals allein: oh, wie leide ich, wie freue ich mich, sondern
stets: wie spricht das Leid, wie spricht die Freude. Er gibt sich hin,
um Lust und Freude der Außenwelt auf sich einwirken zu lassen. Dadurch
entwickelt sich in dem Menschen eine völlig neue Art, sich zu den
Dingen zu stellen. Früher ließ der Mensch diese oder jene Handlung
auf diesen oder jenen Eindruck nur deshalb folgen, weil die Eindrücke
ihn freuten oder ihm Unlust machten. Jetzt aber läßt er Lust
und Unlust auch die Organe sein, durch die ihm die Dinge sagen, wie sie,
ihrem Wesen nach, selbst sind. Lust und Schmerz werden aus bloßen
Gefühlen in ihm zu Sinnesorganen, durch welche die Außenwelt
wahrgenommen wird. Wie das Auge nicht selbst handelt, wenn es etwas sieht,
sondern die Hand handeln läßt, so bewirken Lust und Schmerz
in dem geistig Forschenden, insofern er sie als Erkenntnismittel anwendet,
nichts, sondern sie empfangen Eindrücke, und das, was durch Lust und
Unlust erfahren ist, das bewirkt die Handlung. Wenn der Mensch in der Art
Lust und Unlust übt, daß sie Durchgangsorgane werden, so bauen
sie ihm in seiner Seele die eigentlichen Organe auf, durch die sich ihm
die seelische Welt erschließt. Das Auge kann nur dadurch dem Körper
dienen, daß es ein Durchgangsorgan für sinnliche Eindrücke
ist; Lust und Schmerz werden zu Seelenaugen sich entwickeln, wenn
sie aufhören, bloß für sich etwas zu gelten, und anfangen,
der eigenen Seele die fremde Seele zu offenbaren.
Durch die genannten Eigenschaften setzt sich der
Erkennende in die Lage, ohne störende Einflüsse seiner Eigenheiten
dasjenige auf sich einwirken zu lassen, was in seiner Umwelt wesenhaft
vorhanden ist. Er hat aber auch sich selbst in die geistige Umwelt in richtiger
Art einzufügen. Er ist ja als denkendes Wesen Bürger der geistigen
Welt. Er kann das nur in rechter Weise sein, wenn er während des Geisterkennens
seinen Gedanken einen Ablauf gibt, der den ewigen Gesetzen der Wahrheit,
den Gesetzen des Geisterlandes, entspricht. Denn nur so kann dieses Land
auf ihn wirken und ihm seine Tatsachen offenbaren. Der Mensch gelangt nicht
zur Wahrheit, wenn er sich nur den fortwährend durch sein Ich ziehenden
Gedanken überläßt. Denn dann nehmen diese Gedanken einen
Verlauf, der ihnen dadurch aufgedrängt wird, daß sie innerhalb
der leiblichen Natur zum Dasein kommen. Regellos und wirr nimmt sich die
Gedankenwelt eines Menschen aus, der sich der zunächst durch sein
leibliches Gehirn bedingten Geistestätigkeit überläßt.
Da setzt ein Gedanke ein, bricht ab, wird durch einen anderen aus dem Felde
geschlagen. Wer prüfend das Gespräch zweier Menschen belauscht,
wer sich unbefangen selbst beobachtet, der erhält eine Vorstellung
von dieser irrlichtelierenden Gedankenmasse. Solange nun der Mensch sich
bloß den Aufgaben des Sinnenlebens widmet, so lange wird sein wirrer
Gedankenablauf durch die Tatsachen der Wirklichkeit immer wieder zurechtgerückt.
Ich mag noch so verworren denken: der Alltag drängt mir in meinen
Handlungen die der Wirklichkeit entsprechenden Gesetze auf. Mein Gedankenbild
einer Stadt mag sich als das regelloseste gestalten: will ich in der Stadt
einen Weg machen, so muß ich mich den vorhandenen Tatsachen fügen.
Der Mechaniker kann mit noch so bunt durcheinanderwirbelnden Vorstellungen
seine Werkstätte betreten; er wird durch die Gesetze seiner Maschinen
zu richtigen Maßnahmen geführt. Innerhalb der Sinnenwelt üben
die Tatsachen ihre fortwährende Korrektur für das Denken. Wenn
ich eine falsche Ansicht über eine physische Erscheinung oder über
die Gestalt einer Pflanze ausdenke, so tritt mir die Wirklichkeit entgegen
und rückt mein Denken zurecht. Ganz anders ist es, wenn ich mein Verhältnis
zu den höheren Gebieten des Daseins betrachte. Sie enthüllen
sich mir nur, wenn ich ihre Welten schon mit einem streng geregelten Denken
betrete. Da muß mir mein Denken den rechten, den sicheren Antrieb
geben, sonst finde ich nicht die entsprechenden Wege. Denn die geistigen
Gesetze, die sich in diesen Welten ausleben, sind nicht bis zur physischsinnlichen
Art verdichtet und üben also auf mich nicht den gekennzeichneten Zwang
aus. Ich vermag diese Gesetze nur zu befolgen, wenn sie mit meinen eigenen,
als denen eines denkenden Wesens, verwandt sind. Ich muß mir hier
selbst ein sicherer Wegweiser sein. Der Erkennende muß also sein
Denken zu einem streng in sich geregelten machen. Die Gedanken müssen
sich bei ihm allmählich ganz entwöhnen, den alltäglichen
Gang zu nehmen. Sie müssen in ihrem ganzen Verlaufe den inneren Charakter
der geistigen Welt annehmen. Er muß sich nach dieser Richtung beobachten
können und in der Hand haben. Nicht willkürlich darf sich bei
ihm ein Gedanke an den andern anreihen, sondern allein so, wie es dem strengen
Inhalte der Gedankenwelt entspricht. Der Übergang von einer Vorstellung
zur andern muß den strengen Denkgesetzen entsprechen. Der Mensch
muß als Denker gewissermaßen stets ein Abbild dieser Denkgesetze
darstellen. Alles, was nicht aus diesen Gesetzen fließt, muß
er seinem Vorstellungsablauf verbieten. Tritt ihm ein Lieblingsgedanke
in den Weg, so muß er ihn abweisen, wenn der in sich geregelte Ablauf
dadurch gestört wird. Will ein persönliches Gefühl seinen
Gedanken eine gewisse, nicht in ihnen liegende Richtung aufzwingen, so
muß er es unterdrücken. – Plato hat von denjenigen verlangt,
die in seiner Schule sein wollten, daß sie zuerst einen mathematischen
Lehrgang durchmachen. Und die Mathematik mit ihren strengen Gesetzen, die
sich nicht nach dem alltäglichen Gang der Sinneserscheinungen richten,
ist wirklich eine gute Vorbereitung für den Erkenntnis Suchenden.
Er muß sich, wenn er in ihr vorwärtskommen will, aller persönlichen
Willkür, aller Störungen entschlagen. Der Erkenntnis Suchende
bereitet sich für seine Aufgabe dadurch vor, daß er durch Willkür
alle selbsttätig waltende Willkür des Denkens überwindet.
Er lernt, rein den Forderungen des Gedankens zu folgen. Und so muß
er lernen, in jeglichem Denken, das der Geisterkenntnis dienen soll, vorzugehen.
Dies Gedankenleben selbst muß ein Abbild des ungestörten
mathematischen Urteilens und Schließens sein. Er muß bestrebt
sein, wo er geht und steht, in solcher Art denken zu können. Dann
fließen die Gesetzmäßigkeiten der geistigen Welt in ihn
ein, die spurlos an ihm vorüber- und durch ihn hindurchziehen, wenn
sein Denken den alltäglichen, verworrenen Charakter trägt. Ein
geordnetes Denken bringt ihn von sicheren Ausgangspunkten aus zu den verborgendsten
Wahrheiten. Solche Hinweise sollen aber nicht einseitig aufgefaßt
werden. Wenn auch Mathematik eine gute Disziplinierung des Denkens bewirkt,
so kann man doch zu einem reinen, gesunden und lebensvollen Denken auch
kommen, ohne Mathematik zu treiben.
Und was der Erkenntnis Suchende für sein Denken
anstrebt, das muß er auch für sein Handeln anstreben. Dies muß,
ohne störende Einflüsse von seiten seiner Persönlichkeit,
den Gesetzen des edlen Schönen und ewig Wahren folgen können.
Diese Gesetze müssen ihm die Richtung geben können. Beginnt er
etwas zu tun, was er als das Richtige erkannt hat, und befriedigt sich
an diesem Tun sein persönliches Gefühl nicht, so darf er den
betretenen Weg deswegen nicht verlassen. Er darf ihn aber auch nicht
verfolgen, weil er ihm Freude macht, wern er findet, daß er mit den
Gesetzen des ewig Schönen und Wahren nicht übereinstimmt. Im
alltäglichen Leben lassen sich die Menschen von dem zu ihren Handlungen
bestimmen, was sie persönlich befriedigt, was ihnen Früchte
trägt. Dadurch zwingen sie die Richtung ihrer Persönlichkeit
dem Gang der Welterscheinungen auf. Sie verwirklichen nicht das Wahre,
das in den Gesetzen der geistigen Welt vorgezeichnet ist, sie verwirklichen
die Forderung ihrer Willkür. Erst dann wirkt man im Sinne der geistigen
Welt, wenn man allein deren Gesetze befolgt. Aus dem, was bloß aus
der Persönlichkeit heraus getan wird, ergeben sich keine Kräfte,
die eine Grundlage bilden können für Geisterkenntnis. Der Erkenntnis
Suchende kann nicht bloß fragen: was bringt mir Frucht, womit habe
ich Erfolg, sondern er muß auch fragen können: was habe ich
als das Gute erkannt? Verzicht auf die Früchte des Handelns für
die Persönlichkeit, Verzicht auf alle Willkür: das sind die ernsten
Gesetze, die er sich muß vorzeichnen können. Dann wandelt er
in den Wegen der geistigen Welt, sein ganzes Wesen durchdringt sich mit
diesen Gesetzen. Er wird frei von allem Zwang der Sinnenwelt: sein Geistmensch
hebt sich heraus aus der sinnlichen Umhüllung. So gelangt er hinein
in den Fortschritt zum Geistigen, so vergeistigt er sich selbst. Man kann
nicht sagen: was nützen mir alle Vorsätze, rein den Gesetzen
des Wahren zu folgen, wenn ich mich vielleicht über dieses Wahre irre?
Es kommt auf das Streben, auf die Gesinnung an. Selbst der Irrende hat
in dem Streben nach dem Wahren eine Kraft, die ihn von der unrichtigen
Bahn ablenkt. Ist er im Irrtum, so ergreift ihn diese Kraft und führt
ihn die Wege zum Rechten. Schon der Einwand: ich kann auch irren, ist störender
Unglaube. Er zeigt, daß der Mensch kein Vertrauen hat in die Kraft
des Wahren. Denn gerade darauf kommt es an, daß er sich nicht vermißt,
von seinem eigensüchtigen Standpunkte aus sich die Ziele zu geben,
sondern darauf, daß er sich selbstlos hingibt und von dem Geiste
sich die Richtung bestimmen läßt. Nicht der eigensüchtige
Menschenwille kann dem Wahren seine Vorschriften machen, sondern dieses
Wahre selbst muß in dem Menschen zum Herrscher werden, muß
sein ganzes Wesen durchdringen, ihn zum Abbild machen der ewigen Gesetze
des Geisterlandes. Erfüllen muß er sich mit diesen ewigen Gesetzen,
um sie ins Leben ausströmen zu lassen. – Wie sein Denken, so muß
der Erkenntnis Suchende seinen Willen in strengem Gewahrsam haben können.
Er wird dadurch in aller Bescheidenheit – ohne Anmaßung – ein Bote
der Welt des Wahren und Schönen. Und dadurch, daß er dies wird,
steigt er zum Teilnehmer der Geisteswelt auf. Dadurch wird er von Entwickelungsstufe
zu Entwickelungsstufe gehoben. Denn man kann das geistige Leben nicht allein
durch Anschauen, sondern man muß es dadurch erreichen, daß
man es erlebt.
Beobachtet der Erkenntnis Suchende diese dargestellten
Gesetze, so werden bei ihm diejenigen seelischen Erlebnisse, die sich auf
die geistige Welt beziehen, eine völlig neue Gestalt annehmen. Er
wird nicht mehr bloß in ihnen leben. Sie werden nicht mehr
bloß eine Bedeutung für sein Eigenleben haben. Sie werden sich
zu seelischen Wahrnehmungen der höheren Welt ausbilden. In seiner
Seele wachsen die Gefühle, wachsen Lust und Unlust, Freude und Schmerz
zu Seelenorganen aus, wie in seinem Körper Augen und Ohren nicht bloß
ein Leben für sich führen, sondern selbstlos die äußeren
Eindrücke durch sich hindurchgehen lassen. Und dadurch gewinnt der
Erkenntnis Suchende die Ruhe und Sicherheit in der Seelenverfassung,
die für das Forschen in der Geisteswelt nötig sind. Eine große
Lust wird ihn nicht mehr bloß jauchzen machen, sondern ihm Verkünderin
sein können von Eigenschaften der Welt, die ihm vorher entgangen sind.
Sie wird ihn ruhig lassen; und durch die Ruhe werden die Merkmale der lustbringenden
Wesenheiten sich ihm offenbaren. Ein Schmerz wird ihn nicht mehr bloß
mit Betrübnis ganz ausfüllen, sondern ihm auch sagen können.
welche Eigenschaften das Schmerz verursachende Wesen hat. Wie das Auge
nichts für sich begehrt, sondern dem Menschen die Richtung des Weges
angibt, den er zu gehen hat, so werden Lust und Schmerz die Seele ihre
Bahn sicher führen. Dies ist der Zustand des seelischen Gleichgewichtes,
in den der Erkennende kommen muß. Je weniger Lust und Schmerz sich
in den Wellen erschöpfen, die sie im Innenleben des Erkennenden aufwerfen,
desto mehr werden sie Augen bilden für die übersinnliche Welt.
Solange der Mensch in Lust und Leid lebt, so lange erkennt er nicht
durch sie. Wenn er durch sie zu leben lernt, wenn er sein Selbstgefühl
aus ihnen herauszieht, dann werden sie seine Wahmehmungsorgane; dann sieht,
dann erkennt er durch sie. Es ist unrichtig, zu glauben, der Erkennende
werde ein trockener, nüchterner, lust- und leidloser Mensch. Lust
und Leid sind in ihm vorhanden, aber dann, wenn er in der Geisteswelt forscht,
in verwandelter Gestalt; sie sind «Augen und Ohren» geworden.
Solange man persönlich mit der Welt lebt, so
lange enthüllen die Dinge auch nur das, was sie mit unserer Persönlichkeit
verknüpft. Das aber ist ihr Vergängliches. Ziehen wir uns selbst
von unserem Vergänglichen zurück und leben wir mit unserem Selbstgefühl,
mit unserem «Ich» in unserem Bleibenden, dann werden die vergänglichen
Teile an uns zu Vermittlern; und was sich durch sie enthüllt, das
ist ein Unvergängliches, ein Ewiges an den Dingen. Dieses Verhältnis
seines eigenen Ewigen zum Ewigen in den Dingen muß bei dem
Erkennenden hergestellt werden können. Schon bevor er andere Übungen
der beschriebenen Art aufnimmt und auch während derselben soll er
seinen Sinn auf dieses Unvergängliche hinlenken. Wenn ich einen Stein,
eine Pflanze, ein Tier, einen Menschen beobachte, soll ich eingedenk sein
können, daß sich in all dem ein Ewiges ausspricht. Ich soll
mich fragen können, was lebt als Bleibendes in dem vergänglichen
Stein, in dem vergänglichen Menschen? Was wird die vorübergehende
sinnliche Erscheinung überdauern? –Man soll nicht glauben, daß
solches Hinlenken des Geistes zum Ewigen die hingebungsvolle Betrachtung
und den Sinn für die Eigenschaften des Alltags in uns austilge und
uns der unmittelbaren Wirklichkeit entfremde. Im Gegenteil. Jedes Blatt,
jedes Käferchen wird uns unzählige Geheimnisse enthüllen,
wenn unser Auge nicht nur, sondern durch das Auge der
Geist auf sie gerichtet ist. Jedes Glitzern, jede Farbennuance, jeder Tonfall
werden den Sinnen lebhaft und wahrnehmbar bleiben, nichts wird verlorengehen;
nur unbegrenztes neues Leben wird hinzugewonnen werden. Und wer nicht mit
dem Auge das Kleinste zu beobachten versteht, wird auch nur zu blassen,
blutleeren Gedanken, nicht aber zu geistigem Schauen kommen. – Es hängt
von der Gesinnung ab, die wir uns in dieser Richtung erwerben. Wie
weit wir es bringen, das wird von unseren Fähigkeiten abhängen.
Wir haben nur das Rechte zu tun und alles übrige der Entwickelung
zu überlassen. Zunächst muß es uns genügen, unseren
Sinn auf das Bleibende zu richten. Tun wir das, dann wird eben dadurch
die Erkenntnis des Bleibenden uns aufgehen. Wir müssen warten,
bis uns gegeben wird. Und es wird zur entsprechenden Zeit jedem gegeben,
der in Geduld wartet und – arbeitet. – Bald bemerkt unter solchen Übungen
der Mensch, welche gewaltige Verwandlung mit ihm vorgeht. Er lernt jedes
Ding nur mehr in derjenigen Beziehung wichtig oder unwichtig nehmen, als
er das Verhältnis dieses Dinges zu einem Bleibenden, Ewigen erkannt
hat. Er kommt zu einer anderen Wertung und Schätzung der Welt, als
er sie früher gehabt hat. Sein Gefühl bekommt ein anderes Verhältnis
zu der ganzen Umwelt. Das Vergängliche zieht ihn nicht mehr bloß
um seiner selbst willen an wie früher; es wird ihm auch noch ein Glied
und Gleichnis des Ewigen. Und dieses Ewige, das in allen Dingen lebt, lernt
er lieben. Es wird ihm vertraut, wie ihm vorher das Vergängliche vertraut
war. Auch dadurch wird er nicht dem Leben entfremdet, sondern er lernt
nur ein jegliches Ding seiner wahren Bedeutung nach schätzen. Selbst
der eitle Tand des Lebens wird nicht spurlos an ihm vorüberziehen;
aber der Mensch verliert sich, indem er nach dem Geistigen sucht, nicht
mehr an ihn, sondern erkennt ihn in seinem begrenzten Wert. Er sieht ihn
im rechten Lichte. Der ist ein schlechter Erkennender, der nur in Wolkenhöhen
wandeln wollte und darüber das Leben verlöre. Ein wirklich Erkennender
wird von seiner Gipfelhöhe aus durch klare Übersicht und rechte
Empfindung für alles ein jegliches Ding an seinen Platz zu stellen
wissen.
So eröffnet sich dem Erkennenden die Möglichkeit,
nicht mehr den unberechenbaren Einflüssen der äußeren Sinnenwelt
allein zu folgen, die sein Wollen bald da-, bald dorthin lenken. Er hat
durch Erkenntnis in der Dinge ewiges Wesen geschaut. Er hat durch die Umwandlung
seiner inneren Welt die Fähigkeit in sich, dieses ewige Wesen wahrzunehmen.
Für den Erkennenden erhalten die folgenden Gedanken noch eine besondere
Wichtigkeit. Wenn er aus sich heraus handelt, so ist er sich bewußt,
aus dem ewigen Wesen der Dinge heraus zu handeln. Denn die Dinge sprechen
in ihm dieses ihr Wesen aus. Er handelt also im Sinne der ewigen
Weltordnung, wenn er aus dem in ihm lebenden Ewigen diesem seinem Handeln
die Richtung gibt. Er weiß sich dadurch nicht mehr bloß von
den Dingen getrieben; er weiß, daß er sie nach den ihnen selbst
eingepflanzten Gesetzen treibt, welche die Gesetze seines eigenen Wesens
geworden sind. – Dieses Handeln aus dem Innern kann nur ein Ideal sein,
dem man zustrebt. Die Erreichung dieses Zieles liegt in weiter Ferne. Aber
der Erkennende muß den Willen haben, diese Bahn klar zu sehen. Dies
ist sein Wille zur Freiheit. Denn Freiheit ist Handeln aus sich
heraus. Und aus sich darf nur handeln, wer aus dem Ewigen die Beweggründe
schöpft. Ein Wesen, das dies nicht tut, handelt nach anderen Beweggründen,
als den Dingen eingepflanzt sind. Ein solches widerstrebt der Weltordnung.
Und diese muß ihm gegenüber dann obsiegen. Das heißt:
es kann letzten Endes nicht geschehen, was es seinem Willen vorzeichnet.
Es kann nicht frei werden. Willkür des Einzelwesens vernichtet sich
selbst durch die Wirkung ihrer Taten.
*
Wer in solcher Art auf sein inneres Leben zu wirken
Vermag, schreitet von Stufe zu Stufe in der Geisterkcnntnis vorwärts.
Die Frucht seiner Übungen wird sein, daß seinem geistigen Wahrnehmen
gewisse Einsichten in die übersinnliche Welt sich eröffnen. Er
lernt, wie die Wahrheiten über diese Welt gemeint sind; und er wird
von ihnen durch eigene Erfahrung die Bestätigung erhalten. Ist diese
Stufe erstiegen, dann tritt an ihn etwas heran, was nur durch diesen Weg
Erlebnis werden kann. Auf eine Art, deren Bedeutung ihm erst jetzt klarwerden
kann, wird ihm durch die «großen geistigen Führermächte
des Menschengeschlechtes» die sogenannte Einweihung (Initiation)
zuteil. Er wird zum «Schüler der Weisheit». Je weniger
man in einer solchen Einweihung etwas sieht, das in einem äußerlichen
menschlichen Verhältnisse besteht, desto richtiger wird die darüber
gebildete Vorstellung sein. Nur angedeutet kann hier werden, was mit dem
Erkennenden nun vorgeht. Er erhält eine neue Heimat. Er wird dadurch
bewußter Einheimischer in der übersinnlichen Welt. Der Quell
geistiger Einsicht strömt ihm nun-mehr aus einem höheren Orte
zu. Das Licht der Erkenntnis leuchtet ihm nunmehr nicht von außen
entgegen, sondern er wird selbst in den Quellpunkt dieses Lichtes versetzt.
In ihm erhalten die Rätsel, welche die Welt aufgibt, ein neues Licht.
Er redet fortan nicht mehr mit den Dingen, die durch den Geist gestaltet
sind, sondern mit dem gestaltenden Geiste selbst. Das Eigenleben der Persönlichkeit
ist dann in den Augenblicken der Geisterkenntnis nur noch da, um bewußtes
Gleichnis zu sein des Ewigen. Zweifel an dem Geist, die vorher in ihm noch
aufkommen konnten, verschwinden; denn zweifeln kann nur, wen die Dinge
über den in ihnen waltenden Geist täuschen. Und da der «Schüler
der Weisheit» vermag, mit dem Geiste selbst Zwiesprache zu halten,
so schwindet ihm auch jede falsche Gestalt, unter der er sich vorher den
Geist vorgestellt hat. Die falsche Gestalt, in der man sich den Geist vorstellt,
ist Aberglaube. Der Eingeweihte ist über den Aberglauben hinaus, denn
er weiß, welche des Geistes wahre Gestalt ist. Freiheit von
den Vorurteilen der Persönlichkeit, des Zweifels und des Aberglaubens,
das sind die Merkmale dessen, der auf dem Erkenntnispfade zur Schülerschaft
aufgestiegen ist. Man soll nicht verwechseln dieses Einswerden der Persönlichkeit
mit dem umfassenden Geistesleben mit einem die Persönlichkeit vernichtenden
Aufgehen derselben in dem «Allgeist». Ein solches «Verschwinden»
findet bei wahrer Entwickelung der Persönlichkeit nicht statt. Diese
bleibt in dem Verhältnis, das sie mit der Geistwelt eingeht, als Persönlichkeit
gewahrt. Nicht Überwindung, sondern höhere Ausgestaltung der
Persönlichkeit findet statt. Will man ein Gleichnis für dieses
Zusammenfallen des Einzelgeistes mit dem Allgeist, dann kann man nicht
das wählen von verschiedenen Kreisen, die in einen zusammenfallen,
um in diesem unterzugehen, sondern man muß das Bild vieler Kreise
wählen, deren jeder eine ganz bestimmte Farbennuance hat. Diese verschiedenfarbigen
Kreise fallen übereinander, aber jede einzelne Nuance bleibt
in dem Ganzen ihrer Wesenheit bestehen. Keine verliert die Fülle ihrer
Eigenkräfte.
Die weitere Schilderung des «Pfades»
soll hier nicht gegeben werden. Sie ist, soweit dies möglich ist,
in meiner «Geheimwissenschaft», welche die Fortsetzung dieses
Buches bildet, gegeben.
Was hier über den geistigen Erkenntnispfad
gesagt ist, kann nur allzuleicht durch eine mißverständliche
Auffassung dazu verführen, in ihm eine Empfehlung solcher Seelenstimmungen
zu sehen, die eine Abkehr vom unmittelbaren freudigen und tatkräftigen
Erleben des Daseins mit sich bringen. Demgegenüber muß betont
werden, daß diejenige Stimmung der Seele, welche diese geeignet macht,
die Wirklichkeit des Geistes unmittelbar zu erleben, nicht wie eine allgemeine
Anforderung über das ganze Leben ausgedehnt werden kann. Der Erforscher
geistigen Daseins kann es in seine Gewalt bekommen, für diese Erforschung
die Seele in die dazu notwendige Abgezogenheit von der sinnenfälligen
Wirklichkeit zu bringen, ohne daß diese Abgezogenheit ihn im allgemeinen
zu einem weltfremden Menschen macht. – Auf der anderen Seite muß
aber auch erkannt werden, daß ein Erkennen der geistigen Welt, nicht
etwa nur ein solches durch Betreten des Pfades, sondern auch ein solches
durch Erfassen der geisteswissenschaftlichen Wahrheiten mit dem vorurteilsfreien
gesunden Menschenverstande, auch zu einem höheren sittlichen Lebensstand,
zu wahrheitsgemäßer Erkenntnis des sinnlichen Daseins, zu Lebenssicherheit
und innerer seelischer Gesundheit führt.