Es wird berichtet – und Gott weiß es am
besten, alle Weisheit ist sein, er ist großmächtig und edelmütig
allein, allgütig und gnädig bereit, zu verzeih'n – daß
in der Stadt des Heils, in Bagdad, einst ein Weber lebte, der unter dem
Namen Abu Dîsa bekannt war und mit Beinamen Usfûr (d.i. "Sperling")
hieß. Er war arm und hatte eine Frau und vier Töchter. Jedesmal
wenn er für die Leute ein Stück Leinen zu weben hatte, stahl
er davon ein Bündel Flachs. Schließlich hatte er so viel Flachs
beisammen, daß es für ein langes Stück Leinwand ausreichte.
Er fertigte dieses an, und sein Länge betrug sechzig Ellen. Damit
ging er zum Basar und verkaufte es für sechzig Drachmen. Er nahm das
Geld und kam an dem Platz Arsat al-Hauz vorüber. Dort sah er einen
Ausländer, einen persischen Astrologen, vor dem eine Schar von Menschen
stand und der gerade sagte: "So und so ist sein Name, das und das ist sein
Aszendent." Er hatte schon viel Geld eingenommen.
Abu Disa ging heim zu seiner Frau und erzählte
ihr von dem Astrologen. Da sagte sie: "Ach Mann, werde auch ein Astrologe,
damit wir jeden Tag einen Dinar zu verleben haben, und laß uns nicht
länger in dieser Not und Entbehrung!" Er antwortete: "Wahrlich, Weib,
du bist wahnsinnig! Ich kann ja nicht lesen und schreiben und kann nicht
rechnen und auch nicht reden; wie soll ich ein Astrologe werden? Willst
du, daß mich die Leute verprügeln?" Aber sie sagte: "Sieh doch
nur unseren Nachbarn, den Astrologen, wie gut er lebt und wieviel Geld
er ausgeben kann! Entweder wirst du ein Astrologe, oder du mußt dich
von mir scheiden!" Da der Weber Usfûr sie liebte, sagte er: "Ach
Frau, und wie soll ich das machen?" Sie antwortete: "Du nimmst ein paar
alte Hefte, breitest einen Teppich aus, setzt dich auf die Straße
und rufst: 'Der ausländische Wahrsager und Astrologe! Wer tut einen
Blick in seine Zukunft?' Dann werden sich die Leute um dich versammeln."
Er sagte: "Aber wenn mich nun jemand fragt, was in den Heften steht, was
soll ich dann sagen, wo ich doch nicht ein Wort lesen kann?" Sie antwortete:
"Wenn dich einer fragt, was darin steht, so mußt du sagen: 'Ich bin
doch kein Schreiber! Ich bin ein Astrologe und Wahrsager!'" Er sagte: "Aber
woher soll ich weite, wallende Gewänder nehmen?" Sie antwortete: "Ich
gebe dir das große Einschlagetuch und die Turbanbinde." Sie holte
ihm alte Hefte zusammen, gab ihm einen alten Teppich und ein Pult und sagte:
"Das ist alles, was du brauchst." "Ach, Weib", entgegnete er, "quäle
mich doch nicht mit Dingen, die ich nicht kann! Die Leute werden mich auslachen!"
Aber sie versetzte: "Mach dir keine Sorgen! Entweder wirst du ein Astrologe,
oder du scheidest dich von mir!" Da er sie liebte, blieb ihm nichts anderes
übrig, als schließlich zu sagen: "Ich will ein Astrologe werden."
Am nächsten Morgen nahm er den Teppich und
die sonstige Ausrüstung und ging hinaus zu einer belebten Straße,
wo die Astrologen zu sitzen pflegten, indem er die Hand aufs Herz legte
und sagte: "O Herr! Leite meine Ratlosigkeit, du Führer der Ratlosen!"
Er heß sich dort nieder, wo der Weg zu einem Bad vorüberführte,
und rief laut aus: "Der ausländische Astrologe und Wahrsager! Der
Zukunftsdeuter!" Als die Leute seine Worte hörten, kamen sie von allen
Seiten herbeigeströmt und sahen, wie er gekleidet und hergerichtet
war. Er hatte einen sehr langen Bart, der bis zum Bauch hinabreichte und
den er mit Henna gefärbt hatte; er hatte sich in das Einschlagetuch
gehüllt und die Turbanbinde um den Kopf gewunden und sah aus, als
wäre er ein alter Kuppler. Als sich die Leute um ihn versammelt hatten,
sagten die, welche ihn kannten: "Dieser Kuppler, der Weber Usfûr,
ist ja Astrologe geworden!" und sie lachten ihn aus, während er unter
lautem Rufen in seinen Heften blätterte.
Und siehe, da kam gerade die Tochter des Königs,
von ihren Sklavinnen umgeben, aus dem Bad. Sie sagte zu einer Sklavin:
"Was bedeutet dieses Geschrei und Gedränge? Sieh einmal nach!" Die
Sklavin ging und kam zurück; sie sagte: "O Herrin, das ist ein neuer
Astrolog aus dem Ausland! Die Leute drängen sich um ihn und sagen:
'So einer ist noch nie in unsere Stadt gekommen!'" Nun war die Tochter
des Königs gerade um diese Zeit schwanger. Sie sagte: "Geh hin zu
ihm, Mädchen, und sprich zu ihm: 'Meine Herrin läßt dir
sagen, du sollst für sie in die Zukunft schauen, und hier hast du
einen Dinar als Geschenk! Schau einmal nach, was sie zur Welt bringen wird!'"
Das Mädchen ging hin, bahnte sich einen Weg durch die Menge, die ihn
umgab, und richtete ihm die Botschaft aus. Usfûr streckte die Hand
aus und nahm das Goldstück ganz fassungslos entgegen, denn sein Leben
lang hatte er noch nie einen Dinar oder sonst etwas Goldgelbes in seiner
Hand gesehen außer gelben Wegdornbeeren, und er sprach bei sich:
"Kann das wirklich sein?" Dann hob er sein Buch ans Gesicht und wiegte
den Kopf; er begann, Blatt auf Blatt umzuwenden, biß sich auf die
Lippe und verharrte eine Weile in Schweigen. Darauf hob er den Kopf, bewegte
seinen Bart hin und her und sagte: "Das ist eine vom Glück begünstigte
Frau! Sie wird zwei Kinder gebären – weder auf der Erde noch im Himmel!"
Da ging das Mädchen zur Königstochter und teilte ihr das mit.
Nun traf es sich, daß die Königstochter
an jenem Abend gebären sollte. Als sie im Schloß angekommen
war, machte sie sich auf, um im Park des Schlosses spazierenzugehen. Da
gelangte sie zu einer Wächterhütte im Geäst eines Baumes,
in welcher der Parkwächter zu sitzen pflegte. Sie sprach: "Ich will
hinaufsteigen, um dort oben ein Weilchen die frische Luft zu genießen."
Sie stieg die Leiter empor, und nachdem sie eine Weile in der Hütte
gesessen hatte, überkamen sie die Geburtswehen. Die Geburtshelferin
stieg zu ihr hinauf, da sie außerstande war, wieder hinunterzusteigen,
und sie gebar einen Sohn und eine Tochter, wie der Astrologe, der Scheich
Usfûr, gesagt hatte. Da erscholl die frohe Kunde, daß die Tochter
des Königs einen Sohn und eine Tochter geboren habe, es wurden Almosenspenden
an die Armen verteilt, und die Freudenbotschaft wurde mit Musik bekanntgegeben.
Die Tochter des Königs aber befahl am nächsten Morgen, dem Astrologen
Usfûr ein Ehrenkleid, ein Maultier und tausend Dinare zu überbringen
und sprach zu ihren Dienern: "Laßt euch den Weg zu seiner Wohnung
zeigen, zieht ihm das Ehrenkleid an, gebt ihm die tausend Dinare und bringt
ihn zum Schloß, damit wir ihn sehen!"
Usfûr der Astrologe aber, nachdem ihm das
Goldstück in die Hände geraten war, raffte sogleich nach dem
Weggang der Sklavin seine Hefte und Bücher und den Teppich zusammen.
Mit dem Teppich über der Schulter und den Heften im Bausch des Gewandes
rannte er fliehend nach Hause und sagte: "Höre, Weib! Ich habe heute
einen Dinar bekommen, aber ich habe die Tochter des Königs angelogen,
und morgen werden sie kommen und mich hängen! Hier ist der Dinar,
den ich erhalten habe! Wenn jemand kommt und mich sucht, so sag: 'Er ist
nicht hier! Nehmt euren Dinar und geht!'" Sie antwortete: "Ach, du bist
wahnsinnig! Geh und halt den Mund!" Da sagte er: "Ha, du elendes Weib,
du willst mich beschwatzen! Bei Gott, ich werde ihnen zu allererst sagen:
'Sie hat mir geraten, ich solle ein Astrologe werden!' Als ob ich dich
ungeschoren ließe!" Usfûr brachte die Nacht in tausend Ängsten
zu und rechnete mit jedem Unheil.
Am nächsten Tag erschienen schon am frühen
Morgen die Sklaven und Eunuchen und fragten an der Tür: "Wo ist das
Haus des neuen Astrologen?" Die Leute sagten: "Dieses hier ist es!" Da
sprach Usfûr zu seiner Frau: "Ha, du schändliches Weibsstück!
Du sagst, ich soll Astrologe werden! Aber ich werde ihnen ganz bestimmt
sagen, daß du mir das beigebracht hast! Und die Prügel kriegst
du zuerst! Geh und rede mit ihnen und sag: 'Er ist nicht hier! Das ist
ein Verrückter, der nicht weiß, was er redet!'" Darauf ging
er, um nach einem Ort zu suchen, wo er sich verstecken könnte; aber
er fand nur den Backofen, der in den Boden eingemauert war. In diesen ließ
er sich hinunter und zog den Deckel über sich zu. Als sie nun an die
Tür pochten, rief seine Frau: "Wer ist da?" "Der Weise soll mit der
Königin sprechen", war die Antwort. "Bei Gott, Herr", sagte sie, "er
ist ein armer Kerl, ein Strolch, ein Verrückter, und er weiß
nicht, was er redet. Hier ist der Dinar." Da sagte der Eunuch.. "Du bist
wahnsinnig! Die Königin schickt ihm tausend Dinare und ein Maultier
und ein Ehrengewand. Mach, daß er herunterkommt, oder wir demolieren
das Haus!" Da ging sie davon und rief und suchte nach ihm, bis sie ihn
endlich im Backofen entdeckte; sein Haarschopf war zerzaust und sein Gesicht
und sein Körper waren ganz mit Ruß bedeckt, da der Ofen schmutzig
war. Sie rief ihm zu: "Los, komm! Wie hast du dich zugerichtet?" Er antwortete:
"Wehe dir! Geh weg von mir, damit sie nicht kommen und mich sehen!" Sie
sagte: "Auf! Komm mit! Dein Glück ist da! Die Königin hat dir
tausend Dinare und ein Maultier und ein Ehrenkleid geschickt!" "Gott soll
dir den Hals ausrenken!" antwortete er. "Ich war hier so gut versteckt!
Laß mich doch in Ruhe!" Dann stieg er aus dem Backofen heraus. Er
öffnete die Haustür und trat hinaus. Als sie ihn erblickten,
rief einer von ihnen aus: "Ha, o Hussein, seht nur den Astrologen der Königin
an! Bei Ali! Der hat sich seit zehn Tagen nicht das Gesicht gewaschen!"
Die Leute wichen vor ihm zurück und sagten: "He, was ist denn mit
dir los?" "Ach", antwortete er, "ich habe gestern wegen der Königin
die Dämonen versammelt und für sie einen Beschwörungszauber
ausgeführt." Da nahmen sie ihn mit ins Badehaus, wuschen ihn, führten
ihn wieder heraus und zogen ihm das Ehrengewand an. Dann ließen sie
ihn die Mauleselin besteigen. Aber er sagte: "O weh! Bei Ali, die ist mir
zu hoch! Laßt sie doch niederknien!" Da lachten sie ihn aus und sagten:
"Setz doch deinen Fuß in den Steigbügel!" Darauf setzte er seinen
Fuß von der verkehrten Seite her in den Steigbügel, so daß
sein Gesicht dem Schwanz der Mauleselin zugekehrt war, und sie lachten
ihn wieder aus. Da ließ die Mauleselin einen Wind. Er stürzte
sich vor Schreck von ihrem Rücken herab und sagte: "Holla! Es steckt
ein Kerl unter ihrem Schwanz!" Der Stallmeister brach in Gelächter
aus; er stieg selber auf, setzte sie in Gang und ritt auf dem Rücken
der Mauleselin einher; er spornte sie an, und sie ging bis ans Ende der
Straße. Aber siehe, da lief ein schwarzer Hund vor ihr über
den Weg, sie wurde scheu und der Stallmeister fiel von ihrem Rücken
herab auf die Erde und brach sich eine Hand und einen Fuß und schrie
laut: "Wehe du! Du hast mir Fuß und Hand gebrochen! Bei Gott, das
ist mir nur geschehen, weil ich mich gegen den Astrologen vergangen und
ihn geärgert habe! O Herr", wandte er sich zu diesem, "ich habe gefehlt!
Leute wie ich begehen Fehler, aber deinesgleichen ist zum Verzeihen bereit."
Er entgegnete ihm: "Erst zeigst du einem deine Verachtung, dann steigst
du noch selber auf das Maultier ...", und er bewegte seine Lippen. Da sprach
der Stallmeister bei sich: "Bei Ali! Wenn der auf jemanden böse ist,
wirft das Maultier den Betreffenden sogleich ab!"
Darauf zogen die Sklaven vor ihm her, bis er
bei der Königin ankam. Diese sagte zu ihm: "Astrologe! Du sollst jetzt
nur noch mein Sterndeuter sein und nicht mehr an der Straße sitzen
und für keinen anderen die Sterne deuten. Denn ich gewähre dir
eine hohe Bezahlung und festen Sold. Dir und deiner Familie soll ein ausreichender
Unterhalt zuteil werden." Darauf antwortete er ihr: "O Herrin! Meinst du,
ich setze mich gern an die Straße? Ich hatte ja nur in den Sternen
gesehen, daß du ins Bad gehen und deine Dienerin zu mir senden würdest;
daher setzte ich mich eigens deinetwegen dorthin." Daraufhin schenkte sie
ihm noch ein weiteres Ehrengewand. Sodann verließ er sie und begab
sich nach Hause, indem er auf der Mauleselin ritt und die Sklaven ihm bis
zur Tür seines Hauses das Geleit gaben. Als er angelangt war, sagte
er zu der Mauleselin: "He du, psch, psch!" Aber sie blieb nicht stehen.
Da sagte er: "He ihr Leute! Sagt doch 'psch, psch' zu ihr, sonst wirft
sie mich ab!" Darauf brachten die Diener sie zum Stehen, halfen ihm herunter
und gingen.
Er ging zu seiner Frau hinauf und diese fragte
ihn: "Wie ist es dir ergangen?" Er erwiderte: "Du hast mich ins Unglück
gestürzt und fragst noch, wie es mir ergangen sei! Wohlan! Wir wollen
alles mitnehmen, was wir eingenommen haben, und diese Stadt verlassen,
bevor sie mich fangen und hängen und ehe es auch dir an den Kragen
geht!" Sie aber antwortete: "Ach, wie kleinmütig bist du doch! Vertrau
auf Gott und schweig! Wir werden diese Stadt gewiß niemals verlassen."
Da sagte er zu ihr: "Du suchst nur, mich ins Verderben zu stürzen.
Aber glaube nicht, daß ich dich unbehelligt lasse, wenn ich sterbe!
Bei Gott, ich werde ihnen bestimmt sagen: 'Sie hat mir das beigebracht
und hat gesagt: Werde ein Astrologe und halte die Leute zum Narren!' Und
ich werde dafür sorgen, daß sie dich mit mir und noch vor mir
hängen." Sodann setzten sie sich beide nieder, um zu essen und zu
trinken.
Als mehrere Tage nach diesem Ereignis vergangen
waren, wollte es das Geschick, daß die Schatzkammer des Königs
erbrochen wurde und daß einige Geldsäcke mit zehntausend Dinaren
entwendet wurden. Am frühen Morgen kam der Eunuch und teilte dem König
mit, was mit seiner Schatzkammer geschehen war. Da wurde der König
sehr zornig und sprach: "Holt die Astrologen und die aus dem Sand wahrsagen,
damit sie feststellen, wer das Geld genommen hat!" Der König hatte
nämlich eine Vorliebe für die Astrologen und Geomantiker und
Sternkundigen. Er versammelte also zwanzig Astrologen und Geomantiker um
sich und sagte: 'Ich wünsche, daß ihr dieses Geld, das mir gestohlen
worden ist, wieder zum Vorschein bringt!" Sie forschten und rechneten und
vermochten doch nicht, es ans Licht zu bringen. Da entließ sie der
König und machte sich bedrückten Herzens auf, um seine Tochter
aufzusuchen. Sie sagte zu ihm: "O Vater, weshalb bist du so bedrückt?"
Er antwortete: "Es sind mir aus der Schatzkammer zehntausend Dinare gestohlen
worden. Ich habe die Astrologen holen lassen, aber keiner von ihnen konnte
mir irgendeine Erklärung geben. Nun bin ich ratlos, und meine Ehre
ist verletzt." Sie sprach: "Was würdest du sagen, wenn dir jemand
das Geld wiederbeschafft?" Er antwortete: "Ich würde ihm tausend Dinare
davon geben und ihm ein Ehrenkleid und ein Maultier schenken." Da sagte
sie: "Mein ausländischer Astrologe, der nicht seinesgleichen in der
Welt hat, beschafft dir das Geld. Er hat mir wahrhaftig meine Kinder prophezeit!"
Da sprach er: "Ich beschwöre dich, Töchterchen, leite das in
die Wege und handle schnell!" "Ich höre und gehorche", sagte sie.
Darauf sandte sie ihre Sklaven aus, um Usfûr
holen zu lassen. Als sie zu seinem Hause gelangt waren, pochten sie an
die Tür. Er schaute aus dem Fenster; aber als er sie erblickte, zog
er seinen Kopf zurück und sagte zu seiner Frau: "Du Weibsstück!
Bei Ali, diesmal ist es aus. Die Prügelstrafe und die Vergeltung sind
schon da! Sieh nur, was hier los ist! Siebenhundert Sklaven!" In Wirklichkeit
waren es aber nur drei. "Ha, du! Was soll ich machen?" Die Frau stand auf
und rief: "Wer ist an der Tür?" Sie fragten: "Ist der Weise da?" Er
sagte: "Du, sag doch: Er ist nicht da!" Sie rief: "Ja, Herr, er ist eben
zu mir gekommen!" "Gott soll dir die Zunge abschneiden, du Weibsstück!"
versetzte er. Dann machte er sich auf, legte ein Ehrengewand und einen
prächtigen Turban an, ging hinunter, sattelte das Maultier und trat
zu ihnen hinaus. "Was wollt ihr?" fragte er. Sie antworteten: "Du sollst
mit dem König reden!" "Was will der König von mir?" fragte er.
Sie sagten: "Ihm sind zehntausend Dinare aus der Schatzkammer verschwunden,
und die Tochter des Königs hat ihm von dir gesagt, du würdest
sie wieder ans Licht bringen." Da sagte er: "In Gottes Namen!" und begab
sich mit ihnen zum König.
Er trat ein, grüßte, schritt durch
alle Anwesenden hindurch und setzte sich dann neben dem König nieder.
Da sprach der König bei sich: "Bei Gott, wenn dieser Mann nicht der
größte Weise unserer Zeit wäre, so würde er sich nicht
an meiner Seite niedersetzen." Dann wandte sich der König ihm zu und
fragte ihn: "Ist das wahr, was meine Tochter über dich berichtet hat?"
"Jawohl", antwortete er. Darauf sagte der König: "Aus meiner Schatzkammer
sind mir zehntausend Dinare verschwunden, und sämtliche Astrologen
sind außerstande zu entdecken, wo sie sind. Wenn du es vermagst,
so sollen dir tausend Dinare davon gehören." Er antwortete: "O König!
Ich wünsche, daß sämtliche Astrologen hier vor dir erscheinen
und ihre Unfähigkeit eingestehen, und dann werde ich mit gnädiger
Erlaubnis des Königs ans Werk gehen." Daraufhin befahl der König,
die Astrologen allesamt herbeizuholen. Als sie zugegen waren, sprach der
König zu ihnen: "Der Astrologe meiner Tochter ist hier erschienen
und hat mir erklärt, er werde die zehntausend Dinare ausfindig machen.
Nun sollt ihr ihm eure Unfähigkeit eingestehen, und dann wird er das
Geld ans Licht bringen." Als sie den Astrologen Usfûr mit seinem
langen Bart sahen, brachen sie in Gelächter aus und sagten: "Seit
wann ist dieser irrsinnige Großsprecher ein Astrologe? Das ist ein
Weber! Welche Fähigkeiten besitzt er denn, so daß wir ihm unsere
Unfähigkeit eingestehen sollen?" Aber einer von ihnen sagte: "Was
schadet es denn, wenn wir ihm dies zugestehen und uns damit über ihn
lustig machen? Dann wird er in seine Sterne schauen und den König
dazu veranlassen, ihn zu verprügeln." So sprachen sie denn: "O König!
Wir sind außerstande, den Verbleib des Geldes aufzudecken. Wenn dieser
Weise dazu imstande ist, so soll er mit uns nach Belieben verfahren." Darauf
sagte Usfûr: "O König, gewähre mir eine Frist von zehn
Tagen!" Der König sagte: "Sie sei dir gewährt!" Usfûr aber
sprach bei sich: "Ich will gehen und meine Frau mitnehmen, und wir wollen
aus dieser Stadt fortreisen. Bis zehn Tage vergangen sind, bin ich längst
in einer fernen Stadt und werde aller dieser Sorgen frei und ledig sein.
Woher sollte ich wohl die zehntausend Dinare nehmen!" Sodann verließen
alle den König, während die Astrologen über Usfûr
lachten und sagten: "Was will denn dieser Unglücksmensch hier schon
ausrichten!"
Usfûr aber ging heim zu seiner Frau und
sagte zu ihr: "Mach dich auf, du Weibsstück! Es ist etwas geschehen!"
Sie sprach: "Was hast du denn?" Er antwortete: "Ich habe mich bei dem König
dafür verbürgt, daß ich die zehntausend Dinare, die ihm
abhanden gekommen sind, wieder herbeischaffe, ehe noch zehn Tage vergangen
sind. Wohlan, wir müssen fortreisen! Bis zehn Tage vorüber sind,
werden wir in einer fernen Stadt sein und von allen diesen Sorgen erlöst
sein. Wir besitzen ja soviel, daß wir genügend zu essen haben
werden, bis wir sterben." Sie aber erwiderte: "Wir werden gewiß nicht
aus dieser Stadt weggehen, bis wir sterben." Da rief er aus: "Ha, du verdammtes
Weib! Wo soll ich zehntausend Dinare finden, um sie ihm zu geben? Du bist
nur darauf aus, mich an den Galgen zu bringen. Aber ich werde, bei Gott,
dafür sorgen, daß sie dich vor mir hängen!" "Ach, Mann",
sagte sie, "bis zehn Tage vergangen sind, können tausend glückliche
Lösungen eintreten." Er antwortete: "Ach Frau, selbst wenn die zehn
Tage ein ganzes Jahr wären ... !" Aber sie sagte: "Das wird sich schon
finden." Da wurde ihm leichter ums Herz und er sprach: "Ach Frau, ich will
während dieser Zeit nirgendwo hingehen, sondern bei dir auf der Steinbank
an der Haustür sitzen, bis wir sehen, was aus der Sache wird. Ich
möchte, o Weib, daß du mir einen Krug hinstellst und oben verschließt
und mir zehn Dattelkerne daneben legst. Und jedesmal wenn ein Tag verstreicht,
werfe ich einen Dattelkern in den Krug." Sie sagte: "Das will ich gern
tun." Am nächsten Tag ging er hinunter, breitete einen Teppich aus,
setzte sich neben die Haustür, legte alles, was er bei sich hatte,
neben sich, und saß so bis zum Mittag.
So weit die Geschichte von Usfûr. Was aber
das Geld betrifft, so war es von zehn Räubern aus der Schatzkammer
des Königs entwendet worden; sie konnten aber während dieser
Tage nichts davon ausgeben und auch nicht in Erfahrung bringen, wie es
dem König inzwischen ergangen war. Dann gelangte die Kunde zu ihnen,
daß der Astrologe Usfûr sich verbürgt hatte, das Geld
innerhalb von zehn Tagen herbeizuschaffen. Sie fürchteten daher für
ihr Leben und sprachen untereinander: "Er wird sich nicht dafür verbürgt
haben, das Geld binnen zehn Tagen wieder herbeizuschaffen, ohne daß
er über uns Bescheid weiß. Was soll nun werden?" Darauf beschlossen
sie: "Heute soll einer von uns sich in die Nähe seines Hauses begeben,
um Klarheit zu erhalten, wie die Sache steht. Wenn er ihn kennt, dann wird
er uns auch kennen." Sie sagten: "Das ist der richtige Plan! Wenn er uns
kennen sollte, dann geben wir ihm das Geld, und er wird uns daraufhin schonen
und nicht verraten." Die Räuber wohnten aber in einer Höhle verborgen
außerhalb der Stadt. Einer von ihnen sagte: "Ich will zu ihm gehen
und erkunden, wie die Sache sich verhält!"
Der Räuber kam zum Hause Usfûrs und
fand ihn mit einem Buch vor sich auf der Bank sitzend. Er schaute in das
Buch, dann blickte er dem Räuber ins Gesicht und dann wieder in das
Buch. Da sprach der Räuber bei sich: "Bei Ali! Er hat mich erkannt!"
Darauf redete Usfûr den Räuber an: "Du kennst mich wohl?!" Es
traf sich aber, daß gerade ein Mann dicht neben Usfûr sich
mit einem anderen laut zankte, und er sah dabei den Räuber an. Da
dachte der Räuber, daß er gemeint sei und daß der andere
ihn beschimpfe. Der Räuber sagte: "Beim Herrn der Kaaba, er kennt
mich, und sogar die Leute, die in seinem Haus wohnen, kennen mich!" Er
lief schleunigst weg und setzte sich an einem nahen Ort nieder, so daß
er den Astrologen reden hören konnte, ohne daß dieser ihn sah.
Nach einer Weile sagte Usfûr zu seiner Frau: "He' Dscharâda!"
"Ja, ich höre schon", antwortete sie. Er sprach: "Das ist einer von
den zehn! Neun bleiben noch übrig!" Als der Räuber diese Worte
Usfûrs hörte, rannte er eilends davon und lief, ohne sich umzuwenden
und von Angst erfüllt, bis er zu seinen Gefährten kam. Er erzählte
ihnen, was geschehen war. Da sagten sie alle: "Vielleicht war das nur Zufall.
Woher sollte er etwas wissen?" Aber der Räuber sagte: "Bei Gott, er
hat mich erkannt und hat gesagt: 'Das ist einer von den zehn!'" Sie sprachen:
"Wenn die Sache sich so verhält, so soll morgen ein anderer hingehen,
und wenn er diesen auch kennt, dann wollen wir unsere Sache mit ihm regeln."
Am nächsten Tag sagte einer von ihnen: "Heute
will ich zu ihm gehen!" Er wartete bis zum späten Nachmittag, dann
ging er los und fand Usfûr an der Tür sitzend, vor sich das
Buch. Usfûr blickte abwechselnd in das Gesicht des Räubers und
dann wieder in sein Buch. Nachdem der Räuber weiter gegangen war,
blieb er stehen, ohne bemerkt zu werden, um zu hören, was er sage.
Da rief Usfûr seiner Frau zu: "He du, hör mal!" Sie sagte: "Ich
höre schon." Da sprach er: "Das war jetzt schon der zweite von den
zehn!" Als der Räuber Usfûr so zu seiner Frau reden hörte,
sprach er bei sich.. "Beim Herrn der Kaaba! Er kennt uns, dieser Hahnrei!"
Er wandte sich eilends zur Flucht und rannte zu seinen Gefährten zurück,
während sein Herz vor Angst klopfte. Er teilte ihnen dasselbe mit,
was bereits ihr Gefährte gestern erzählt hatte und fügte
hinzu: "Der Mann kennt uns! Zögert die Sache nicht lange hinaus, sonst
ist es um uns geschehen!" Da sagte der Hauptmann der Schar: "Morgen will
ich selber hingehen, und wenn er uns wirklich erkannt hat, so wollen wir
zu ihm gehen und unsere Sache mit ihm regeln!"
Am nächsten Tag wartete der Hauptmann den
späten Nachmittag ab und ging dann unbemerkt fort. Er kam zum Hause
des Astrologen Usfûr. Und siehe, dieser saß wieder an der Haustür
und hatte das Buch vor sich, und man konnte das Wort des Dichters auf ihn
anwenden, welcher sagt:
"In einem Buch studiert er
Und wiegt den Kopf dabei.
Doch weiß er ganz gewiß nicht,
Was drin enthalten sei."
Usfûr schaute also abwechselnd in das Buch
und auf den Räuber, um ihm zu zeigen, daß er lesen könne.
Das tat er nämlich jedesmal, wenn jemand an ihm vorüberging.
Als nun der Räuber vorbeiging und Usfûr ihn fortgesetzt anschaute,
ergriff ihn Furcht vor ihm und er sprach: "Bei Gott, dieser Gauner kennt
uns wirklich!" Er stellte sich in ein Versteck, um zu hören, was er
sage. Da rief Usfûr seiner Frau zu: "He du, hör mal!" Sie sprach:
"Ich höre schon!" Er sagte: "Bei Ali! Dieser hier ist der Allergrößte
von den zehn!" Als der Räuberhauptmann diese Worte hörte, sprach
er: "Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr." Er kehrte darauf zu seinen Gefährten
zurück und sagte: "Was wollt ihr nun tun?" Sie fragten, was er für
Nachrichten bringe, und er antwortete: "Er kennt uns wahrhaftig! Wir verdanken
es nur seiner Güte, daß er uns nicht angezeigt hat. Wohlan!
Wir wollen ihm das Gold und Silber bringen und es ihm übergeben, und
wir wollen ihm tausend Dinare aus eigenen Mitteln hinzulegen, jeder hundert
Dinare, als Sühne für unsere Köpfe, und wir werden zu ihm
sagen: 'Erweise uns doch die Freundlichkeit, uns keinem Menschen zu verraten!"
Darauf erwiderten sie: "Leite die Sache in die Wege, wie es dir richtig
scheint!"
Sie nahmen das Geld, unangetastet wie es war,
und dazu die tausend Dinare und kamen zur Tür seines Hauses, während
er gerade mit seiner Frau im Gespräch war. Sie klopften an seine Tür,
und seine Frau fragte: "Wer ist da?" Da sagten sie: "Wir möchten um
eine Unterredung mit dem Weisen bitten." Da er sie reden hörte, trat
er hinaus, indem er seinen Bart hin und her bewegte und die Finger spreizte.
Als sie ihn erblickten, fielen sie zu seinen Füßen nieder, um
sie zu küssen, ergriffen den Saum seines Gewandes und sprachen: "Wir
möchten dich nur um Gnade bitten. Wir haben erkannt, daß du
vom ersten Tag an über uns Bescheid gewußt hast, aber uns schonen
und schützen wolltest. Wir sind zehn Mann und haben das Gold des Königs
entwendet; nun sitzen wir in der Patsche und bringen dir hiermit aus eigenen
Mitteln noch tausend Dinare dazu, dafür, daß du uns geschont
hast. Wir sind ganz auf deine Gnade angewiesen. Hier ist das Gold!" Darauf
entgegnete Usfûr: "Gott weiß es, ich habe den König nur
um eine Frist von zehn Tagen gebeten, um euer Leben zu schonen, damit der
König euch nicht umbringt. Denn wenn ich euch verraten hätte,
so hätte er euch allesamt getötet." Sie antworteten: "Das wissen
wir und darum sind wir zu dir gekommen!" Er sagte: "Nachdem ihr aber gekommen
seid, wird euch gewiß nichts Böses widerfahren." Dann nahm er
das Gold und ging wieder in sein Haus. Da sagte seine Frau zu ihm: "Was
sagst du nun? Welchen Segen dir mein Ratschlag gebracht hat!" Er antwortete:
"Du Weibsstück sitzt mir dauernd im Nacken, bis du mich am Kreuz hängen
siehst!" Darauf nahm er die tausend Dinare an sich und wartete ab, bis
die zehn Tage vergangen waren, während er es sich mit seiner Frau
und den Kindern bei gutem Essen wohl sein ließ.
Als der elfte Tag gekommen war, schickte der
König zehn Sklaven aus, um Usfûr holen zu lassen. Als sie angekommen
waren, pochten sie an die Tür, und seine Frau rief: "Wer ist da?"
Da sagten sie: "Veranlasse den Weisen, daß er zur Audienz zum König
kommt!" Sie ging zu ihrem Mann hinein und sprach: "Mach dich auf, Mann,
geh zur Audienz zum König und gib ihm das Geld! Nur durch meinen Rat
hast du Glück und Erfolg." Er entgegnete: "Ha, du Unglücksweib,
wenn diese Dummköpfe nicht gekommen wären, würden wir heute
beide gehängt!" "Ach was! Steh auf und geh!" sagte sie, "das Glück
kommt oft ganz unverhofft!" Darauf erhob er sich, zog die besten Prachtgewänder
an, die er hatte, und begab sich zum Palast des Königs. Da die Erlaubnis
zur Audienz vom König schon vor seiner Ankunft erteilt worden war,
ging er sogleich hinein und begrüßte den König. Dieser
erhob sich ihm zu Ehren von seinem Platz, und alle Staatsbeamten standen
gleichfalls vor ihm auf; so waren auch die Astrologen genötigt, sich
ihm zu Ehren zu erheben. Dann setzte er sich nieder, und der König
sprach zu ihm: "O Weiser! Wir möchten jetzt das Geld!" Er erwiderte:
"Gern will ich deinem Wunsch entsprechen. Nur sollen die Astrologen vorher
eingestehen, daß sie unfähig sind, so daß ich nach Belieben
mit ihnen verfahren darf, oder sie sollen sagen, was sie wissen. Da sprach
der König:"Ihr hört seine Worte. Ist einer unter euch, der das
Geld zum Vorschein bringen kann?" Das mußten sie verneinen. Daraufhin
stand Usfûr auf, klatschte in die Hände und rief dem König
zu: "Wohlan, komm mit, damit du das Geld in Empfang nimmst!" "Und wo ist
das Geld?" fragte dieser. Er antwortete: "Es ist draußen auf dem
Platz vergraben." Denn Usfûr hatte vorher den Räubern Anweisung
gegeben, es auf dem Platz in der Erde zu vergraben, und das hatten sie
getan. Als nun das Geld zum Vorschein kam, erschollen laute Jubelrufe und
Lobpreisungen Gottes. Der König sagte: "Wer mich liebt, beschenke
ihn mit einem Ehrenkleid!" Darauf überhäuften sie ihn mit Ehrengewändern.
Der Astrolog aber sagte: "O Herr, ich wünsche, die Astrologen von
hier bis zu meinem Hause verprügeln zu lassen!" Da befahl der König,
man sollte sie, während Usfûr ritt, den ganzen Weg entlang bis
zur Tür seines Hauses prügeln. Indem nun Usfûr selber auf
dem Maultier einherritt und die Musikanten mit Trommeln und Trompeten ihm
voranzogen, wurden die Astrologen bis zur Tür seines Hauses mißhandelt.
Als er an seinem Hause angelangt war, stieg er ab, und die Astrologen zogen
übel zugerichtet ab. Darauf schenkte Usfûr den Musikanten viele
Dinare, und sie gingen dankend davon.
Dann ging er in sein Haus. Seine Frau fragte
ihn, wie es ihm ergangen sei. Er antwortete: "Ach Frau, ich habe ihnen
nichts erspart und die Astrologen sogar verprügeln lassen, und sie
mußten ihre Unfähigkeit eingestehen. So habe ich mir meine Rache
schon im voraus genommen, wenn sie das nächste Mal mich verprügeln
werden." Sie sagte: "Ach Mann! Beruhige dein Herz! Es wird auch weiter
alles gut gehen." Er aber sprach: "Wie lange wirst du mir noch einreden,
daß das Unglück geringfügig sei! Komm, laß uns aufbrechen
und in eine andere Stadt ziehen! Wir besitzen ja so viel, daß es
zum Leben ausreicht, bis wir sterben." Aber sie weigerte sich. Da sagte
er: "Du wirst noch gehängt werden, wenn Gott der Erhabene will, du
schändliches Weibsbild!" Danach verbrachte er die Zeit mit Essen und
Trinken und mit Besuchen bei der Königstochter und beim König.
Der König hatte seiner Tochter mitgeteilt, daß ihr Astrologe
den Verbleib des Geldes aufgedeckt hatte, und sie sagte: "O mein Vater,
es gibt auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen!"
Nun wollte es das Geschick, daß der König
eines Tages im Park des Palastes aß. Er trat an das Wasserbassin,
um sich die Hände zu waschen. Am Finger trug er einen schönen
Ring, der gegen Gift schützte und der von seinem Vater stammte. Diesen
vergaß er am Rande des Wasserbeckens und ging weg. Da kam eine hinkende
Ente und verschlang den Ring. Es war aber dort ein junger Eunuch, der ihr
dabei zusah, wie sie ihn verschluckte. Als der König sich an den Ring
erinnerte, fand er ihn nicht wieder. Er erkundigte sich nach seinem Verbleib,
aber keiner konnte ihm Auskunft über ihn geben. Darüber wurde
der König sehr betrübt. Der Eunuch gedachte aber, die Ente zu
schlachten und den Ring zu nehmen; so sagte er nichts.
Da befahl der König, die Astrologen herbeizuholen.
Die Emire und Wesire hatten nämlich inzwischen Fürbitte für
sie eingelegt und zu ihm gesagt: "Diese Leute sind deine Diener, und es
steht ihnen zu, dir zu dienen; bestrafe sie doch nicht so hart!" Da hatte
der König entgegnet: "Wenn jemand einen Wunsch ausspricht, dem ich
freigestellt habe, daß er sich etwas Beliebiges wünschen darf,
so bleibt mir nichts anderes übrig, als auf seinen Wunsch einzugehen.
Auch waren die Astrologen selber damit einverstanden." Aber dann beschenkte
er sie mit Gewändern und besänftigte ihre Herzen. Als sie nun
erschienen waren, sprach der König: "Es ist mir ein Ring abhanden
gekommen, den ich als Andenken an meinen Vater trug und der mir wert und
teuer ist. Wenn ihr ihn zum Vorschein bringt, so sollt ihr tausend Dinare
erhalten." Darauf begannen sie, teils aus dem Sand wahrzusagen' teils astronomische
Beobachtungen anzustellen; aber am Ende konnten sie doch nicht entdecken,
wo der Ring war. Der König sagte zu ihnen: "Was habt ihr ausgerichtet?"
Sie antworteten: "Bei Gott, o König, wir wissen keinen Rat und können
den Ring nirgendwo entdecken." Darauf sagte der König: "Ruft uns den
Weisen der Königin herbei!"
Da zogen die Sklaven zu Usfûr, dem Weisen,
der gerade zu Hause war. Er sagte: "O Ali! Da haben wir die Bescherung!"
Dann erhob er sich, trat zu ihnen hinaus und sagte: "Wer seid ihr?" Sie
antworteten: "Du sollst zur Audienz zum König kommen!" "Und was wünscht
er?" fragte er. Da sagten sie: "Es ist ihm ein Ring verlorengegangen, der
ein Andenken an seinen Vater ist, und die Astrologen sind nicht imstande,
ihn zu entdecken. Deshalb läßt der König dich holen, damit
du ihn zum Vorschein bringst." Er ging zu seiner Frau hinein und sagte:
"Ha, du schändliches Weib! Ich bete zu Gott, daß er dir kein
Unheil ersparen möge! Was soll ich nun machen? Sag doch!" Sie erkundigte
sich, was geschehen sei. Darauf sagte er: "Du Weibsbild! Der König
hat einen Ring verloren, ein Andenken an seinen Vater, und die Astrologen
sind nicht imstande, ausfindig zu machen, wo er ist. Nun schickt der König
nach mir, damit ich ihn zum Vorschein bringe. Was soll ich antworten? Das
ist wieder dieselbe Geschichte wie mit den Räubern. Aber diesmal wird
er mich hängen lassen und sagen: 'Du hältst mich zum Narren und
hast mir meine Astrologen verprügeln lassen!'" Da antwortete sie:
"Ach Mann, geh nur und vertrau auf Gott den Mächtigen und Erhabenen!
Es wird schon alles gutgehen." Er aber rief: "Ha, du! Mich schickst du
weg, damit ich gekreuzigt werde! Warte du nur ab, bis ein Unheil mich allein
trifft, damit du dann das Gold zusammenraffst und verschwindest! Bei Gott,
nichts wird mir geschehen, es sei denn, es trifft dich zuerst!" Darauf
ging er hinaus, bestieg das Maultier und begab sich zum Palast des Königs.
Als er angelangt war, stieg er von seinem Maultier und setzte sich am Tor
nieder, bis er beim König angemeldet war. Nun war da am Tor des Palastes
ein Vorhang, ganz aus Seide gewebt, auf dem allerlei Tiere wie Enten, Tauben,
Gazellen, Hasen und andere dargestellt waren. Der Weise Usfûr betrachtete
unentwegt den Vorhang und schüttelte dabei seinen Kopf. Da trat der
Eunuch zu Usfûr hin, indem er bei sich sprach: "Dieser Weise hat
seinen Blick auf die Ente gerichtet, die auf dem Vorhang abgebildet ist.
Denn er weiß schon, daß sie den Ring genommen hat, und jetzt
weiß er auch, daß ich sie dabei beobachtet habe, daß
ich aber geschwiegen habe, und er wird dem König sagen, er soll mich
hängen lassen!" Wieder schüttelte Usfûr den Kopf, wobei
er sich dem Eunuchen zuwandte. Da dachte dieser: "Wahrhaftig, er weiß
alles von mir, dieser Schurke! Noch heute wird der König mich töten!"
Als Usfûr nun die Vorhalle betrat, hielt ihn der Eunuch fest und
sagte: "Ich beschwöre dich, o weiser Mann, nimm von mir diese hundert
Dinare als Geschenk an und sag dem König nichts von mir! Ich habe
gesehen, wie eine lahme Ente den Ring im Park vom Rande des Beckens nahm
und verschlang, als der König sich die Hände wusch!" Er antwortete:
"Das weiß ich schon. Aber wenn du es mir nicht gesagt hättest,
so hätte ich dem König gesagt, er soll dich töten lassen.
Nun geh und verrate keinem etwas davon! Sonst werde ich noch veranlassen,
daß der König dich hängen läßt."
Der Eunuch entfernte sich, und Usfûr ging
zum König hinein. Er sah die Astrologen und die Minister und eine
große Menschenmenge bei ihm versammelt, grüßte und setzte
sich nieder. Dann sagte er zum König: "Was gebietest du, o König?"
Dieser antwortete: "Hilf uns doch! Es ist uns ein Ring verlorengegangen,
der mir lieber ist als mein ganzes Reich, und ich weiß nicht, wohin
er geraten ist." Er antwortete: "O König! Und diese Astrologen? Wie
kann ihnen verborgen sein, wo der Ring ist, so daß sie ihn nicht
zum Vorschein bringen?" Der König erwiderte: "Sie sind durchaus unfähig,
ausfindig zu machen, wo er ist. Wer das vermag, dem sollen tausend Dinare
gehören." Da sagte Usfûr: "O König! Ich schaffe ihn nur
unter der Bedingung herbei, daß ich mir danach etwas von dir wünschen
darf." "Das sei dir gewährt", erwiderte er. Darauf fragte Usfûr:
"O König, wo warst du, als dir der Ring abhanden kam?" Er sagte: "Ich
war im Park des Palastes." "Wohlan denn", sprach Usfûr, "laßt
uns in den Park gehen!" Da machten sich alle auf und gingen in den Park.
Dort machte Usfûr Halt; er zog ein Stück Holz, an dem ein Strick
befestigt war, aus der Tasche und ließ es für eine Weile in
das Wasserbecken hinab. Dann zog er es wieder empor und versetzte es in
kreisende Bewegung. Schließlich sagte er: "O König, laß
die Sklaven feststellen, was für Lebewesen hier im Park vorhanden
sind, wild lebende und andere, Vögel und Vierfüßler, alle
sollen sie mir vorführen." Da befahl der König, ihm alle zu zeigen.
Zuerst führten sie Usfûr die Eunuchen und Sklaven, jung und
alt, vor und alle, die sonst im Park waren. Danach wurden ihm die wild
lebenden Tiere, Gazellen, Hasen und andere vorgeführt, dann alle Arten
von Vögeln, Gänse, Strauße, Hühner, Falken, Sperber
und andere mehr. Schließlich brachten sie ihm auch die Enten herbei,
und jedesmal, wenn sie eine Ente brachten, ließen sie diese an ihm
vorbeipassieren, bis endlich die lahme Ente vorüberwatschelte. Als
er die lahme Ente erblickte, riß er die Augen weit auf, schüttelte
den Kopf und spreizte die Finger auseinander, so daß alle über
ihn lachten. Nun pflegte aber diese Ente den König, selbst wenn er
noch so ergrimmt war, zu erheitern, und wenn sie an ihm vorüberwatschelte,
mußte er mitten in seinem Zorn lachen. Als nun die Ente vorbeikam,
lachte der König, daß er zu Boden sank. Usfûr aber stieß
einen lauten Schrei aus, so daß er alle in Schrecken versetzte, und
rief aus: "Ergreift diese Ente! Denn sie hat den Ring genommen!" Da sagte
der König zu Usfûr: "Was redest du da?" "Ja", sprach er, "so
wahr du lebst!" Da lachten die Astrologen über ihn. Der König
aber sagte: "Diese Ente gehört schon lange zum Haus und stammt noch
aus der Zeit meines Vaters." Usfûr antwortete ihm: "Wenn du den Ring
haben willst, so hole ihn aus ihr heraus!" Da sagte der König: "Und
wenn sich nichts bei ihr findet?" Er antwortete: "Dann, o König, will
ich für sie büßen." Daraufhin befahl der König, die
Ente zu schlachten; er wünschte aber bei sich, es möge nichts
in ihr gefunden werden. Aber da kam der Ring in ihrem Kropf zum Vorschein.
Als der König ihn erblickte, geriet er vor Freude außer sich
und rief aus: "Bei Gott, auf der ganzen Welt gibt es nicht deinesgleichen!"
Dann beschenkte er ihn mit einem Ehrengewand, ließ ihm tausend Dinare
auszahlen und bewilligte ihm täglich drei Mahlzeiten aus der königlichen
Küche. Die Astrologen aber kamen fast um vor Groll, Wut und Neid.
Da sagte Usfûr: "O König! Die Bedingung, die ich mit dir vereinbart
habe, ist noch nicht erfüllt." "Nun gut", sagte der König, "was
wünschst du dir?" Er antwortete: "Ich wünsche mir, daß
ich die Astrologen mit Prügeln vor mir hertreiben lassen darf, von
hier bis zur Tür meines Hauses." Da sagte der König: "Erlaß
es ihnen doch!" Aber er sprach: "Nein, es muß sein!" Also befahl
der König, sie zu verprügeln. Usfûr bestieg sein Maultier
und ritt einher, mit dem Prachtgewand angetan und rings von der Schar der
Sklaven umgeben, und ihm voran zogen die Astrologen, die bis zu seinem
Hause geprügelt wurden. Dann entließ er die Sklaven und beschenkte
sie mit Gold, während die Astrologen in elendestem Zustand abzogen.
Er trat in sein Haus, gab seiner Frau das Gold,
das er erhalten hatte, sowie das Ehrengewand und erzählte ihr, was
geschehen war. Sie sagte zu ihm: "Ich habe dir ja gesagt: 'Geh nur und
vertrau auf Gott!'" Da antwortete er: "Ha, du schändliche Hure! Du
sagst so lange 'Geh und vertrau auf Gott!', bis es mir einmal so ergeht
wie dem Sperling, der in der Schlinge sitzt und nicht wieder freikommt.
Ach, Weib", fuhr er darauf fort, "mach dich auf, damit wir in eine andere
Stadt gehen und uns am Leben erhalten; wir haben so viel Gold bei uns,
daß es kein Ende nähme, selbst wenn wir es zermahlen und aufessen
würden." Aber sie sagte: "Bei Gott, ich gehe nicht von hier weg, es
sei denn zum Grabe!" Da sprach er: "Gottes getreuer Diener möge dich
nicht von den Toten erwecken und mache dich zuschanden!" Dann setzte er
sich und bat Gott um Hilfe.
Eine Zeitlang genoß er das angenehmste
Leben, während die Astrologen rings um ihn von Neid erfüllt waren,
ohne daß sie ihm etwas anhaben konnten. Schließlich taten sie
sich eines Tages zusammen, kamen zum König und sprachen: "O König!
Wie kannst du uns einen Esel vorziehen, der nichts versteht und uns prügeln
läßt! Wahrlich, wir können dieses Unglück nicht länger
ertragen. Entweder magst du uns allesamt töten, oder du mußt
uns ihm gegenüber zu unserem Recht verhelfen." Er erwiderte: "Nicht
er war es, der bei gewissen Dingen versagt hat, sondern er hat sie herausbekommen!"
Sie sagten: "Gewiß, o König, aber nicht durch Wissen, sondern
durch reinen Zufall. Schaff ihn uns zur Stelle, damit die Wahrheit von
der Lüge klar geschieden werde!" Da sprach der König: "Nun, so
will ich Gerechtigkeit schaffen zwischen euch und ihm! Ich gehe jetzt in
den Park und verstecke euch einen Gegenstand. Wenn ihr herausbekommt, was
es ist, so sollt ihr nach Belieben mit ihm verfahren dürfen. Wenn
er aber euch besiegt, dürft ihr ihn von da an nicht mehr anfeinden."
Da sagten sie: "Wir sind einverstanden, o König." Darauf machte sich
der König auf und ging in den Park. Und siehe, ein Sperling verfolgte
gerade eine Heuschrecke; er stürzte auf sie zu, aber die Heuschrecke
sprang davon und geriet dabei unter den Rocksaum des Königs und ebenso
der Sperling, der ihr nachsetzte. Da hielt der König beide fest und
sagte: "Fürwahr, ein wunderbarer Zufall!" Er hielt sie beide in den
Händen versteckt und sprach: "Wer erraten kann, was ich in der Hand
habe, dem gebe ich Vollmacht über seinen Gegner. Geht und ruft den
Weisen herbei!" Die Astrologen gingen, um ihren Feind Us für zu holen,
und riefen nach ihm. Er sprach: "Was bringt ihr Gutes?" Sie antworteten:
"Der König wünscht, daß du kommst." Da sagte er: "Da haben
wir es! Diesmal ist das Verhängnis da!" Dann erhob er sich, nahm Abschied
von seinen Kindern und seiner Frau und sagte: "Beruhige nur dein Herz!
Er wird mich hängen lassen, und sie werden dir das Geld abnehmen,
du schändliches Weib!" "Ach", versetzte sie, "geh nur und vertrau
auf Gott den Erhabenen!" Dann ging er zu ihnen hinaus und begab sich zum
König. Er trat zu ihm ein, grüßte, setzte sich nieder und
sah, daß alles schon versammelt war. Der König sagte zu ihm:
"O Weiser! Diese hier versammelten Astrologen haben einmütig behauptet,
daß du nichts kannst. Ich habe dich aber gegen sie verteidigt und
will hiermit zwischen dir und ihnen eine Entscheidung herbeiführen.
Ich habe hier in der Hand etwas versteckt, und wer erraten kann, was es
ist, der ist der Sieger." Da sagte einer von den Astrologen: "Du hast Levkojen
in der Hand, o König." Ein anderer sagte: "Grüne Blätter!"
"Gras!" riet ein anderer. Der nächste sagte: "Weiße Wasserlilien!"
Einer sagte: "Narzissen!" Ein anderer: "Veilchen!" Und wieder ein anderer
sagte: "Zitronen!" Und jedesmal, wenn jemand riet, sagte der König:
"Nein!" Endlich blieb nur noch Usfûr übrig, der gerade bedachte,
in welche schlimme Lage er durch seine Frau geraten war und wie sie ihn
diese Kunst gelehrt hatte. Da sagten sie zu ihm: "Nun, o Weiser, so rede
doch! Du bist an der Reihe." Er sprach: "O König, was soll ich schon
sagen?" "Sprich nur!" forderte ihn der König auf. Da sagte er: "O
König, wäre nicht 'Heuschrecke' gewesen, so wäre der 'Sperling'
nicht in die Hand des Königs gefallen!" "Sehr gut!" rief der König
aus, "bei Gott, sehr gut!" und ließ die Heuschrecke und den Sperling
aus seiner Hand heraus. Alle waren sprachlos vor Erstaunen über den
Weisen und sagten: "Auf der ganzen Welt gibt es nicht seinesgleichen!"
Der Name von Usfûr's Weib war nämlich Dscharâda, d. h.
Heuschrecke, und mit seinen Worten wollte er sagen: "Wäre nicht Dscharâda
gewesen, so wäre ich, Usfûr, nicht in diese schlimme Lage geraten."
Der König verlieh ihm daraufhin ein Ehrenkleid, schenkte ihm tausend
Dinare und fragte ihn, was er sich wünsche. Usfûr antwortete:
"Du sollst die Astrologen verprügeln lassen, wie sie es gewohnt sind,
damit sie mir nie wieder feindlich begegnen." Der König befahl, sie
zu verprügeln. Alle verließen den König und auch Usfûr,
der Weise, begab sich wieder nach Hause. Er führte weiter das angenehmste
Leben, und in allen Landen verbreitete sich die Kunde, daß jener
König einen Astrologen habe, der verborgene Gegenstände ausfindig
mache, gestohlene Dinge wiederbeschaffe und alle Wissenschaften beherrsche.
Nun lebte beim Herrscher von Byzanz ein gelehrter
Astrologe, der zu jener Zeit nicht seinesgleichen hatte. Als die Nachrichten
zu ihm gelangten, die über Usfûr verbreitet waren, packte ihn
der Neid. Er sprach zu seinem König: "O König, ich habe beschlossen,
mich auf die Reise zu begeben, um mit jenem Astrologen des fremden Königs
zu disputieren und mit ihm ein Streitgespräch zu führen. Wenn
ich ihn besiege, so haben wir damit einen Sieg über die Mohammedaner
errungen." Der König befahl ihm, sich zur Reise zu rüsten. Er
nahm seine Sklaven mit, sie sattelten ihm das Reittier, und er zog los.
Er reiste bei Tag und Nacht und von Ort zu Ort, bis er bei der Stadt des
Königs haltmachte. Er stieg außerhalb der Stadt ab und wartete
dort drei Tage, ehe er um Einlaß beim König ersuchte. Die erbetene
Audienz wurde ihm gewährt; er trat ein, erwies dem König seine
Ehrenbezeugung und sagte: "O glückseliger König! Der Herrscher
von Byzanz, der Herr von Ammûriya, hat einen weisen Astrologen, welcher
der gelehrteste Mann bei den Byzantinern ist. Er hat vernommen, daß
du, o Gebieter, einen Weisen hast, der alle Gebildeten, Gelehrten und Astrologen
bezwungen hat. Er sendet hiermit seinen Astrologen zu dir, damit in deiner
Gegenwart ein Streitgespräch der beiden stattfinde. Wer den anderen
bezwingt, besitzt die richtige Religion." Der König sprach: "Geht
zum Astrologen Usfûr und bringt ihn mir her, damit zwischen ihm und
dem byzantinischen Weisen ein Disput stattfinde!"
Die Sklaven gingen und kamen vor die Haustür
des Astrologen Usfûr. Sie pochten an, und seine Frau rief: "Wer ist
da?" Die Sklaven antworteten: "Der König wünscht, daß der
Weise komme. Es ist ein byzantinischer Weiser bei ihm eingetroffen, ein
Abgesandter des Herrschers von Byzanz, um mit ihm zu disputieren, damit
sie feststellen, welcher von ihnen gelehrter ist, und dieser wird Ehrengewänder
und Gold bekommen und der gelehrteste Mann seiner Zeit sein." Da ging Usfûrs
Weib wieder zu ihrem Mann und berichtete ihm, was die Sklaven zu ihr gesagt
hatten. Da wurde er bleich und geriet außer Fassung. "Ha, du Unglücksweib!"
rief er aus, "was soll jetzt geschehen? Da haben wir es! Ein fremder Astrologe,
der mit mir disputieren will! Was soll ich antworten, wenn er mich etwas
fragt, was ich nicht weiß?" Sie antwortete: "Ach Mann, geh nur und
vertrau auf Gott! Es wird schon alles gutgehen." Er sagte: "Ach Frau, jedesmal
willst du mich beschwatzen. Diesmal wird er mich bestimmt hängen.
Aber, bei Gott, ich werde nicht zulassen, daß du nach meinem Tod
verschont bleibst, sondern ich werde sagen: 'O Herr, sie war es, die mich
genötigt hat, euch zum Narren zu halten. Sie hat zu mir gesagt, ich
solle ein Astrologe werden und mich über die Leute lustig machen.
Ich bin ja in Wirklichkeit nur ein Weber!'"
Darauf zog er seine Gewänder an, ging hinaus
und eilte zum Palast des Königs. Er ließ sich bei ihm anmelden,
trat ein, grüßte und setzte sich nieder. Als der Abgesandte
von Byzanz ihn erblickte und seinen langen Bart und seine weit aufgerissenen
Augen sah, bekam er Angst vor ihm. Daher sagte der byzantinische Astrologe:
"Ach, o König, ich werde ihn nur durch Gebärden nach drei Dingen
fragen. Wenn er ebenso ohne Worte darauf zu antworten weiß, so soll
er der Sieger sein, und es ist nicht nötig, daß ich mit ihm
disputiere." Der König sprach darauf zu Usfûr: "Bist du damit
zufrieden?" "Ja, o König", antwortete er, "aber ruft mir die Leute
zusammen, damit sie in dieser Streitsache als Zeugen dienen!" Darauf wurden
der Richter und die Notare, der Statthalter, die Vornehmen der Stadt und
die Emire herbeigeholt, es wurde ihnen erklärt, um was es bei diesem
Streit ging, und danach nahmen alle Platz. Der byzantinische Astrologe
machte, zu Usfûr gewendet, eine Gebärde; er schüttelte
sachte die Hände und legte sie auf den Boden. Darauf streckte Usfûr
beide Hände vor, schüttelte sie und hob sie empor. Da rief der
Byzantiner aus: "Bei Gott, herrlich! Bravo, o Weiser! Das war die erste
Frage, o König, die er beantwortet hat! Zwei Fragen bleiben noch,
und wenn er sie auch beantwortet, hat er mich besiegt." Darauf streckte
er den einen Zeigefinger aus und wies damit zu Usfûr hin. Da streckte
Usfûr beide Zeigefinger aus und wies mit ihnen auf den Byzantiner
hin, wobei er die Augen weit aufriß. Da schrie der Byzantiner laut
auf und rief aus: "Bei Gott, richtig! Bei der Wahrheit meiner Religion,
ein gelehrter Mann! Er hat mich bei zwei Fragen besiegt; nun bleibt noch
eine zu beantworten." Danach zog der Byzantiner ein Ei aus der Tasche und
zeigte es Usfûr hin. Dieser griff mit der Hand in seine Tasche, holte
einen Käse heraus und streckte ihn dem byzantinischen Astrologen hin.
Als dieser den Käse sah, rief er aus: "Fürwahr, ich hatte geglaubt,
Gottes Schöpfungswerk zu kennen und die richtige Lehre zu besitzen!
Aber bei Gott, einen solchen Astrologen habe ich bisher noch nicht gesehen!
Strecke deine Hand aus, denn ich bekenne, daß es keinen Gott gibt
außer Allah, und ich bekenne, daß Muhammed, der von Gott mit
seiner Familie Hochgesegnete, Allahs Gesandter ist!" Darauf sagte der König:
"Wahrhaftig, wir haben weder begriffen, welches die Fragen waren, noch
wie sie gestellt wurden! Erkläre uns, wieso er dich besiegt hat und
was du ihn zuerst gefragt hast!" Er antwortete: "Meine erste Frage lautete:
'Wer hat die Erde flach hingebreitet?' Er hat darauf geantwortet: 'Derjenige,
der den Himmel emporgehoben hat.' Mit meinem Zeigefinger meinte ich: 'Gott
hat den Adam erschaffen.' Mit seinen beiden Fingern hat er mir geantwortet:
'Und sein Weib Eva dazu.' Als ich ein Ei hervorholte, meinte ich: 'Gott
hat dieses Ei zwischen Kot und Blut geschaffen.' Und als er einen Käse
hervorzog, hat er gemeint: 'Auch dieser Käse hat seinen Ausgang zwischen
Kot und Blut genommen.' Ich gestehe ihm, o König, in deiner Gegenwart
ein, daß er gesiegt hat, und bekenne mich hier vor dir zum Islam!"
Daraufhin beschenkte der König den byzantinischen Astrologen mit einem
Ehrengewand und fünfhundert Dinaren, und auch Usfûr erhielt
ein Ehrengewand und wurde mit fünfhundert Dinaren bedacht. Da sagte
Usfûr: "O König, und was hat dieser schon geleistet, daß
du ihm fünfhundert Dinare und ein Ehrengewand schenkst, da ich ihn
doch bezwungen habe?" Der König antwortete: "Er ist ein Moslem geworden!"
Darauf sagte Usfûr: "Und ich, o König, werde auch ein Moslem,
und wenn du willst, werde ich ein Christ!" Da lachte der König und
alle, die zugegen waren. – Es wurde aber hernach häufig beim König
über ihn gelästert; daher fragte er Usfûr einmal und sprach
zu ihm: "Was hast du zu dem Byzantiner gesagt und was hat er zu dir gesagt?"
Usfûr sprach: "Als er seine Hände schüttelte und dann auf
den Boden legte, wollte er mir damit sagen: 'Gleich werde ich dich flach
am Boden hinstrecken wie einen Toten auf der Bahre!' Ich entgegnete ihm:
'Ich werde dich in die Höhe heben und auf den Boden schmettern, daß
dir die Eingeweide zerreißen!' Danach sagte er: 'Du Frechling, ich
will dir das eine Auge ausstechen!' Ich sagte zu ihm: 'Aber ich steche
dir beide Augen aus!' Als er das Ei hervorholte, meinte er: 'Das esse ich!'
Indem ich den Käse hervor holte, wollte ich sagen: 'Und ich esse diesen
Käse!'" Der Minister lachte, als er seine Worte vernahm und sprach:
"Wenn Gott will, daß ein Mensch Glück hat, macht er ihm alle
Dinge untertan."
Usfûrs Weib ging öfters zur Königin,
um die Zeit bei ihr zu verbringen; denn diese pflegte sie holen zu lassen
und mit Gewändern und Geld zu beschenken. Eines Tages kam Usfûr
zu seiner Frau und sagte: "Ach, Weib! Du hast geschworen, daß du
diese Stadt niemals verlassen wirst. Nun, wohlan denn, so sollst du, wenn
sie wiederkommen und mich holen wollen, zu ihnen sagen: 'Mein Mann ist
vor drei Tagen gestorben!' Damit ist uns geholfen. Ach, hör doch auf
mich, ich beschwöre dich bei Gott! Dann sind wir von allen Sorgen
erlöst. Wenn du aber nicht tust, was ich dir sage, dann werde ich
mich wahrhaftig selber töten." "Ich will es tun!" antwortete die Frau.
Danach blieb Usfûr dem König drei Tage fern. – Da sagte die
Königin: "Geht und holt mir Usfûrs Weib!" Die Diener gingen
hin; aber Usfûr erklärte ihnen, seine Frau sei gestorben. Sie
gingen wieder zur Königin und teilten ihr mit, was er gesagt hatte.
Da wurde sie von großer Trauer erfüllt und sprach: "Was für
eine Krankheit mag sie wohl gehabt haben? Noch vorgestern war sie bei uns!"
–Der König aber erkundigte sich nach Usfûr, und man sagte ihm:
"Seit drei Tagen haben wir ihn nicht gesehen!" Daraufhin schickte der König
seine Diener nach ihm aus. Als sie nach ihm riefen, erhob sich seine Frau
und fragte: "Wer ist da?" Sie antworteten: "Der König wünscht,
daß der Weise zu ihm komme!" Sie sagte: "Der Weise ist vor zwei Tagen
verstorben." Da benachrichtigten sie den König. Er fragte, wann er
gestorben sei, und die Diener berichteten, seine Frau habe gesagt, er sei
vor zwei Tagen gestorben. Da wurde der König niedergeschlagen und
von großer Trauer um ihn erfüllt. Er machte sich auf, um seine
Tochter aufzusuchen und ihr zum Tode des Weisen Trost zu spenden. Er fand
sie gleichfalls in großer Betrübnis vor, und sie sagte: "Die
Frau des Astrologen ist gestorben! Gott erhalte dich um so länger
am Leben! Sie war eine vortreffliche Frau und hat uns oft besucht." Der
König entgegnete: "Ich habe soeben meine Diener ausgesandt, um ihn
holen zu lassen; da hat seine Frau erklärt, er sei gestorben!" Sie
aber sagte: "Und ich habe soeben hingeschickt, um sie holen zu lassen;
da hat er erklärt, daß seine Frau gestorben sei!" Der König
bestand darauf, daß der Astrologe tot sei, während seine Tochter
behauptete, die Frau sei tot. Da sagte der König: "In diesem Fall
kann nur eines von beiden Tatsache sein. Wenn es dunkel ist, werde ich
mit dir in Begleitung von zwei Eunuchen heimlich und unerkannt zu seinem
Hause gehen und wir wollen sehen, wer gestorben ist." "Ein guter Vorschlag!"
sagte sie. Als es dunkel war, ging der König mit seiner Tochter und
zwei Eunuchen weg, und sie kamen zum Hause Usfûrs. Sie pochten an
die Tür, aber niemand ließ sich vernehmen. Sie klopften so lange,
daß sie schließlich ärgerlich wurden, ohne jedoch eine
Antwort zu erhalten. Da befahl der König, die Tür aufzubrechen.
Dies geschah und sie drangen ein. Sie stiegen hinauf und fanden Usfûr
und seine Frau beide tot daliegend. Da rief der König: "O weh! Wahrhaftig,
der Weise und seine Frau sind beide gestorben!" Die Tochter des Königs
sagte darauf: "Seine Frau ist aber zuerst gestorben!" Der König sprach:
"Ich wünschte, es könnte mir jemand sagen, wer zuerst gestorben
ist; ich würde ihm tausend Dinare dafür geben!" Da stieß
Usfûr einen Schrei aus und setzte sich plötzlich auf, als ob
er ein Geist sei, und sprach: "Ich bin zuerst gestorben!" Da mußte
der König lachen und sagte: "Warum hast du das getan?" Er antwortete:
"Bei Gott, dein Sklave ist gar kein Astrologe! Sondern meine Frau hat mir
das nur aufgezwungen!" Da lachte der König wieder über ihn und
verlieh ihm ein Ehrenkleid und tausend Dinare. Er ernannte ihn zu seinem
Zechgenossen und fortan verbrachte er beim König das angenehmste,
erquicklichste, sorgenfreieste und heiterste Leben, bis daß der Tod
sie trennte. Damit ist die Geschichte zu Ende. Und Gott weiß es besser.