Es ist üblich und
verbreitet, Metrik durch Auszählen
langer und kurzer Silben zu vermitteln. Ich will dem hier nicht widersprechen,
wir gehen ja auch sonst in den Altsprachen analytisch, konstruierend und
reflektierend vor, und wie die Rhapsoden in der basileia oder die
convivae eines Symposions ihre Verse wirklich haben ertönen
lassen, mag offenbleiben; sondern ich möchte hier nur einige schlichte
melodische Formeln zum Runterladen anbieten (bitte zulangen und stehlen,
ohne zu zerstören! die vierstimmigen Sätze weiter unten aber
bitte immer mit dem Namen des Tonsetzers weiterreichen, der da ist Hans
Zimmermann ). Diese Melodieformeln
und Lieder also sollen es erlauben, Hexameter, Distichen und äolische
Versmaße (sapphische, alkäische und asklepiadeische Strophen)
zu singen und auf diesem Wege eher intuitiv als analytisch aufzufassen.
Das eine mag
das andere ergänzen. Ich weiß, daß
zwar auf der einen Seite viel Blut, Schweiß und Tränen im fröhlichen
Lebenskreis der Körpersäfte weiterpulsen dürften, wenn solch
eine intuitive Auffassung die Erbsenzählerei abkürzte oder gar
ablöste, daß auf der anderen Seite aber Schüler der Mittelstufe
nicht gerne singen, angeblich. Aber auf die gleiche schiefe Ebene gehört
das Vorurteil, Lehrer könnten nicht rappen, angeblich. Nana!
Lateinlehrer können. Und sobald sie mit ihren flachen Händen
auf die Tischplatten schlagen, werden sich die Schüler kaum noch halten
und mit sanfter Nachahmung beginnen, die Haltbarkeit der spitzbogigen Knochenbalken
unserer neugotischen Anstalten auf die Probe zu stellen – alles zur höheren
Ehre der antiken Metrik. Rhythmusschlagen wollen
alle, meistens die Jungen, und gut singen können sie schlecht; schlecht
singen aber meistens gut. Diese dürfen auf einem Ton bleiben, auf
dem Grundton oder, wenn sie die Quart begreifen, auch noch den Bordun der
untergelegten Dominante. Aber der Grundton genügt durchaus (zumal
schwer zu entscheiden ist, ob der Basiston da unten Dominant-Bordun oder
Grundton sein soll, es "schwimmt" gehörig, aber mit voller Absicht,
zwischen den Tonarten). Wer weiß, am Ende wollen alle in die endlose
Melodieschleife hinein, nicht nur die "-Innen", und nur die Drohnen dröhnen
dann noch den gleich-rhythmischen Dauer-Basiston. In der hier
angelegten midi-Datei verteilen sich Längen und Kürzen entsprechend
den vier Prooemiums-Versen in Ovids Metamorphosen:
Ja, der Hexameter braucht
solch eine immer weitertreibende Dauerschleife, wo die melodische Spannung
gegen den Staudamm drängt, dieses unerbittliche Es am Ende, der Singende
will doch weiter, weiter. Da aber auch hier die
Abwechslung erfreut, habe ich (bereits in der midi-Datei)
die "Hauptformel" um eine Alternative ergänzt, die harmonisch zum
endlos wiederholbaren (also weitergesungenen) Grundmuster paßt, so
daß keine Absprache und kein "Alarmzeichen" zum Wechsel aller Gesangsbereiten
auf die Oberstimme nötig wird, sondern das bloße Bedürfnis
nach delektantischer Variation dafür ausschlaggebend ist, daß
einige über die ewigen Tapetenblumen hinauswachsen:
Die angebotene Melodieführung
soll sich natürlich nicht diktatorisch über den Text legen, sondern
muß für Akzentuierungen, Dynamik und darstellende Interpretation
offenbleiben – das war die Forderung an den Formelsucher: Das Notenbild
oder die Starre einer per se aufs Elementare reduzierten (!)midi-Datei
soll schließlich den Leser oder Hörer nicht dazu verführen,
das daktylische Gehüpfe (oder gar Gestampfe! - arma
virumque cano als Marsch, wie Ovid es im
ersten Vers der Amores bespöttelt) der langen Viertel und kurzen
Achtelpaare schon für die Endgestaltung zu halten: das starre Material
muß durch Ausdruck belebt, erwärmt, geknetet werden, dem Einzelvortrag
sind Punktierungen, Pausen, Dehnungen, Ausdruck und Spannung freigestellt.
Ich hoffe, die angebotene Melodie hat die entsprechende Offenheit und passive
Geschmeidigkeit für die aktive Sinn-Entfaltung. Für das Distichon
gilt eine stärkere Gliederung, Absonderung der jeweiligen Doppelzeilen,
wie sie sich durch die Binnendopplung und zugleich durch die offene Hebung
im Kurzvers-Zwilling des Pentameters auch anbietet. Ein anregendes Weitertreiben
durch die Melodie und die dem Rhythmus entsprechenden offenen Enden der
beiden Pentameter-Hälften ist natürlich auch hier gewiß
reizvoll. Von den Bordun-Brummern wird in der zweiten Hexameterhälfte
erwartet, mit der Melodie-Stimme die hinabführende Moll-Gegenbewegung
zum Hexameter-Dur-Aufstieg, der übrigens den beiden Pentameterhälften
gleicht, mitzumachen. Durchgeführt ist die "Endlosschleife" der Distichen-Folge
an Ovids Amores
1,1 – und zwar durch alle 15 Doppelverse dieses ersten Gedichtes der Sammlung:
Árma
gravî numerô violéntaque bélla parâbam
êdere,
mâteriâ
cónveniénte modîs
Pâr
erat înferiôr versús; risîsse Cupîdo
dîcitur
átqu' unúm
súrripuîsse pedém ...
Variatio
delectat auch hier (Unisoni, Oktav- und Quintparallelen vertreiben
die falsche rezente Süße):
Es empfiehlt sich, die
Rezitationsmelodie auch an Ovids
Fasti 5,183 ff (Chloris/Flora & Zephyr) auszuprobieren, an
den Versen, die das Programm von Botticellis
"Primavera" vorgeben. Ganz anders sieht es
mit einer musikalischen Grundlegung der äolischen
Metren aus, wie sie bei Catull und Horaz üblich
sind und später bei Klopstock und Hölderlin wiederkehren. Hier
drängt sich eine musikalische Grundlage, nicht nur als Hilfe, sondern
als angemessene Mit-Gestaltung der liedhaften Formen, geradezu auf. Doch
gewiß, es hilft auch, zumal Melodien gedächtnisfähiger
sind als die rhythmischen, sonst aber leeren Schemata der hohlen Metren. Eine Art Endlosfigur,
kaum strophisch gegliedert und dadurch den Hexameter- oder Distichen-Reihen
noch recht nahe, bildet der fortlaufend wiederholte asklepiadeische
Vers (mit seiner charakteristischen mittleren
Zäsur)
Damit zu vergleichen
wären die Strophenformen, die sich aus diesem Vers entwickelt haben,
etwa die "dritte asklepiadeische Strophe", wie sie unten
mit Hölderlins "Lebenslauf"-Ode
durchgeführt wird. Die bei Horaz beliebte sapphische
Strophe
Die sapphischen Strophen,
die im Jahre 1565 zur Einweihung des Görlitzer
Gymnasiums gesungen wurden, (coeperit
faustis avibus precamur; zum Notenbild bitte hier klicken) habe
ich mit der gleichen Melodie vertont und vierstimmig gesetzt, allerdings
einige Töne (lange Silben) stärker gedehnt, wodurch das Ganze
weiter ausschwingt (-
zur midi-Datei des Satzes bitte hier klicken -). Gewiß eignet
sich die mehrstimmige Fassung eher für das Renaissance-Lied, die gedrungenere,
zügigere, straffere einstimmige Fassung eher für den Horaz, aber
Austausch der Fassungen ist möglich, genauso wie andere Text-Unterlegungen. Hölderlin nutzt
zwei Strophenformen besonders gern: Die alkäische, um kraftvoll-zügigen
Textfluß zu rhythmisieren, und die ("dritte") asklepiadeische, mehr
melancholisch-reflektierend. Sein Formbewußtsein ist bekanntlich
hoch entwickelt, deutlich vor allem im "Aufwärts oder hinab" der Halbverse,
in Entsprechungen, Wortklang, Satzgefüge, kurz: in der Architektonik
der Strophen, wie sie offensichtlich an Horaz
geschult ist. Umgekehrt eignet sich Hölderlin als "Einstieg" in
die Horaz'schen carmina,
obwohl letzten Endes Latein in jedem quantitierenden Vers gegenüber
dem Deutschen mit seinen Konsonantenhäufungen vorzuziehen ist: Es
klingt glatter, flüssiger, einfach schön, wenn schon im arma
virumque der epischen Hexameter, um wieviel mehr dann in den äolischen
Strophenformen! Für diealkäische
Strophe
Auf diese äolischen
Versformen, wie sie bei Horaz vorkommen, gibt es natürlich längst
die Humanisten-Oden, die allerdings nicht immer rhythmische Triebkraft
haben. Ich glaube kaum, daß die Römer solche sittsamen Choräle
mit frommen Moll-Dominant-Klauseln gesungen haben, von den frühneuzeitlichen
Dreiklängen oder gar Protokadenzen ganz abgesehen. Aber Neugestaltung
ist nicht nur legitim, sondern sogar geboten: Die hier vertonte
Ode Hölderlins mit dem Titel "Lebenslauf" (-
zur midi-Datei bitte hier klicken -) ist nun eben nicht "Horaz",
sondern Horaz-Historismus, Klassizismus mit Nähe zu frühromantischer
"Ironie". Bürgerliche "neue Empfindsamkeit" und das Sichfühlen
der "schönen Seele" klingt ein ganz klein wenig mit, und siehe da,
auch der neuzeitliche Freiheitsimpuls, blau-weiß-rot. Deshalb hier
etwas mehr Sehnsucht und Chromatik, als ein antikes Lied vertragen würde.Eine sogenannte dritte
asklepiadeische Strophe, wie Horaz sie
in den carmina 5, 14, 21 und 23 des ersten, im 7. und 13. Lied des dritten
und noch einmal im 13. Lied des vierten Oden-Buches verwendet; bei Hölderlin
ist sie die häufigste Strophenform:
Größres
wolltest auch du, aber die Liebe zwingt All
uns nieder, das Leid beuget gewaltiger,
Und
es kehret umsonst nicht
Unser
Bogen woher er kommt.
Aufwärts
oder hinab! herrschet in heil'ger
Nacht, Wo
die stumme Natur werdende Tage sinnt,
Herrscht
im schiefesten Orkus
Nicht
ein Grades, ein Recht noch auch?
Dies
erfuhr ich. Denn nie, sterblichen Meistern gleich, Habt
ihr himmlischen, ihr Alleserhaltenden
Daß
ich wüßte, mit Vorsicht
Mich
des ebenen Pfads geführt.
Alles
prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen, Daß
er, kräftig genährt, danken für alles
lern,
Und
verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen,
wohin er will.
Anhang:Hexameter
Definition:
"Hexameter"
= Vers aus sechs daktylischen Versfüßen (der Dáktylus
mißt láng-kurz-kurz);
die ersten vier Daktylen können durch
einen Spondéus (láng-lang) ersetzt werden;
der sechste Verfuß ist immer zweisilbig
(láng-lang oder láng-kurz), das heißt "anceps" (unentschieden).
Der Dáktylus
ist der Versfuß, den man láng-kurz-kurz mißt,
(wie merkenswerterweise in dem Wort "Dáktylus"
selbst);
der Spondéus ist der Versfuß,
den man láng-lang mißt.
Regeln und Sonderregeln siehe im folgenden:
Die 12 wichtigsten Hexameter-Regeln
(selbst hexametrisch gefaßt)
1) Anfang jedes Hexameters
ist eine Silbe, die lang mißt 2) Zwei Konsonanten längen
die Silbe: sie wird "positionslang" 3) Dáktylen werden
gerne ersetzt durch zwei Längen: "Spondéus" 4) -i,
-o, -u im Auslaut
und jeder Diphthong sind naturlang 5) Selten wird der daktylische
fünfte Fuß zum Spondéus 6) Doch katalektisch endet der
letzte: er hat nur zweiSilben 7) Endvokal oder -m
trifft auf Anfangsvokal? – Schon verloren! 8) Endvokal trifft auf
est? Der bleibt! Das e
wird gefressen.
9) Längen sind einfach,
nie zweifach, oft dreifach, auch fünf- sieben- neunfach
10) Kürzen dagegen sind
Paare, stehn niemals zu dritt oder einzeln 11) "muta cum
liquida" gilt (gegen 2) oft als ein Konsonant nur: 12) Be-De-Ge,
Pe-Te-Ce,
Qu – wenn VaueLe
MäNNeR
gleich folgen
Vergleiche die folgenden
naiv-drastischen Grundmuster: (Ennius - was
denn sonst?)
át
tuba térribilî sonitû taratántara díxit
doch
die Trompete mit grausigem Klang "taratántara" sagte
und:
ô
Tite tûte Tatî tibi tánta tyránne tulísti
oh
Titus Tatius, was hast du dir als Tyrann aufgeladen!