25.
Oh du lieber Abendstern
Das haut mich immer um,
Cuillaut, was du mir alles abkaufst. Die Geschichte mit meiner Kiste zwischen
den Mauern, die hast du wirklich geglaubt? Wo lebst du denn, auf dem Mond?
Da könnte ich ja genausogut behaupten, ich hätte mein Auto zusammengeschoben,
schön klein gemacht und wie ein zerknülltes Papier in die Tasche
gesteckt. Oder ich hätte es erst auseinander- und dann wieder neu
zusammengefaltet, zum Flügelrudersegelpflug des Keiner – Oudys – oder
des Kain, du weißt noch, der grabende Bruder, oder zum wassersprühenden
Düsenflugzeug von Freund Hein, so wie ich das jetzt mit deinem Blatt
da mache, komm, laß los, sonst zerreißt – - – na hör mal!
Das schreibst du alles mit? Bei dir piept's wohl! Na, da schreib mal: Dieser
Cuillaut, der haut mich einfach um. Was der mir alles abkauft.
Ja, ich weiß schon.
Das mit der Iris, na?, das wüßtest du wohl gern etwas genauer.
Tja, ob du mir trauen kannst? Ich könnte doch jetzt einfach mmmh -
berichten, ich wäre auf der Suche nach Hendrik überall in der
Stadt herumgelaufen, und eines Nachts in einem hell erleuchteten Schaufenster,
oben im breiten Erker eines Nachtclubs hätte ich sie gesehen, als
Tänzerin, und unten war die Straße verstopft, weil alle sehen
wollten, ob das süße Gekräusel in ihrer Nische genauso
goldblond ist, wie ihre griechische Frisur. Und ich könnte das hier
so unglaubhaft vorwegschicken, obwohl es wahr ist, nur um dir dann den
wahren Bären aufzubinden?
Vielleicht sah sie ihr
ja nur ähnlich, mit dem schnippischen Mund, dem Puppenblick, und das
war eine ganz andere Hübsche da oben? Es war ja auch zu weit weg,
und in dem Geschiebe kam ich nicht voran. Außerdem drehte sie sich
nur hin und wieder kurz dem Straßenvolk zu, wenn sie mit den Leuten
im Saal das reizende Versteckspiel der spannenden Vorbereitung trieb, dann
waren wir ihre Mitwisser, verstanden den Samba, genossen die dezente Heimlichkeit.
Ihre Brüste auf einmal unter den erhobenen Armen, mit rosigen Knospen
schlenkerten sie frei ins Licht, sie drehte sich biegsam fort, das war
es schon. Sonst bot sie uns nur den Rücken, öffnete sich wie
ein Mannequin am Ende des Laufstegs mit einer Pose, die zur Objektivität
erstarrte, zum unsichtbaren Publikum im Gebäude hin, der Rhythmus
dehnte sich, hielt den Atem an, und brach mit dem Stolz und der schlanken
Eleganz ihrer fast schon zu klassischen Gesten dann wieder hervor; sie
zelebrierte sparsam ihre kostbar-verhaltene Bewegungsornamentik, ihren
Leib von Elfenbein und Gold auf einem scheppernden Tablett, einem prachtvoll-billigen
großartig-komplizierten brasilianischen Gerumpel von Holz und Blech.
Ja, war sie's oder war
sie's nicht?
Oder ich erzähle
dir, daß ich nun endlich ihre geheime Telefonnummer, die geschäftliche
nämlich, rausgefunden habe, ich sag dir aber nicht wie. Prüf
doch nach, dann hörst du schon selbst, ob ich dir Unsinn erzähle;
du kennst ja ihre Stimme, oder nicht? – Nein?
Du weißt doch sonst
alles, was ich nicht einmal weiß, ich benutze nur den Hieronymusdietrich,
wo du mit deinem Petrusschlüssel – du weißt schon; und was ein
Cuillaut nicht zugrundeliest, das übersetzt ein Wolfram nimmermehr!
Ich versteh dich nicht.
Wir haben das doch zu Beginn schon so vereinbart? Die Schlußkapitel
müssen wir – mmmh – überarbeiten; und das braucht deine urkundensichere
Hand. Aber es bleibt meine Aufgabe, alles in die richtigen Zusammenhänge
zu stellen, nun?
He, Alter, was überrascht
dich so? Was verstehst du nicht? Ja was erwartest du denn? Daß ich
mich des Nachts an ein Wegkreuz stelle und die liebe Elisabeth als Abendstern
anrufe? 22 5 14 21 19?
Den Komponisten schicken
wir also auf die Pilgerreise, weil er das von den Dächern gepfiffen
hat, was wir ganz subtil, ja so fein, daß wir es selber nicht bewußt
merkten, immer schon heimlich gepflegt haben? Und da hätten wir ihn
erst einmal beinahe umgebracht, weil er unsere Geheimnisse verriet, aber
jetzt schlürfen wir selbst das süße Blut der berauschenden
Braut als den Wein, der uns erlöst, und besingen sie als unsere heimliche
Venus?
Ich seh schon Meister
Konrad mit seinem Hütchen winken, na du weißt noch, Cuillaut,
unser verglühter Asket! Wie pries der doch die mystische Vereinigung
mit der absoluten Entsagung als eine ganz besonders genußreiche,
hochdelikate Form des freiwilligen Scheiterns. "Daß selber ich die
Räder treiben muß, die mich ergreifen und zerreißen, die
Flammenwagen die von Schmerzen gleißen – ist unerträglicher
Genuß".
Oder gar das Bacchanale
der Pariser Fassung: "Die Emanzipation des Weibes in ekstatischen Zuckungen,
Liebe – Tragik -" – Herzinfarkt.
Da hat der alte Clinschor
und Rumpelstelz auf seine Art doch erst einmal gründlich die Rollen
vertauscht und dann klammheimlich wieder umgestellt, nachts, bei dunkler
Bühne, damit's keiner merkt.
Und dann stimmt es fast
schon wieder, es gibt großen Bahnhof: Die Totengräber mit der
Bahre von rechts, die Jünglinge mit der ergrünten virga virtutis,
wer gar, wer tut es?, von links, Freud zum Gruße, und der hundertfünfzigste
Psalm zimbelt von oben herab -
Nein, so nicht. Geht ja
auch nicht, schau mal: Wir sind der Welt noch einen Tannhäuser schuldig,
der fehlt uns zu dem ganzen Szenario, der kommt nicht! Der kommt einfach
nicht wieder, wir haben ihn – nein, ich, ich! habe ihn – verscherzt.
Gut, also zurück
zu unserer nächtlichen Suche – Cuillaut, was willst du denn jetzt
schon wieder? Hab ich mir doch gedacht, du denkst immer nur an das Eine,
die Telephonnummer. Ist es nun 5 12 9 19 3 8 1, oder ist es doch schlicht
9 18 9 19?
Nananana, langsam! Meinst
du, ich sag dir so einfach?! – also, dann nimm mal deinen Bleistift und
rechne:
Ihre Telephonnummer hat
viel mit ihr gemeinsam. Sie beginnt mit einer Ziffer, die der Anzahl der
Stellen, ja das heißt der einzelnen Ziffern dieser Nummer, gleich
ist, mit einer gemeinhin als irdisch geltenden Zahl. Die zweite Ziffer
dagegen, sie gilt als eine heilige Zahl, wenn quantitave Entitäten
überhaupt mit solchen Attributen zu affizieren sind, und sie ist in
dem Ganzen auf folgende Weise enthalten:
Teilst du das Ganze durch
die Zahl des apokalyptischen Tieres, du alte Schlange, so muß das
Tier, ob es will oder nicht, ihre Heiligkeit offenbaren; ja es muß
dann noch einen gewissen Rest ausspucken, weil der diese Heiligkeit mit
einem potenzierten Faktor periodisiert.
Teilst du hingegen das
Ganze durch die als heilig bezeichnete Zahl selbst, so geht es wunderbar
auf, nicht vieldeutig, so daß du es weiterschachteln könntest,
sondern unmittelbar in seiner komplexen, asymmetrischen, primären
Einmaligkeit.
Du siehst schon, sie hat
nicht eine Nummer für jedermann. Und ich habe sie beobachtet. Sie
geht nur selten auf Besuch, bei einer handverlesenen Gruppe gepflegter
Persönlichkeiten des absolut nichtöffentlichen Lebens. Aber einen
von denen habe ich doch im Bahnhofscafé gesehen, der spielte den
Gemüseputzer. Ich überschaue das nicht ganz. Vielleicht hat sie
auch mit den anderen Meistern zu tun.
Also geteilt durch die
zweite Zahl – mmmh, ja, ist schon erstaunlich, daß sie mit dem Elferrat
des Ordens zusammenzuhängen scheint, jedenfalls mit ihnen Kontakt
hat, flüchtigen oder ergiebigen? – also im orthodox-heiligen Zahlschritt
abgeteilt bilden sich Zifferngruppen, die zur Linken etwas Elementares
vom Tier, zur Rechten die allein göttliche Zahl und in der Mitte wiederum
die heilige Rhythmik haben.
Aber das siehst du dieser
Zahl selbst, der geheimen Telephonnummer, nicht so schnell an, denn sie
spielt einfältig und verrückt und ist immer um eines über
dich hinaus, wenn du sie mit deinen Fingern greifen willst. Wie heißt
es noch?
"Der Wiederholung Lied
ist Ewigkeit -
des Einzigartigen Gesang
bist du."
Denn diese Transzendenz,
als Einmaligkeit offenbar im Irdischen, verhüllt sie doppelt und drückt
sie eben damit doppelt aus: Die Quersumme der ersten beiden Ziffern ergibt
die Zahl der letzten beiden Ziffern.
Jetzt möchtest du
gerne wissen, welche Zahlen denn nun zwischen dem ersten und dem letzten
Ziffernpaar, von denen bisher die Rede war, entspringen? Du bist ja wirklich
ein ausgefuchster Steuerprüfer! Reicht dir meine doppelte Buchführung
nicht?
Das ist doch alles schon
ziemlich überflüssig und dient nur zu deiner Übung, damit
du schön groß und gescheit wirst, Cuillaut, und hier noch ein
Löffelchen für Freund Hein, und hier noch eins für Elisen,
und hier noch 'nen Löffel für Tubal-Kain, und hier noch für
- oh! diesen "Keinen" – Oudys – um auf seinen Sirenengesängen nach
Hause zu düsen.
Gut bist du, fein hast
du das hingekriegt, trotz all der Rollentäusche, als wär's ein
Stück von dir! Na, da lachst du, ein duftiges Aphrodisiakum, nicht
wahr?
Tja, Musik ist gehörte
Mathematik, geheimes Zählen, empfundenes Denken.
Aber das ist erst die
Telephonnummer. Und weiter?
Ja, weiter weiß
ich auch nicht. Man dringt einfach nicht durch. Denn nach der Musik, du
zählst insgeheim, empfindest dein Denken, fieberst, alle Plätze
sind zur Zeit besetzt, und wieder eine Ewigkeit lang Gedudel, dein Herz
verschlägt sich, da meldet sich wer, eine liebliche Stimme, die einfach
die eben gewählte Telephonnummer als Namen des Hauses nennt, und jetzt
müßtest du ja wissen, wie die Leichtbeflügelte genannt
sein will. Das namentliche Losungswort nämlich.
Natürlich habe ich
das ausprobiert, woher könnte ich es dir denn sonst berichten!
Und wenn du das Losungswort
nicht weißt, dann gnade dir Gott. Sie bringen deinen Anruf im Rundfunk,
ziehen dich aus, splitterfasernackt, mit Personenbeschreibung und voller
Addresse: Dieser Schweinepriester da, hört ihr ihn gut? Kennt ihr
die Stimme? Kennt ihr ihn? Dann prägt sie euch ein, Kinder. Wir sind
sprachlos, uns fehlen die Worte, wenn wir das beschreiben sollen, was der
versucht hat. Realität spricht für sich selbst. Hier noch einmal
für die, die sich später eingeschaltet haben: Hört euch
das mal an – ist das nicht unglaublich? Uns sind leider die Hände
gebunden. Aber ihr habt doch ganz andere Möglichkeiten bei euch auf
der Empfängerseite, Möglichkeiten, die uns nichts angehen, geehrte
Hörer, und so mag es für heute genug sein, wenn wir jetzt noch
einmal das Band abspielen, iiiiih ist das ekelhaft! -
Und wenn du von der Frage
nach deinem Petrusschlüssel überrascht bist und dich in der Aufregung
heillos verplapperst oder etwa ein Losungswort deiner Wahl zu stottern
versuchst, dann kommst du im Fernsehen groß raus. Im Wetterbericht.
Als Frosch.