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Weil denn in dem Menschen Böses und Gutes
war, konnte beides in ihm regieren.
So ward ein böser und ein guter Mensch in
einer Mutter auf einmal geboren.
Also brachte die Natur wenig gute Früchte
ob sie gleich blühete in weltlicher Kunst und Üppigkeit.
Und wuchs kaum ein guter Ast in dem Baum der
heile und gute Früchte brachte;
die anderen Äste trugen und brachten die
wilden Heiden.
Auch so ging unter de Heiden ein Licht in der
Natur auf, daß sie erkennenten die Natur und ihre Wirkung,
wiewohl dieses nur ein Licht in der wilden Natur
war, und noch nicht das heilige Licht;
denn die milde Natur war noch nicht überwunden
und rang Licht und Finsternis so lange miteinander
bis die Sonne aufging und zwang diesen Baum mit
ihrer Hitze, daß er liebliche und süße Früchte trug.
Die folgende lebhafte Chorpartie schichtet den Text so übereinander, daß die anfangenden Bässe ihr "dieselben Zweiglein" fünfmal wiederholen, die Tenöre mit "schmeckten also" die Fortsetzung viermal darüberbauen, die Altstimmen an dritter Wiederholungsstelle mit "holdselig süß und" hinzukommen und die Soprane mit "freudenreich" den Satz abschließen; die Wiederholung verstärkt den rotierenden Charakter der treibenden Fünftakt-Motive.
Dieselben Zweiglein schmeckten also holdselig,
süß und freudenreich,
daß keines Menschen noch Engelszunge aussprechen
kann;
sie hatten große Kraft und Tugend in sich
welcher Heide von den Zweiglein dieses Baumes
aß,
der war entledigt von der wilden Art der Natur,
darinnen er geboren war, darinnen er geboren war.
Und der köstliche Baum mußte ihnen
nur zum Schauspiel dastehen,
und ihrer viele lebeten gleich den wilden Tieren
und führeten ein böses Leben in Hoffart,
Pracht und Üppigkeit;
und jeder Reiche verzehrte dem Armen seinen Schweiß
und Arbeit
und drängte ihn noch dazu.
Es hat aber der edle Baum von Anfang an bis heute
mit höchstem Fleiß in der Natur gearbeitet,
daß er möchte offenbar werden allen
Völkern, Zungen und Sprachen.
Darwider hat der Teufel in der wilden Natur gewütet
und getrabet und sich gewehret als ein grimmiger
Löwe.
Aber der edle Baum brachte je länger je
süßere Früchte und offenbarte sich je länger je sehrer
wider alles Wüten und Toben des Teufels,
bis ans Ende;
In eine durch Oktavierung der Stimmen breit
strömende Unisono-Apotheose mündet das Baum-Gleichnis ein; die
Gong-durchrauschte weiche Tutti-Begleitung gibt dem Ganzen allerdings einen
überirdischen Zauber, so daß "Licht und Stimme" in den vier
Winden nicht bloß "erschallen", sondern eher zu verhauchen scheinen:
Als nun dies geschah, da gingen in der Natur
beide Türen auf, beide Türen auf:
die Erkenntnis beider Qualitäten, Böses
und Gutes, und ward offenbar, und ward offenbar
das Himmlische, das Himmlische, sowohl der Höllen
Reich, allen Menschen auf Erden.
Und das Licht und die Stimme erscholl in die
vier Winde und das Licht und die Stimme erscholl in die vier Winde.
Dem folgt mit der Wiederaufnahme der Passacaglia des Vorspiels ein klanglich und rhythmisch raffinierter Übergang in die Intimität und Innigkeit des zweiten Teils.
Lebhafte Überleitung auf ostinatem Grund zum folgenden Adynaton
(oder Irrealis), einer heftig rotierenden, fugenartigen Motiv-Verzahnung:
So sich aber Gott in sich selbst sollte erzürnen,
selbst sollte erzürnen,
so sich aber Gott in sich selbst sollte erzürnen,
so würde die ganze Natur brennen, so würde
die ganze Natur brennen,
so würde die ganze Natur brennen, so würde
die ganze Natur brennen...
Nicht mußt du denken, daß Gott im
Himmel und über dem Himmel etwa stehe
und walle wie eine Kraft und Qualität, die
keiner Vernunft und Wissenschaft in sich habe,
wie die Sterne, wie die Sonne.
Die lauft an ihrem Zirk herum und schüttet
von sich die Hitze und das Licht,
es bringe gleich der Erde und den Kreaturen Schaden
oder Frommen.
Nein so ist der Vater nicht,
sondern ist ein allmächtiger, allweiser,
allwissender,
allsehender, allhörender, allriechender,
allfühlender, allschmeckender Gott
(Vgl. "Ist die übersinnliche Welt sinnlich?
Zur Sinnlichkeit des Vaters in der Morgenröte") -
- eine trotz der Aufzählung von Attributen faszinierende Stelle
schon bei Jakob Böhme: spontan und ohne systematisch-symmetrisierende
Absichten gefügt, dennoch eine Entwicklungsreihe (Antiklimax): von
den per se göttlichen Merkmalen der Allmacht und Allwissenheit hinab
zu den sinnlichen Empfindungskanälen, die nicht jeder gleich Gott
zuschreiben würde, da sie tief ins Sinnlich-Körperliche des menschlichen
Leibes hinabsteigen. Aber gerade die Geschmacklichkeit und das empfindungslebendige
"Qualifizieren" der ständigen Geburtsprozesse durch die sieben Quellgeister
sind Jakob Böhmes eigentümliches Erfahrungsfeld.
Also führt die Antiklimax von den Geistaspekten der Gottheit
hinein in die leiblich verdichteten Aspekte; diese Entwicklung oder besser
Einwicklung vollführt nun die Komposition Tilo Medeks deutlich mit:
F-Moll, tonikaler Dreilang bereichert um Sekunde, Quarte und kleine
Septime (also dazwischengeschobenes Es-Dur) auf dem Grundton, der noch
durch die Baßstimme des Chores verstärkt und im Ostinato wiederholt
wird; Instrumente und Oberstimmen treiben diesen wiederholten Akkord "in
die Enge", in eine Verdichtung – nicht unmittelbar, sondern in einer minimalistisch-rhythmusgleich
wiederholten, zunächst absteigenden, dann etwa spiegelbildlich wieder
aufsteigenden Figur; bei "allschmeckenden" ist der Akkord chromatisch zum
Kleine-Sekunden-Cluster zusammengeschoben, empfindungsdicht – so drängt
die komprimierte Spannung auf eine Änderung zu, vergleichbar einer
Umfärbung oder sonst einem qualitativen Wechsel. In der Tat folgt
auf das letzte, sinnlichste Attribut mit dem Wort "Gott" der Dominantseptakkord
(Dur) zur Ausgangstonart, Chor a capella, und auch die Baßstimme
verläßt den bisher ostinat (mit Quint und Oktavsprung) verstärkten
F-Bordun zum E.
Das eigentlich Interessante, das ich beschreiben wollte, kommt jetzt
erst: In der Vertonung des weiteren, nachgereichten Attributs
der da ist in sich sänftig,
bewegt sich zuerst die Altstimme des Chors von der Septime B des
(zum Ausgangs-F-Moll dominantischen) C-Dur-Akkords zu einem melodisch stabil
bestätigten Des; auf den Text
der da ist in sich freundlich,
ahmt der Sopran einen Ganzton höher das Motiv nach und landet
konsequent auf einem Es – nun schon ein reibungsvolle Querstand zum E des
Basses; das G des Tenors erscheint nun als Terz eines Septimakkords auf
bzw. unter dem neuen Grundton Es. Aber der Tenor setzt mit den Worten
der da ist in sich lieblich,
die Wandel-Sequenz fort und wandert auf dem gleichen Motiv zum B
hinauf; die Baßstimme endlich nimmt im Abschluß der Attributreihe
der da ist in sich barmherzig und freudenreich
-
das Motiv spiegelbildlich auf und ergänzt den Septakkord um
die fehlende Terz, das G.
Also eine höchst spannungsreich auseinandergelegte, gedehnte
Rückung vom C-Dur-Septakkord zu einem Es-Dur-Septakkord. Dieser Es-Akkord
durchbrach schon zu Beginn der Attributreihe ("nein, so ist der Vater nicht")
das tonikale F-Moll, und in der Tat folgen bestätigende Nachklapp-Attribute
des Nachklapps bei Böhme:
ja, die Freude, ja die Freude, ja die Freude,
ja die Freude selber!
wieder in ostinaten Motivwiederholungen auf dem ersten sich "zusammenschiebenden"
Wiederholungs-Motiv ausgeführt; der im Diminuendo ausklingende Akkord
auf "selber" clustert über der F-Basis der Instrumente eine As-Terz
im Baß und bei den Oberstimmen einen verminderten Septakkord (E-G-B-Des),
bevor auch die Akkordostinati der Instrumente in fortgesetzter harmonischer
Verdichtung, aber ständigem Moriendo, sich impressionistisch "ver-tupfen".
4. Die offene Pforte des Himmels
Zur folgenden Mitte der sich selbst beschreibenden Musik bzw. des sich in irdischen Versuchen spiegelnden und brechenden himmlisch aufsteigenden "Schalls" möchte ich die Gestaltung Tilo Medeks nicht verraten (das wäre hier auch zu lang, ich bräuchte noch einige Abende, mehr als diese letzte Woche vor der Aufführung), – der Leser möge selbst seine Phantasie und Erwartung spielen lassen, welche ironische Zurücknahme und zugleich was für ein ekstatisches Über-sich-hinaus darin stecken mag, den folgenden berühmten Satz der Aurora musikalisch entfalten zu dürfen – nur so viel sei gesagt: die Vertonung hält sich (wie bei einem Renaissance oder Barock-Komponisten) sehr eng an den Text und gestaltet die Aussage in ihren Elementen, Wort für Wort mit – was für ein Entwicklungsdurchgang von den bezaubernd-schönen Anfängen ("So du in dieser Welt..." und wiederholt mit dem Neuanfang "und zögest sie alle..." und noch einmal in einer dritten Strophe "und hättest die allerkünstlichsten Meister...") über das dissonant-verzweifelte "Hundegebell" hinüber in die aufgelöste Sternenmusik "von Ewigkeit zu Ewigkeit", aber es steigert sich, ganz dicht am Text vertont, noch weiter und wird immer inniger:
So du in dieser Welt vieltausenderlei Instrumenta
und Saitenspiel zusammenbrächtest
und zögest sie alle aufs künstlichste
ineinander
und hättest die allerkünstlichsten
Meister dazu, die sie trieben,
so wäre es doch nur wie ein Hundegebell
gegen den göttlichen Schall und Musica,
das durch den göttlichen Schall aufgehet
von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Denn in der göttlichen Pomp sind die Früchte
nicht ein tot, hart, bitter, sauer und herbes Aas,
die verfaulen und zu einem Gestank werden wie
in dieser Welt,
sondern es stehet alles in heiliger göttlicher
Kraft.
Eine Speise der heiligen Engel, eine Speise der
heiligen Engel.
Und das ist wohl auch (sowohl in der Selbstironie wie auch im rhythmischen Exzess) zugleich Vorbereitung und Übergang zum unmittelbar folgenden
5. Engelstanz
der allerdings eher von Hohn und Höllenvisionen durchschaudert
wird:
Der Fiedler hat seine Saiten schon aufgezogen,
der Bäutigam kommt!
Schaue zu, daß du nicht das Podagra in
deinen Füßen hast,
wenn dann der Reihe angeht,
daß du zum Engelstanz gar ungeschickt seist
und werdest von der Hochzeit hinausgestoßen,
weil du kein englisch Kleid anhast.
Schaue zu, daß du nicht das Podagra in
deinen Füßen hast,
wenn dann der Reihe angeht,
daß du zum Engelstanz gar ungeschickt seist
und werdest von der Hochzeit hinausgestoßen,
weil du kein englisch Kleid anhast.
Der Fiedler hat seine Saiten schon aufgezogen,
der Bäutigam kommt!
Wahrlich, die Tür wird hinter dir zugeschlossen
werden,
und du wirst nicht mehr hineinkommen,
sondern wirst mit den höllischen Wölfen
im höllischen Feuer tanzen.
Wahrlich, die Tür wird hinter dir zugeschlossen
werden,
und du wirst nicht mehr hineinkommen,
sondern wirst mit den höllischen Wölfen
im höllischen Feuer tanzen.
Der Fiedler hat seine Saiten schon aufgezogen,
der Bäutigam kommt!
Der Spott wird dir dann wohl vergehen
und Reuen wird dich nagen.
Der Spott wird dir dann wohl vergehen
und Reuen wird dich nagen.
18.
Von der Schöpfung Himmels und der Erden
19.
Von dem erschaffenen Himmel und der Gestalt der Erden
20.
Von dem andern Tage der Schöpfung
21.
Von dem dritten Tage
22.
Von der Geburt der Sternen und Schöpfung des vierten Tages
23.
Von der Tiefe über der Erden
24.
Von der Zusammenkorporierung der Sternen
25.
Von der Sternen Geburt – die ganze Astrologia
26.
Von dem Planeten Saturn
Beschluß
des (unvollendeten) Werkes