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[Hans Zimmermann] 
Griechisch / Latein 
& Ethik / Weltreligionen / Philosophie
ad paginam domesticam auctoris
 
Alle Wege führen nach Rom   
  
lautet ein bekanntes Sprichwort. Mindestens genauso richtig ist, daß alle Wege des Abendlandes von Rom ausgehen, aber wie schon Herakleitos von Ephesos lange vor der römischen Kulturvermittlung der griechischen Kulturleistungen anmerkte: "Der Weg hinauf und der Weg hinab ist ein und derselbe". Und die Mitte, in der sich die Radspeichen treffen, von der strahlen sie in entgegengesetzte Richtungen aus.   
  
Also auf den kulturvermittelnden Mittelpunkt "Rom" hin führt insbesondere die griechische Welt der Wissenschaften, Künste, Literaturen, des Geschichtsbewußtseins, der philosophischen Reflexion, der politischen Selbstorganisation, des Städte- und Verkehrswesens und noch vieles mehr.   
   
Die Wissenschaften: Sie sind Kinder der Philosophie, wie besonders an den vielen Themen der Schriften des Platonschülers Aristoteles deutlich werden kann, der sich über fast alles ausgelassen hat, sei es Physik, Meteorologie, Astronomie, Psychologie, Biologie, Geographie, sei es Literaturkunde, Grammatik, Logik, Ethik und vor allem der alte Mutterschoß all dieser Wissenschaften, die Metaphysik. Hier übernahmen und lernten die Römer von griechischen Meistern, etwa Cicero in seinen philosophischen Schriften, Lucrez und vor allem dann Plinius in seinem gewaltigen naturwissenschaftlichen Sammelwerk, am Ende Boethius (mit strenger Verknappung und Formalisierung der Tradition), natürlich auch Varro (wir kennen nur Reste) oder Seneca mit der ihnen eigenen Vielseitigkeit.   
Im Mittelalter blüht ein vergleichbares Universalgelehrtentum bei den großen Meistern der Schule von Chartres, dann von Albertus Magnus an in der Hochscholastik: Aristoteles' Sonne geht auf – der eben nicht nur Philosoph im landläufigen Sinne, sondern ein sammelnder und systematischer Wissenschaftler aller Sparten war.   
Und das vermittelt sich alles auf Latein, noch im Beginn der Neuzeit bei Erasmus und Melanchthon, noch bei Hobbes, Descartes, Spinoza, beim großen Leibniz  
  
Die Künste: Durch die Römer werden die architektonischen, bildnerischen und literarischen Werke der Griechen zu klassischen Vorbildern – es entwickelt sich das Konzept des Klassischen, des Maßstäblichen, durch dessen Klarheit ästhetischer Wildwuchs oder die Kraft und Gewalt gefühlsbestimmter Beliebigkeiten, wie sie schöpferisch ausbrechen mögen, zurückgeschnitten werden – man mag es befürworten, man mag es romantisch unterlaufen. (Wieviel Impressionismus findet sich in römischen Wandbildern!) Natürlich war die Entwicklung des "Vorbildes" im mediterranen Osten selbst nicht schon auf Klassizismen beschränkt, sondern reifte im Hellenismus dynamisch (wie z.B. im Laokoon), psychologisierend (bei Euripides), spielerisch (bei Kallimachos) aus, und eben das steckte noch die zu spät gekommenen Hellenisten, "die Römer", an. Durch das Imperium Romanum konnten Handwerker und Künstler des östlichen Mittelmeerraums oder Afrikas ihre Techniken und Vorlagen, z.B. für Mosaiken, Stuckreliefs oder Gläser, nach Norden tragen, bis an den Rhein oder auf die britischen Inseln. Dabei ist die Ausbreitung der klassischen Orientierung an der Traditionsquelle durch Handwerker und Gelehrte nicht weniger wichtig als der Bau der Verkehrswege, Wasserleitungen und steinernen Städte durch römische Soldaten (nach dem hellenistischen Schachbrett-Straßenplan des Hippodamos), die Grundlage der Infrastruktur für Jahrtausende.   
  
Literaturen – nein, die Römer erreichten das Vorbild selten, nur in wenigen Gattungen. Tragödien? – auf Latein nur pathetischer Schwulst. Romane? – es gibt nur etwa anderthalb lateinische (Petrons Satyricon und die Metamorphosen des Apuleius, natürlich mit griechischen Namen); Komödien? - nun gut, Musicals nach Menander bei Plautus und Terenz, aber weit entfernt von Aristophanes' Genialität. Ganz zu schweigen von Platonischen Dialogen, Homerischen Epen und der reichen Mythenwelt, die besonders in der Tragödie zum Ausdruck gekommen ist. Immerhin verdanken wir die reichste und ästhetisch geformteste Mythensammlung der Antike dem Augusteischen Zeitalter: Ovids Metamorphosen. Selbstverständlich sind es die griechischen Gestaltwandlungen, mit hellenistischer Virtuosität durchgespielt.  
Aber doch in der Prosa wurden die Römer meisterlich und originell? Gewiß, drei große Historiker – Sallust, Livius, Tacitus – lassen sich mit den griechischen vergleichen, die ihre Vorbilder sind. Den ersten großen Wurf zur römischen Geschichte, das erste Werk, in dem die "Bestimmung Roms" gefeiert wird, verfaßte Polybios in seiner griechischen Muttersprache. Und die Rhetorik der "typisch römischen" Juristen? Redner wie Cicero orientieren sich fruchtbar an dem, was sie auf Rhodos und in Athen gelernt haben.   
  
Lateinische Autoren liebten den Vergleich bedeutender Römer mit ähnlichen griechischen Gestalten; das bedeutendste biographische Sammelwerk dieser Art stammt aber von Plutarch, einem Griechen.   
   
Ein Beispiel für die Traditionsstraße nach Rom, durch Rom, von Rom wiederum ausgehend, bietet die Internet-Seite "Die Welt ist rund wie ein Ball und geschichtet wie ein Ei": die Auffassung von der Erdkugel, beginnend mit Parmenides, über Platon und Aristoteles, an den genaueren Naturwissenschaftlern "vorbei" über Ciceros "Somnium Scipionis" und Ovids "Metamorphoses", über Macrobius und Martianus Capella ins Mittelalter hinein fortgesetzt, über Beda, Honorius, Petrus Comestor, über die Schule von Chartres und Gervasius, über den erneuerten Aristotelismus auf Albertus und Thomas von Aquin gebracht – spätestens bei Dante kann jeder nachlesen, daß dem mittelalterlichen (wie schon dem antiken) Nicht-Naturwissenschaftler (also dem bloßen Dichter, Enzyklopädisten oder Metaphysiker) die Erde eine Kugel war. Alles übers Lateinische, auf der lateinischen Traditionsstraße. Alle Wege führen durch Rom, so muß es wohl heißen.  
  
Ebstorfer Weltkarte 
  
Eine weitere Traditionsstraße bzw. ein bedeutendes Vermittlungs-Teilstück der Wissens-Wanderung verläuft über die arabische Gelehrsamkeit: Griechische Quellen, in Byzanz gepflegt, ins Syrische (also in eine semitische Sprache, dem Hebräischen und Arabischen verwandt) übertragen, wurden mit der entsprechenden Kulturberührung und Eroberung des Ostmittelmeerraumes an das islamische Reich vererbt, nämlich ins Arabische übersetzt; und über das normannisch beherrschte Sizilien und über die Übersetzerschmiede Toledo in Spanien, später dann auch durch Wilhelm von Moerbeke, Bischof in Athen, gelangten die griechischen Wissenschaften und Literaturen ins Abendland, insbesondere der arabisch (Avicenna und Averroes) kommentierte Aristoteles und das kleine Elementarbuch der Philosophie namens liber de causis, (das wir hier sowohl in der arabischen als auch in der lateinischen Wort-für-Wort-Übertragung nebst deutscher Übersetzung darbieten).  
Die Vermittlung durch die Inseln der Seligen am vergessenen äußersten Rand des Abendlandes, Nachtlandes (vgl. die obige Karte!), nämlich durch irische Mönche und britische Klöster vom Untergang des weströmischen Reichs bis zur karolingischen Renaissance, ist das andere Beispiel für die Bedeutung der Peripherie dieses Traditions-Rades.  
Das heißt: Alle Wege führen nach Rom, indem sie Rom umgehen ...?  

Und beinahe hätten wir die Religion vergessen, ich meine nicht die Identifizierung der römischen Götter mit den menschengestaltigen Olympiern (nicht unwichtig für die Klassizismen der Klassiker und den Skulpturenschmuck der Fassaden im Historismus), sondern das Christentum. Das Neue Testament, die trinitarische Theologie der Spätantike, die Wechselbefruchtung mit dem Neuplatonismus - in all dem war zunächst  Griechisch das Medium, wie auch vorher schon die griechische Bibelübersetzung, die "Septuaginta" (LXX), das hebräische Original geradezu verdrängt hatte. Auch die Kultussprache der "Leitourgia" blieb lange Zeit das Griechische ("Kyrie eleison"). Wie dieses letzte große Kulturgut der Antike dann über Rom auf die Germanen und auf alle Welt gekommen ist, wie Rom dabei sich als Mitte zwischen verdrängten hellenischen Ursprüngen und der fleißigen Abschreibekultur der "romanischen" Welt zum caput mundi erneuerte, und dann die frühneuzeitliche Renaissance (nach den karolingischen, ottonischen und hochmittelalterlichen "Wiedergeburten der Antike") – das spricht für sich, und das war ja eigentlich immer gemeint mit diesem proverbium, wo auch immer man sich hinwendet in der Hochkultur des Okzidents: Alle Wege führen nach Rom. Denn davon strahlen sie aus 
 

 
Labyrinth (auf dem Boden) am Westende der Kathedrale Notre Dame in Chartres
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Kuppel im Saal der zwei Schwestern.....Achtstern-Mosaik..........
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