Jedes
vergängliche, nicht ewige Wesen ist entweder zusammengesetzt oder
es subsistirt in einem anderen Dinge. Denn entweder bedarf ein
solches Wesen der Dinge, aus welchen es besteht, und ist also aus diesen
zusammengesetzt, oder aber es bedarf zu seiner Existenz und Subsistenz
eines Substrates, und wenn es sich nun von seinem Substrate trennt, so
fällt es dem Nichtsein anheim und geht zu Grunde. Wenn aber ein Wesen
nicht zusammengesetzt ist und nicht in einem anderen Dinge subsistirt,
sondern einfach und in sich selbst (subsistirend) ist, so ist es ewig und
durchaus unvergänglich und unzerstörbar.
Jedes
Wesen, welches durch sich selbst subsistirt, ist einfach und ungetheilt. Wenn aber Jemand behauptet,
es sei doch möglich, dass dasselbe getheilt sei, so erwiedern wir:
wenn es möglich ist, / <S.108>
dass ein Wesen , welches durch sich selbst subsistirt, getheilt sei, während
es doch einfach ist, so ist es möglich , dass die Wesenheit jedes
Theiles desselben auch durch sich selbst sei, wie die Wesenheit des Ganzen.
Wenn aber dies möglich ist, so wendet jeder Theil desselben sich zu
sich selbst hin und es würde mithin ein jeder Theil desselben sich
zu einem Theile desselben hinwenden, wie das Ganze sich zu sich selbst
hinwendet. Dies jedoch ist unmöglich. Wenn es aber unmöglich
ist, so ist also jedes Wesen, welches durch sich selbst subsistirt, ungetheilt.
Es ist aber auch einfach. Denn wenn es nicht einfach wäre, sondern
zusammengesetzt, so wäre dieses in ihm vorzüglicher als jenes
und dieses geringer als jenes, und es würde mithin das Vorzüglichere
aus dem Geringeren und das Geringere aus dem Vorzüglicheren sein,
wenn ein jeder Theil desselben von einem jeden Theile desselben getrennt
ist. Es würde mithin seine Gesammtheit nicht sich selbst genügend
sein , wenn sie ihrer Theile bedarf, aus welchen sie zusammengesetzt ist.
Das aber ist nicht die Natur eines einfachen Wesens, sondern vielmehr die
Natur zusammengesetzter Wesen. Demnach / <S.109>
ist es einleuchtend, dass jedes Wesen, welches durch sich selbst subsistiert,
einfach und ungetheilt ist; wenn es aber keiner Theilung unterliegt und
einfach ist, so unterliegt es auch keinem Untergange und keiner Zerstörung.
Jedes
Wesen, welches in der Zeit erschaffen ist, ist
entweder immer in der Zeit und die Zeit geht nicht hinweg von ihm, weil
es erschaffen ist wie auch die Zeit, oder
es geht hinweg von der Zeit und die Zeit geht hinweg von ihm, weil
es in gewissen Abschnitten der Zeit erschaffen ist. Denn wenn die erschaffenen
Dinge sich gegenseitig an einander anschliessen und an das höhere
Wesen sich nur das ihm ähnliche Wesen anschliessen kann, nicht das
ihm nicht ähnliche Wesen, so stehen die dem höheren Wesen ähnlichen
Wesen, d. h. die erschaffenen Wesen, von welchen die Zeit nicht hinweggeht,
vor den den immerwährenden Wesen nicht ähnlichen Wesen, d. h.
den Wesen, welche sich von der Zeit loslösen und in gewissen Abschnitten
der Zeit erschaffen sind. Es ist also nicht möglich, dass die in gewissen
Abschnitten der Zeit erschaffenen Wesen sich an die immerwährenden
Wesen anreihen, weil sie ihnen durchaus nicht ähnlich sind. Mithin
sind es die / <S.111>
immerwährenden Wesen in der Zeit, welche sich an die immerwährenden
Wesen anreihen, und stehen sie in der Mitte zwischen den subsistirenden
Wesen und den von der Zeit sich loslösenden Wesen. Es ist ja nicht
möglich, dass an die immerwährenden Wesen, welche über der
Zeit sind, sich die zeitlichen Wesen, welche sich von der Zeit loslösen,
anschliessen, es sei denn durch Vermittlung der zeitlichen Wesen, welche
inimerwährend in der Zeit sind. Diese Wesen aber stehen desshalb in
der Mitte, weil sie den hohen immerwährenden Wesen hinsichtlich der
immerwährenden Dauer, den zeitlichen Wesen aber, welche in der Zeit
sich loslösen, durch die Entstehung an die Seite treten; denn wenn
sie auch immerwährend sind, so beruht doch ihre immerwährende
Dauer auf Entstehung und Bewegung; wohingegen die Wesen, welche immerwährend
mit der Zeit sind, den immerwährenden Wesen, welche über der
Zeit sind, durch die immerwährende Dauer ähnlich sind, aber nicht
ähnlich hinsichtlich der Bewegung und der Entstehung. Die von der
Zeit sich loslösenden Wesen aber sind den immerwährenden Wesen,
welche über der Zeit sind, in keiner Weise ähnlich. Wenn sie
ihnen jedoch nicht ähnlich sind, / <S.112>
so sind sie nicht im Stande , sie zu erreichen und zu berühren.
Es muss also nothwendig Wesen geben, welche die immerwihrenden Wesen, welche
über der Zeit sind, berühren, zugleich aber auch mit den von
der Zeit sich 1oslösenden Wesen in Berührung stehen, so dass
sie durch ihre Bewegung die Verbindung herstellen zwischen den zeitlichen
Wesen, welche sich von der Zeit loslösen, und den immerwährenden
Wesen, welche über der Zeit sind , und durch ihre immerwährende
Dauer die Verbinduug herstellen zwischen den Wesen, welche über der
Zeit sind, und den Wesen, welche unter der Zeit sind, ich meine, welche
dem Entstehen und Vergehen unterliegen, kurz die Verbindung herstellen
zwischen den vorzüglicheren Wesen und den geringeren Wesen , auf dass
diese jener nicht verlustig gehen und damit alle Schönheit und alles
Gute verlieren und ihnen kein Bestand und keine Subsistenz mehr bleibt.
Aus dieser Auseinandersetzung
hat sich demnach klar ergeben, dass es zwei Arten immerwährender Dauer
gibt, eine ewige und eine zeitliche. Die eine jedoch ist stehend und ruhend,
die andere / <S.113>
bewegt. Die eine ist (in sich) gesammelt und ihre Wirksamkeiten vollziehen
sich alle zugleich, und nicht diese vor jener; die andere ist fliessend
und ausgedehnt und von ihren Wirksamkeiten vollzieht sich diese vor jener.
Und die Gesammtheit der einen ruht in sich selbst; die Gesammtheit der
anderen hingegen ruht in ihren Theilen, von welchen jeder einzelne von
dem anderen getrennt ist in der Weise des Früheren und des Späteren.
Demnach ist es klar und
einleuchtend, dass einige Wesen innnerwährend und über der Zeit
sind, andere immerwährend sind und der Zeit correspondiren, indem
die Zeit nicht von ihnen hinweggeht, und wieder andere von der Zeit sich
loslösen, indem die Zeit von ihnen hinweggeht oberhalb und unterhalb,
nämlich die Wesen, welche dem Entstehen und Vergehen unterliegen.
Zwischen
dem Dinge, dessen Wesenheit und Wirksamkeit im Gebiete der Ewigkeit liegen, und
dem Dinge, dessen Wesenheit / <S.114>und Wirksamkeit im Gebiete der Zeit liegen, existirt
ein Mittleres, nämlich
dasjenige, dessen Wesenheit zum Gebiete der Ewigkeit, und
dessen Wirksamkeit zum Gebiete der Zeit gehört. Denn das Ding, dessen Wesenheit
unter die Zeit fällt, weil nämlich die Zeit sie umschliesst,
fällt nach allen Seiten hin unter die Zeit. Es fällt dann auch
seine Wirksamkeit unter die Zeit; denn wenn die Wesenheit eines Dinges
unter die Zeit fällt, so muss dem entsprechend auch die Wirksamkeit
desselben unter die Zeit fallen. Nun ist jedoch das Ding, welches nach
allen Seiten hin unter die Zeit fällt, getrennt und gesondert von
dem Dinge, welches nach allen Seiten hin unter die Ewigkeit fällt;
und ein Anschluss kann nur Statt haben zwischen Dingen, welche einander
ähnlich sind. Es muss also nothwendig ein anderes, drittes Ding zwischen
beiden in der Mitte stehen, ein Ding, dessen Wesenheit unter die Ewig–
/ <S.115> keit
und dessen Wirksamkeit unter die Zeit fällt. Denn es ist unmöglich,
dass es ein Ding gebe, dessen Wesenheit unter die Zeit, und dessen Wirksamkeit
unter die Ewigkeit fällt. Es würde ja seine Wirksamkeit vorzüglicher
sein als seine Wesenheit. Das aber ist unmöglich. Es kann mithin kein
Zweifel sein, dass es zwischen den Dingen, welche mit ihren Wesenheiten
und Wirksamkeiten unter die Zeit fallen, und den Dingen, deren Wesenheiten
und Wirksamkeiten unter das Gebiet der Ewigkeit fallen, Dinge gibt, welche
mit ihren Wesenheiten unter die Ewigkeit und mit ihren Wirksamkeiten unter
die Zeit fallen, wie wir es auseinandergesetzt haben.
Jedes
Wesen, welches theils unter die Ewigkeit, theils
unter die Zeit fällt, ist
Sein und Werden zugleich. Denn das Ding, / <S.116>
welches unter die Ewigkeit fällt, ist Sein in Wahrheit, und jedes
Ding, welches unter die Zeit fällt, ist Werden in Wahrheit. Wenn dem
aber so ist und ein und dasselbe Ding unter die Ewigkeit uml die Zeit fällt,
so ist dasselbe Sein und Werden, nicht nach einer und derselben, sondern
nach verschiedenen Seiten hin. Es ist demnach klar aus dem was wir gesagt
haben dass alles Hervorgebrachte, welches mit seiner Wesenheit unter die
Zeit fällt, der Wesenheit nach an dem reinen Sein hängt, welches
die Ursache der immerwährenden Dauer und die Ursache aller immerwährenden
Wesen wie auch der vergänglichen Wesen ist.
Es muss nun also nothwendig
ein wahres Eines geben, welches die Einheiten gibt, aber selbst nichts
empfängt, wohingegen die übrigen Einheiten alle empfangen sind.
Der Beweis hiefür liegt in Folgendem. Wenn sich ein Eines findet,
welches gibt und nicht / <S.117>
empfangen ist, worin wird der Unterschied bestehen zwischen diesem und
dem ersten Einen, welches (nur) gibt? Denn es ist nicht anders möglich,
als dass es ihm entweder nach allen Seiten hin ähnlich ist, oder aber
zwischen beiden eine Verschiedenheit obwaltet. Ist es ihm nach allen Seiten
hin ähnlich und ist es in gleicher Weise ein Eines wie jenes, warum
soll das eine von beiden ein Erstes, und das andere ein Zweites sein? Ist
es ihm aber nicht nach allen Seiten hin ähnlich, so ist ohne Zweifel
das eine von beiden ein erstes, wahres Eines, das andere ein Eines schlechtweg.
Dasjenige nun, in welchem die Einheit subsistirt und nicht aus einem anderen
ist, ist das erste, wahre Eine, wie wir es auseinandergesetzt haben; dasjenige
aber, in welchem sich eine Einheit findet, die aus einem anderen ist, ist
nicht das erste, wahre Eine. Wenn aber aus einem anderen, so ist sie also
eine von dem ersten Einen empfangene Einheit. Daraus erhellt, dass das
wahre, / <S.118>
reine Eine und die übrigen Einen gleichfalls eine Einheit sind, diese
aber sind eine Einheit nur durch das wahre Eine, welches die Ursache ihrer
Einheit ist. Demnach ist es klar und einleuchtend, dass jede Einheit nach
dem wahren Einen empfangen nnd erschaffen ist, mit Ausnahme des wahren,
ersten Einen, welches die Einheiten erschafft und gibt, aber nicht empfängt,
wie wir es auseinandergesetzt haben.
Gruss! Es ist zu Ende, was
von diesem Gegenstande vorhanden war.