Das Sonnengleichnis
des Sokrates, sinngemäß auch der Logos-Prolog
des Johannesevangeliums, vor allem aber Plotins Synthese der aristotelischen
Metaphysik mit der platonischen Ideenlehre
und in der Folge dann die Reihe seiner Schüler an der platonischen
Akademie und desweiteren an der Universität von Alexandria sind gewiß
die hellsten "Vorläufer" derneuplatonischen Theologie
des "Nachfolgers" (= "Diadochos") Proklos (411-485)
in Athen, wenn man (wie es leider üblich ist) die indischen
Parallelentwicklungen der All-Einheits-Philosophie von den Upanishaden
über die Bhagavad-Gîtâ
bis zu Shankaras Kommentar der Brahma-Sutras ("Vedanta")
einfach beiseitestellt.
Und auch die
Wirkung seiner "Theologischen Elementarlehre" auf die Nachwelt, Mittelalter
wie Neuzeit, ist unübersehbar: Die "platonische
Hälfte" des christlichen Mittelalters kennt ja kaum Platons
Dialoge (mit Ausnahme des Timaios und des
Unsterblichkeitsbeweises aus der Selbstbewegung
der Seele im Phaidros, den Cicero im
Somnium Scipionis übersetzte), sondern
eher einen durch die lateinischen (Augustinus, Boethius)
und byzantinischen (Dionysius Areopagita,
Johannes Damaskenos) Theologen
vermittelten Neuplatonismus, und die "aristotelische"
Hälfte des Mittelalters, scholastisch
verwissenschaftlicht, nutzt neben dem winzigen (weil dichtestkonzentrierten)
neuplatonischen Traktat "De hebdomadibus" des Boethius
als elementares Lehrbuch der Theologie und Philosophie besonders gern den
(islamisch-arabisch vermittelten!) "Liber
de causis", der dem Aristoteles zugeschrieben
wurde, bis Wilhelm von Moerbeke die "Stoicheiosis" 1268 ins
Lateinische übersetzte und Thomas
von Aquin erkannte, daß der Liber de causis
im Wesentlichen einen Auszug aus diesem Werk des Proklos bot.
So, wie einerseits der Liber de causis das philosophische
Fundament legt, so stützen andrerseits die "Mystische Theologie",
die Untersuchung "Über die Gottesnamen" und vor allem die Engellehre
des Dionysios Areopagita das hochstrebende theologische
Gewölbe der Scholastik: Diese beiden Hauptstraßen der Proklos-Rezeption
kreuzen sich in der Summa Theologiae
des Thomas.
Die Trinitätslehre
sowie die Ursachensuche in den Gottesbeweisen
der Scholastiker, die
erkenntnisbetonte Mystik Meister Eckharts, gotische Frömmigkeit
voller Sehnsucht nach der "Hochzeit" (in pneumatischer Interpretation von
Psalm 45,Mt
22,2,25,10,Lk12,36,Apk 19,7), die ekstatische Liebe
der islamischenSufis
zum "Einen", sie alle pflegen
mit oder ohne Zitat, direkt oder pseudonym vermittelt, logisch-argumentierend
oder fromm-ekstatisch, den in der "Stoicheiosis" systematisierten
neuplatonischen Grundgedanken der henôsis,
der Einung mit dem Einen, dem hen.
Die Philosophen
der Renaissance in Italien (Marsilio Ficino) sowie Deutschland (Nicolaus
Cusanus) und des barocken Rationalismus (Spinoza und Leibniz),
besonders aber die "System"-Denker des Deutschen Idealismus, Schelling
(nebst Goethe im "Westöstlichen Divan") und schließlich Hegel,
folgen zum einen dem "mos geometricus" der Darlegung (Proklos kommentierte
ja nicht nur Platons "Parmenides", sondern auch Euklids "Elemente der Geometrie",
vgl. auch Platons Menon),
zum andern dem grundlegenden Gedanken, den Novalis
vielleicht am treffendsten und knappsten formulierte (in "Blüthenstaub"
bzw. "Vermischte
Bemerkungen", 5. Aphorismus):
"Der
Geist führt einen ewigen Selbstbeweis."
Die Demonstranda
der in thematischen Schleifen ineinander geschlungenen Beweisketten dieser
Selbst-Deduktion, nämlich die hier gesondert aufgeführten "propositiones"
(Thesen) der Stoicheiosis, sind allesamt Allaussagen, beginnend mit dem
Wort pan oder
(n.Pl.) panta,
durchaus auch im Akkusativ oder Genitiv des Wortes, gelegentlich als Attribut
eines anderen Substantivs:
pan
plêthos metechei pêi tou HENOS –
lautet der "prinzipielle" Grundsatz, mit dem das theologische System des
Neuplatonikers beginnt: "Alle Vielheit metecheiirgendwie des Einen", aber was ist die
ideale Formulierung für dieses metechein,
dieses (wörtlich gefaßt) "mit-haben"? "Alle Vielheit
hat in irgendeiner Weise teil am EINEN" ist die übliche deutsche
Übersetzung, aber das EINE ist "ameres",
hat keine Teile (siehe propositio 47).
Gewiß,
dieser alte platonische Begriff ist den spätantiken Philosophen so
geläufig, daß er auch im bereits erwähnten Traktat "De
hebdomadibus" eine zentrale Rolle spielt: Boethius
übernimmt ihn unmittelbar mit dem lateinischen "participare",
"teilnehmen" (Adjektiv: "particeps"),
um das "ens"
("das Seiende", griechisch "to
on", bei Parmenides: "TO
EON")
als eigens von dem Philosophen gebildetes "Partizip" (!)
auf den Infinitiv "esse"
("zu SEIN") zu beziehen. Diese subtile, abstrakt scheinende, in Wirklichkeit
aber höchst innige Feindifferenzierung von SEIN und
Seiendem läßt sich im Deutschen wohl kaum als
eine Art "Schnittmenge" oder "Teilhabe" verstehen.
"Alle
Vielheit ist des EINEN teilhaftig"
oder "nimmt am EINEN teil" käme dem Sinn zwar schon
näher; aber inhaltlich gesättigter wäre gewiß die
Verdichtung des Prädikats in der Formulierung "Alle Vielheit
hat Genuß am EINEN", wenn die erkenntnislichte Glückseligkeit
der Ekstasis, des Einsseins, des All-Ein-Seins mit dem EINEN, dann nicht
allzu leicht mit den grellen Farben leiblich-seelischer Freuden zu verwechseln
wäre; schon bloße Begriffe stehen ja zu den Ideen, von denen
sie logisch abzuleiten sind, im Verhältnis dieser methexis,
und die Freude der Erkenntnis ist so subtil, daß sie nur dem Selbstgenügsamen
zum höchsten "Genuß" wird: "Alle Vielheit ist sich des
EINEN bewußt", wenn das Eine dabei nicht als Objekt, sondern
als die Bewußtseinsquelle selbst zu Bewußtsein käme, wie
ein wacher Mensch über die Objekte hinaus immer zugleich auch "bei
sich" ist. Also auch: "Alle Vielheit ist am EINEN bei sich"
bzw. "ist am EINEN ihrer selbst bewußt"?
Gesucht wird
ein Prädikat, das die Vielheit aus dem Einen ableiten läßt,
das sie im Einen zugleich "gründen" und "sich ergründen" läßt.
Warum also nicht "Alle Vielheit findet ihren Grund im Einen",
oder noch stärker interpretierend: "Alle Vielheit empfängt
ihr Wesen vom Einen", wobei "Wesen" für qualitative "Wesenheit"
gleicherweise offen wäre wie für "Existenz", doppeldeutig wie
die aristotelische ousia
und der "Substanz"-Begriff? Diese Übersetzungen habe ich erwogen,
nicht völlig verworfen, aber dann doch auf die schlichtestmögliche
zu reduzieren versucht, die zugleich den logisch-begrifflichen Aspekt nicht
von dem ontologisch-schöpferischen dieses Prädikats trennt. Was
seinen Grund, Begründung und Existenz findet, findet "sich"; es findet
sich auch "ein" und findet sich "wieder", es "be-findet" sich überhaupt
dort, wo es sich allein findet, wo es "in irgendeiner Weise" Grund findet:
im Hen-kai-Pan,
dem All=Einen.
Die Übersetzung
schreitet fast täglich in kleinen Schritten voran und geht gelegentlich
zu Korrekturen eines häufigeren Begriffes zurück (wie eben gezeigt).
Hier nur abschließend noch ein kleiner Hinweis auf die schlichte
Schönheit des Implikations-Explikations-Motivs in Satz
21, die "Welt in der Knospe", implizit zugleich eine Definition der
"Monade".